I.
Vergessen von Eigennamen.
Im Jahrgange 1898 der
Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie habe ich unter dem Titel
»Zum
psychischen Mechanismus der Vergesslichkeit« einen kleinen Aufsatz
veröffentlicht, dessen Inhalt ich hier wiederholen und zum Ausgang für weitere
Erörterungen nehmen werde. Ich habe dort den häufigen Fall des zeitweiligen
Vergessens von Eigennamen an einem prägnanten Beispiel aus meiner
Selbstbeobachtung der psychologischen Analyse unterzogen und bin zum Ergebnis
gelangt, dass dieser gewöhnliche und praktisch nicht sehr bedeutsame
Einzelvorfall von Versagen einer psychischen Funktion – des Erinnerns – eine
Aufklärung zulässt, welche weit über die gebräuchliche Verwertung des Phänomens
hinausführt.
Wenn ich nicht sehr irre, würde
ein Psycholog, von dem man die Erklärung forderte, wie es zugehe, dass einem so
oft ein Name nicht einfällt, den man doch zu kennen glaubt, sich begnügen, zu
antworten, dass Eigennamen dem Vergessen leichter unterliegen als andersartiger
Gedächtnisinhalt. Er würde die plausibeln Gründe für solche Bevorzugung der
Eigennamen anführen, eine anderweitige Bedingtheit des Vorganges aber nicht
vermuten.
Für mich wurde zum Anlass einer
eingehenderen Beschäftigung mit dem Phänomen des zeitweiligen Namenvergessens
die Beobachtung gewisser Einzelheiten, die sich zwar nicht in allen Fällen,
aber in einzelnen deutlich genug erkennen lassen. In solchen Fällen wird
nämlich nicht nur vergessen,
sondern auch falsch
erinnert. Dem sich um den entfallenen Namen Bemühenden kommen
andere – Ersatznamen
– zum Bewusstsein, die zwar sofort als unrichtig erkannt werden, sich aber doch
mit grosser Zähigkeit immer wieder aufdrängen. Der Vorgang, der zur
Reproduktion des gesuchten Namens führen soll, hat sich gleichsam verschoben und so zu
einem unrichtigen Ersatz geführt. Meine Voraussetzung ist nun, dass diese
Verschiebung nicht psychischer Willkür überlassen ist, sondern gesetzmässige
und berechenbare Bahnen einhält. Mit anderen Worten, ich vermute, dass der oder
die Ersatznamen [4] in einem
aufspürbaren Zusammenhang mit dem gesuchten Namen stehen, und hoffe, wenn es
mir gelingt, diesen Zusammenhang nachzuweisen, dann auch Licht über den Hergang
des Namenvergessens zu verbreiten.
In dem 1898 von mir zur Analyse
gewählten Beispiele war es der Name des Meisters, welcher im Dom von Orvieto die
grossartigen Fresken von den »letzten Dingen« geschaffen, den zu erinnern ich
mich vergebens bemühte. Anstatt des gesuchten Namens – Signorelli – drängten sich mir zwei andere Namen von
Malern auf – Botticelli und Boltraffio, die mein Urteil sofort und entschieden
als unrichtig abwies. Als mir der richtige Name von fremder Seite mitgeteilt
wurde, erkannte ich ihn sogleich und ohne Schwanken. Die Untersuchung, durch
welche Einflüsse und auf welchen Assoziationswegen sich die Reproduktion in
solcher Weise – von Signorelli auf Botticelli und Boltraffio – verschoben hatte, führte zu folgenden
Ergebnissen:
a.
Der Grund für das Entfallen des Namens Signorelli ist weder in einer Besonderheit dieses Namens selbst noch in einem
psychologischen Charakter des Zusammenhanges zu suchen, in welchen derselbe
eingefügt war. Der vergessene Name war mir ebenso vertraut wie der eine der
Ersatznamen – Botticelli – und ungleich vertrauter als der andere der
Ersatznamen – Boltraffio –, von dessen Träger ich kaum etwas anderes anzugeben
wüsste als seine Zugehörigkeit zur mailändischen Schule. Der Zusammenhang aber,
in dem sich das Namenvergessen ereignete, erscheint mir harmlos und führt zu
keiner weiteren Aufklärung: Ich machte mit einem Fremden eine Wagenfahrt von
Ragusa in Dalmatien nach einer Station der Herzegowina; wir kamen auf das
Reisen in Italien zu sprechen, und ich fragte meinen Reisegefährten, ob er
schon in Orvieto gewesen und dort die berühmten Fresken des *** besichtigt
habe.
b.
Das Namenvergessen erklärt sich erst, wenn
ich mich an das in jener Unterhaltung unmittelbar vorhergehende Thema erinnere,
und gibt sich als eine Störung
des neu auftauchenden Themas durch das vorhergehende zu erkennen.
Kurz, ehe ich an meinen Reisegefährten die Frage stellte, ob er schon in
Orvieto gewesen, hatten wir uns über die Sitten der in Bosnien und in der Herzegowina lebenden
Türken unterhalten. Ich hatte erzählt, was ich von einem unter diesen Leuten
praktizierenden Kollegen gehört hatte, dass sie sich voll Vertrauen in den Arzt
und voll Ergebung in das Schicksal zu zeigen pflegen. Wenn man ihnen ankündigen
muss, dass es für [5] den Kranken keine
Hilfe gibt, so antworten sie: »Herr, was ist da zu sagen? Ich weiss, wenn er zu
retten wäre, hättest du ihn gerettet.« – Erst in diesen Sätzen finden sich die
Worte und Namen: Bosnien,
Herzegowina,
Herr vor,
welche sich in eine Assoziationsreihe zwischen Signorelli und Botticelli – Boltraffio einschalten lassen.
c.
Ich nehme an, dass der Gedankenreihe von
den Sitten der Türken in Bosnien etc. die Fähigkeit, einen nächsten Gedanken zu
stören, darum zukam, weil ich ihr meine Aufmerksamkeit entzogen hatte, ehe sie
noch zu Ende gebracht war. Ich erinnere nämlich, dass ich eine zweite Anekdote
erzählen wollte, die nahe bei der ersten in meinem Gedächtnis ruhte. Diese
Türken schätzen den Sexualgenuss über alles und verfallen bei sexuellen
Störungen in eine Verzweiflung, welche seltsam gegen ihre Resignation bei
Todesgefahr absticht. Einer der Patienten meines Kollegen hatte ihm einmal
gesagt: »Du weisst ja, Herr,
wenn das nicht mehr geht, dann hat das Leben keinen Wert.« Ich unterdrückte die
Mitteilung dieses charakteristischen Zuges, weil ich das heikle Thema nicht im
Gespräch mit einem Fremden berühren wollte. Ich tat aber noch mehr; ich lenkte
meine Aufmerksamkeit auch von der Fortsetzung der Gedanken ab, die sich bei mir
an das Thema »Tod und Sexualität« hätten knüpfen können. Ich stand damals unter
der Nachwirkung einer Nachricht, die ich wenige Wochen vorher während eines
kurzen Aufenthaltes in Trafoi erhalten hatte. Ein Patient, mit dem ich mir
viele Mühe gegeben, hatte wegen einer unheilbaren sexuellen Störung seinem
Leben ein Ende gemacht. Ich weiss bestimmt, dass mir auf jener Reise in die
Herzegowina dieses traurige Ereignis und alles, was damit zusammenhängt, nicht
zur bewussten Erinnerung kam. Aber die Übereinstimmung Trafoi – Boltraffio nötigt mich anzunehmen, dass damals diese
Reminiszenz trotz der absichtlichen Ablenkung meiner Aufmerksamkeit in mir zur
Wirksamkeit gebracht worden ist.
d.
Ich kann das Vergessen des Namens
Signorelli nicht mehr als ein zufälliges Ereignis
auffassen. Ich muss den Einfluss eines Motivs bei diesem Vorgang anerkennen. Es waren
Motive, die mich veranlassten, mich in der Mitteilung meiner Gedanken (über die
Sitten der Bosnier etc.) zu unterbrechen, und die mich ferner beeinflussten,
die daran sich knüpfenden Gedanken, die bis zur Nachricht in
Trafoi geführt hätten, in mir vom Bewusstwerden
auszuschliessen. Ich wollte
also etwas vergessen, ich hatte etwas verdrängt. Ich wollte allerdings etwas
anderes vergessen als den Namen des Meisters von Orvieto; [6]
aber dieses andere brachte es zustande, sich mit diesem Namen in assoziative
Verbindung zu setzen, so dass mein Willensakt das Ziel verfehlte, und ich das eine wider Willen
vergass, während ich das
andere mit Absicht vergessen wollte. Die Abneigung, zu erinnern,
richtete sich gegen den einen Inhalt; die Unfähigkeit, zu erinnern, trat an
einem anderen hervor. Es wäre offenbar ein einfacherer Fall, wenn Abneigung und
Unfähigkeit, zu erinnern, denselben Inhalt beträfen. – Die Ersatznamen
erscheinen mir auch nicht mehr so völlig unberechtigt wie vor der Aufklärung;
sie mahnen mich (nach Art eines Kompromisses) eben so sehr an das, was ich vergessen,
wie an das, was ich erinnern wollte, und zeigen mir, dass meine Absicht, etwas
zu vergessen, weder ganz gelungen noch ganz missglückt ist.
e.
Sehr auffällig ist die Art der
Verknüpfung, die sich zwischen dem gesuchten Namen und dem verdrängten Thema (von
Tod und Sexualität etc., in dem die Namen Bosnien, Herzegowina, Trafoi
vorkommen) hergestellt hat. Das hier eingeschaltete, aus der Abhandlung des
Jahres 1898 wiederholte Schema sucht diese Verknüpfung anschaulich
darzustellen.
Der Name Signorelli ist dabei in zwei Stücke zerlegt worden. Das eine Silbenpaar
ist in einem der Ersatznamen unverändert wiedergekehrt (elli), das andere hat durch die Übersetzung Signor – Herr
mehrfache und verschiedenartige Beziehungen zu den im verdrängten Thema
enthaltenen Namen gewonnen, ist aber dadurch für die Reproduktion verloren
gegangen. Sein Ersatz hat so stattgefunden, als ob eine Verschiebung längs der
Namenverbindung »Herzegowina und
Bosnien« vorgenommen worden wäre, ohne Rücksicht auf den
Sinn [7] und auf die
akustische Abgrenzung der Silben zu nehmen. Die Namen sind also bei diesem
Vorgang ähnlich behandelt worden wie die Schriftbilder eines Satzes, der in ein
Bilderrätsel (Rebus) umgewandelt werden soll. Von dem ganzen Hergang, der
anstatt des Namens Signorelli auf solchen Wegen die Ersatznamen geschaffen hat,
ist dem Bewusstsein keine Kunde gegeben worden. Eine Beziehung zwischen dem
Thema, in dem der Name Signorelli vorkam, und dem zeitlich ihm vorangehenden
verdrängten Thema, welche über diese Wiederkehr gleicher Silben (oder vielmehr
Buchstabenfolgen) hinausginge, scheint zunächst nicht auffindbar zu sein.
Es ist vielleicht nicht
überflüssig, zu bemerken, dass die von den Psychologen angenommenen Bedingungen
der Reproduktion und des Vergessens, die in gewissen Relationen und
Dispositionen gesucht werden, durch die vorstehende Aufklärung einen
Widerspruch nicht erfahren. Wir haben nur für gewisse Fälle zu all den längst
anerkannten Momenten, die das Vergessen eines Namens bewirken können, noch ein Motiv hinzugefügt
und überdies den Mechanismus des Fehlerinnerns klar gelegt. Jene Dispositionen
sind auch für unseren Fall unentbehrlich, um die Möglichkeit zu schaffen, dass
das verdrängte Element sich assoziativ des gesuchten Namens bemächtige und es
mit sich in die Verdrängung nehme. Bei einem anderen Namen mit günstigeren
Reproduktionsbedingungen wäre dies vielleicht nicht geschehen. Es ist ja
wahrscheinlich, dass ein unterdrücktes Element allemal bestrebt ist, sich
irgendwo anders zur Geltung zu bringen, diesen Erfolg aber nur dort erreicht,
wo ihm geeignete Bedingungen entgegenkommen. Andere Male gelingt die
Unterdrückung ohne Funktionsstörung, oder, wie wir mit Recht sagen können, ohne
Symptome.
Die Zusammenfassung der
Bedingungen für das Vergessen eines Namens mit Fehlerinnern ergibt also: 1.
eine gewisse Disposition zum Vergessen desselben, 2. einen kurz vorher
abgelaufenen Unterdrückungsvorgang, 3. die Möglichkeit, eine äusserliche
Assoziation zwischen dem betreffenden Namen und dem vorher unterdrückten
Element herzustellen. Letztere Bedingung wird man wahrscheinlich nicht sehr
hoch veranschlagen müssen, da bei den geringen Ansprüchen an die Assoziation
eine solche in den allermeisten Fällen durchzusetzen sein dürfte. Eine andere
und tiefer reichende Frage ist es, ob eine solche äusserliche Assoziation wirklich
die genügende Bedingung dafür sein kann, dass das verdrängte Element die
Reproduktion des gesuchten Namens störe, ob nicht doch notwendig ein intimerer
Zusammenhang [8] der beiden Themata
erforderlich wird. Bei oberflächlicher Betrachtung würde man letztere Forderung
abweisen wollen und das zeitliche Aneinanderstossen bei völlig disparatem
Inhalt für genügend halten. Bei eingehender Untersuchung findet man aber immer
häufiger, dass die beiden durch eine äusserliche Assoziation verknüpften
Elemente (das verdrängte und das neue) ausserdem einen inhaltlichen
Zusammenhang besitzen, und auch in dem Beispiel Signorelli lässt sich ein solcher erweisen.
Der Wert der Einsicht, die wir
bei der Analyse des Beispiels Signorelli gewonnen haben, hängt natürlich davon ab,
ob wir diesen Fall für ein typisches oder für ein vereinzeltes Vorkommnis
erklären müssen. Ich muss nun behaupten, dass das Namenvergessen mit
Fehlerinnern ungemein häufig so zugeht, wie wir es im Falle: Signorelli aufgelöst haben. Fast allemal, da ich dies Phänomen bei mir selbst
beobachten konnte, war ich auch imstande, es mir in der vorerwähnten Weise als
durch Verdrängung motiviert zu erklären. Ich muss auch noch einen anderen
Gesichtspunkt zugunsten der typischen Natur unserer Analyse geltend machen. Ich
glaube, dass man nicht berechtigt ist, die Fälle von Namenvergessen mit
Fehlerinnern prinzipiell von solchen zu trennen, in denen sich unrichtige
Ersatznamen nicht eingestellt haben. Diese Ersatznamen kommen in einer Anzahl
von Fällen spontan; in anderen Fällen, wo sie nicht spontan aufgetaucht sind,
kann man sie durch Anstrengung der Aufmerksamkeit zum Auftauchen zwingen, und
sie zeigen dann die nämlichen Beziehungen zum verdrängten Element und zum
gesuchten Namen, wie wenn sie spontan gekommen wären. Für das Bewusstwerden der
Ersatznamen scheinen zwei Momente massgebend zu sein, erstens die Bemühung der
Aufmerksamkeit, zweitens eine innere Bedingung, die am psychischen Material
haftet. Ich könnte letztere in der grösseren oder geringeren Leichtigkeit
suchen, mit welcher sich die benötigte äusserliche Assoziation zwischen den
beiden Elementen herstellt. Ein guter Teil der Fälle von Namenvergessen ohne Fehlerinnern
schliesst sich so den Fällen mit Ersatznamenbildung an, für welche der
Mechanismus des Beispieles: Signorelli gilt. Ich werde mich aber gewiss nicht
der Behauptung erkühnen, dass alle Fälle von Namenvergessen in die nämliche
Gruppe einzureihen seien. Es gibt ohne Zweifel Fälle von Namenvergessen, die
weit einfacher zugehen. Wir werden den Sachverhalt wohl vorsichtig genug
dargestellt haben, wenn wir aussprechen: Neben dem einfachen Vergessen von Eigennamen kommt auch ein
Vergessen vor, welches durch Verdrängung motiviert ist.
II.
Vergessen von fremdsprachigen Worten.
Der gebräuchliche Sprachschatz
unserer eigenen Sprache scheint innerhalb der Breite normaler Funktion gegen
das Vergessen geschützt[1]. Anders steht es bekanntlich mit den
Vokabeln einer fremden Sprache. Die Disposition zum Vergessen derselben ist für
alle Redeteile vorhanden, und ein erster Grad von Funktionsstörung zeigt sich
in der Ungleichmässigkeit unserer Verfügung über den fremden Sprachschatz, [10] je nach unserem Allgemeinbefinden und dem
Grade unserer Ermüdung. Dieses Vergessen geht in einer Reihe von Fällen nach
demselben Mechanismus vor sich, den uns das Beispiel: Signorelli enthüllt hat. Ich werde zum Beweise
hierfür eine einzige, aber durch wertvolle Eigentümlichkeiten ausgezeichnete
Analyse mitteilen, die den Fall des Vergessens eines nicht substantivischen
Wortes aus einem lateinischen Zitat betrifft. Man gestatte mir, den kleinen
Vorfall breit und anschaulich vorzutragen.
Im letzten Sommer erneuerte ich –
wiederum auf der Ferienreise – die Bekanntschaft eines jungen Mannes von akademischer
Bildung, der, wie ich bald merkte, mit einigen meiner psychologischen
Publikationen vertraut war. Wir waren im Gespräch – ich weiss nicht mehr wie –
auf die soziale Lage des Volksstammes gekommen, dem wir beide angehören, und
er, der Ehrgeizige, erging sich in Bedauern darüber, dass seine Generation, wie
er sich äusserte, zur Verkümmerung bestimmt sei, ihre Talente nicht entwickeln
und ihre Bedürfnisse nicht befriedigen könne. Er schloss seine leidenschaftlich
bewegte Rede mit dem bekannten Vergilschen Vers, in
dem die unglückliche Dido
ihre Rache an Äneas
der Nachwelt überträgt: Exoriare …., vielmehr er wollte so schliessen, denn er
brachte das Zitat nicht zustande und suchte eine offenkundige Lücke der
Erinnerung durch Umstellung von Worten zu verdecken:
Exoriar(e) ex nostris ossibus ultor! Endlich sagte er geärgert: „Bitte machen
Sie nicht ein so spöttisches Gesicht, als ob Sie sich an meiner Verlegenheit
weiden würden, und helfen Sie mir lieber. An dem Vers fehlt etwas. Wie heisst
er eigentlich vollständig?“
Gerne, erwiderte ich und
zitierte, wie es richtig lautet:
Exoriar(e) aliquis nostris ex
ossibus ultor!
„Zu dumm, ein solches Wort zu
vergessen. Übrigens von Ihnen hört man ja, dass man nichts ohne Grund vergisst.
Ich wäre doch zu neugierig, zu erfahren, wie ich zum Vergessen dieses
unbestimmten Pronomen
aliquis komme.“
Ich nahm diese Herausforderung
bereitwilligst an, da ich einen Beitrag zu meiner Sammlung erhoffte. Ich sagte
also: Das können wir gleich haben. Ich muss Sie nur bitten, mir aufrichtig und kritiklos alles
mitzuteilen, was Ihnen einfällt, wenn Sie ohne bestimmte Absicht Ihre
Aufmerksamkeit auf das vergessene Wort richten[2].
[11]„Gut, also da komme ich auf den
lächerlichen Einfall, mir das Wort in folgender Art zu zerteilen: a und
liquis.“
Was soll das? – „Weiss ich
nicht.“ – Was fällt Ihnen weiter dazu ein? – „Das setzt sich so fort: Reliquien – Liquidation – Flüssigkeit – Fluid. Wissen Sie
jetzt schon etwas?“
Nein, noch lange nicht. Aber
fahren Sie fort.
„Ich denke,“ fuhr er höhnisch
lachend fort, „an Simon
von Trient,
dessen Reliquien ich vor zwei Jahren in einer Kirche in Trient gesehen habe.
Ich denke an die Blutbeschuldigung, die gerade jetzt wieder gegen die Juden
erhoben wird, und an die Schrift von Kleinpaul, der in all diesen angeblichen Opfern
Inkarnationen, sozusagen Neuauflagen des Heilands sieht.“
Der Einfall ist nicht ganz ohne
Zusammenhang mit dem Thema, über das wir uns
unterhielten, ehe Ihnen das lateinische Wort entfiel.
„Richtig. Ich denke ferner an
einen Zeitungsartikel in einem italienischen Journal, den ich kürzlich gelesen.
Ich glaube, er war überschrieben: Was der h. Augustinus über die Frauen sagt.
Was machen Sie damit?“
Ich warte.
„Also jetzt kommt etwas, was ganz
gewiss ausser Zusammenhang mit unserem Thema steht.“
Enthalten Sie sich gefälligst
jeder Kritik und –
„Ich weiss schon. Ich erinnere
mich eines prächtigen alten Herrn, den ich vorige Woche auf der Reise
getroffen. Ein wahres Original.
Er sieht aus wie ein grosser Raubvogel. Er heisst, wenn Sie es wissen wollen, Benedikt.“
Doch wenigstens eine
Aneinanderreihung von Heiligen und Kirchenvätern: Der heilige Simon, St. Augustinus, St. Benediktus. Ein
Kirchenvater hiess, glaube ich, Origines. Drei dieser Namen sind übrigens auch
Vornamen, wie Paul
im Namen Kleinpaul.
„Jetzt fällt mir der heilige Januarius ein und
sein Blutwunder – ich finde, das geht mechanisch so weiter.“
Lassen Sie das; der heilige Januarius und der
heilige Augustinus
haben beide mit dem Kalender zu tun. Wollen Sie mich nicht an das Blutwunder
erinnern?
„Das werden Sie doch kennen? In
einer Kirche zu Neapel wird in einer Phiole das Blut des heiligen Januarius
aufbewahrt, welches durch ein Wunder an einem bestimmten Festtage wieder flüssig wird. Das
Volk hält viel auf dieses Wunder und wird sehr aufgeregt, wenn es sich
verzögert, wie es einmal zur Zeit einer französischen [12] Okkupation geschah. Da nahm der kommandierende General – oder irre ich
mich? war es Garibaldi? – den geistlichen Herrn bei Seite und bedeutete ihm mit
einer sehr verständlichen Geberde auf die draussen aufgestellten Soldaten, er hoffe, das Wunder
werde sich sehr bald vollziehen. Und es vollzog sich wirklich
…“
Nun und weiter? Warum stocken
Sie?
„Jetzt ist mir allerdings etwas
eingefallen … das ist aber zu intim für die Mitteilung .. Ich sehe übrigens
keinen Zusammenhang und keine Nötigung, es zu erzählen.“
Für den Zusammenhang würde ich
sorgen. Ich kann Sie ja nicht zwingen, zu erzählen, was Ihnen unangenehm ist;
dann verlangen Sie aber auch nicht von mir zu wissen, auf welchem Wege Sie
jenes Wort „aliquis“
vergessen haben.
„Wirklich? Glauben Sie? Also ich
habe plötzlich an eine Dame gedacht, von der ich leicht eine Nachricht bekommen
könnte, die uns beiden recht unangenehm wäre.“
Dass ihr die Periode ausgeblieben
ist?
„Wie können Sie das erraten?“
Das ist nicht mehr schwierig. Sie
haben mich genügend darauf vorbereitet. Denken Sie an die Kalenderheiligen, an das Flüssigwerden des Blutes
zu einem bestimmten Tage, den Aufruhr, wenn das Ereignis nicht eintritt, die deutliche Drohung, dass das
Wunder vor sich gehen muss, sonst .. Sie haben ja das Wunder des
heiligen Januarius zu einer prächtigen Anspielung auf die Periode der Frau
verarbeitet.
„Ohne dass ich es gewusst hätte.
Und Sie meinen wirklich, wegen dieser ängstlichen Erwartung hätte ich das
Wörtchen »aliquis« nicht reproduzieren können?“
Das scheint mir unzweifelhaft.
Erinnern Sie sich doch an Ihre Zerlegung in a–liquis und an die Assoziationen: Reliquien,
Liquidation,
Flüssigkeit.
Soll ich noch den als Kind
hingeopferten heiligen Simon, auf den Sie von den Reliquien her
kamen, in den Zusammenhang einflechten?
„Tun Sie das lieber nicht. Ich
hoffe, Sie nehmen diese Gedanken, wenn ich sie wirklich gehabt habe, nicht für
Ernst. Ich will Ihnen dafür gestehen, dass die Dame eine Italienerin ist, in
deren Gesellschaft ich auch Neapel besucht habe. Kann das aber nicht alles
Zufall sein?“
Ich muss es Ihrer eigenen
Beurteilung überlassen, ob Sie sich alle diese Zusammenhänge durch die Annahme
eines Zufalls aufklären [13] können. Ich sage Ihnen aber, jeder ähnliche Fall, den Sie analysieren
wollen, wird Sie auf ebenso merkwürdige „Zufälle“ führen.
Ich habe mehrere Gründe, diese
kleine Analyse, für deren Überlassung ich meinem damaligen Reisegenossen Dank
schulde, zu schätzen. Erstens, weil mir in diesem Falle gestattet war, aus
einer Quelle zu schöpfen, die mir sonst versagt ist. Ich bin zumeist genötigt,
die Beispiele von psychischer Funktionsstörung im täglichen Leben, die ich hier
zusammenstelle, meiner Selbstbeobachtung zu entnehmen. Das weit reichere
Material, das mir meine neurotischen Patienten liefern, suche ich zu vermeiden,
weil ich den Einwand fürchten muss, die betreffenden Phänomene seien eben
Erfolge und Äusserungen der Neurose. Es hat also besonderen Wert für meine
Zwecke, wenn sich eine nervengesunde fremde Person zum Objekt einer solchen
Untersuchung erbietet. In anderer Hinsicht wird mir diese Analyse
bedeutungsvoll, indem sie einen Fall von Wortvergessen ohne Ersatzerinnern
beleuchtet und meinen vorhin aufgestellten Satz bestätigt, dass das Auftauchen
oder Ausbleiben von unrichtigen Ersatzerinnerungen eine wesentliche
Unterscheidung nicht begründen kann.[3]
[14] Der Hauptwert des Beispieles: aliquis ist aber in einem anderen seiner Unterschiede von dem Falle: Signorelli gelegen. Im letzteren Beispiel wird die Reproduktion des Namens gestört
durch die Nachwirkung eines Gedankenganges, der kurz vorher begonnen und
abgebrochen wurde, dessen Inhalt aber in keinem deutlichen Zusammenhang mit dem
neuen Thema stand, in dem der Name Signorelli enthalten war. Zwischen dem
verdrängten und dem Thema des vergessenen Namens bestand bloss die Beziehung
der zeitlichen Kontiguität; dieselbe reichte hin, damit sich die beiden durch
eine äusserliche Assoziation in Verbindung setzen konnten.[4] Im Beispiele:
aliquis hingegen
ist von einem solchen unabhängigen verdrängten Thema, welches unmittelbar
vorher das bewusste Denken beschäftigt hätte und nun als Störung nachklänge,
nichts zu merken. Die Störung der Reproduktion erfolgt hier aus dem Inneren des
angeschlagenen Themas heraus, indem sich unbewusst ein Widerspruch gegen die im
Zitat dargestellte Wunschidee erhebt. Man muss sich den Hergang in folgender
Art konstruieren: Der Redner hat bedauert, dass die gegenwärtige Generation
seines Volkes in ihren Rechten verkürzt wird; eine neue Generation, weissagt er
wie Dido, wird die Rache an den Bedrängern übernehmen. Er hat also den Wunsch
nach Nachkommenschaft ausgesprochen. In diesem Momente fährt ihm ein
widersprechender Gedanke dazwischen. »Wünschest du dir Nachkommenschaft
wirklich so lebhaft? Das ist nicht wahr. In welche Verlegenheit kämest du, wenn
du jetzt die Nachricht erhieltest, dass du von der einen Seite, die du kennst,
Nachkommen zu erwarten hast? Nein, keine Nachkommenschaft, – wiewohl wir sie
für die Rache brauchen.« Dieser Widerspruch bringt sich nun zur Geltung, indem
er genau wie im Beispiel Signorelli eine äusserliche Assoziation zwischen einem
seiner Vorstellungselemente und einem Elemente des beanstandeten Wunsches
herstellt, und zwar diesmal auf eine höchst gewaltsame Weise durch einen
gekünstelt erscheinenden Assoziationsumweg. Eine zweite wesentliche [15] Übereinstimmung mit dem Beispiel
Signorelli ergibt sich daraus, dass der Widerspruch aus verdrängten Quellen
stammt und von Gedanken ausgeht, welche eine Abwendung der Aufmerksamkeit
hervorrufen würden. – Soviel über die Verschiedenheit und über die innere
Verwandtschaft der beiden Paradigmata des Namenvergessens. Wir haben einen
zweiten Mechanismus des Vergessens kennen gelernt, die Störung eines Gedankens
durch einen aus dem Verdrängten kommenden inneren Widerspruch. Wir werden
diesem Vorgang, der uns als der leichter verständliche erscheint, im Laufe
dieser Erörterungen noch wiederholt begegnen.
III.
Über die Deckerinnerungen.
In einer zweiten Abhandlung (1899
in der Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie
veröffentlicht) habe ich die tendenziöse Natur unseres Erinnerns an
unvermuteter Stelle nachweisen können. Ich bin von der auffälligen Tatsache
ausgegangen, dass die frühesten Kindheitserinnerungen einer Person häufig
bewahrt zu haben scheinen, was gleichgiltig und nebensächlich ist, während von
wichtigen, eindrucksvollen und affektreichen Eindrücken dieser Zeit (häufig,
gewiss nicht allgemein!) sich im Gedächtnis des Erwachsenen keine Spur
vorfindet. Da es bekannt ist, dass das Gedächtnis unter den ihm dargebotenen
Eindrücken eine Auswahl trifft, stände man hier vor der Annahme, dass diese
Auswahl im Kindesalter nach ganz anderen Prinzipien vor sich geht, als zur Zeit
der intellektuellen Reife. Eingehende Untersuchung weist aber nach, dass diese
Annahme überflüssig ist. Die indifferenten Kindheitserinnerungen verdanken ihre
Existenz einem Verschiebungsvorgang; sie sind der Ersatz in der Reproduktion
für andere wirklich bedeutsame Eindrücke, deren Erinnerung sich durch
psychische Analyse aus ihnen entwickeln lässt, deren direkte Reproduktion aber
durch einen Widerstand gehindert ist. Da sie ihre Erhaltung nicht dem eigenen
Inhalt, sondern einer assoziativen Beziehung ihres Inhaltes zu einem anderen,
verdrängten, verdanken, haben sie auf den Namen »Deckerinnerungen«, mit welchem
ich sie ausgezeichnet habe, begründeten Anspruch.
Die Mannigfaltigkeiten in den
Beziehungen und Bedeutungen der Deckerinnerungen habe ich in dem erwähnten
Aufsatze nur gestreift, keineswegs erschöpft. An dem dort ausführlich
analysierten Beispiel [16] habe ich eine Besonderheit der zeitlichen Relation zwischen der Deckerinnerung
und dem durch sie gedeckten Inhalt besonders hervorgehoben. Der Inhalt der
Deckerinnerung gehörte dort nämlich einem der ersten Kinderjahre an, während
die durch sie im Gedächtnis vertretenen Gedankenerlebnisse, die fast unbewusst
geblieben waren, in späte Jahre des Betreffenden fielen. Ich nannte diese Art
der Verschiebung eine rückgreifende
oder rückläufige.
Vielleicht noch häufiger begegnet man dem entgegengesetzten Verhältnis, dass
ein indifferenter Eindruck der jüngsten Zeit sich als Deckerinnerung im
Gedächtnis festsetzt, der diese Auszeichnung nur der Verknüpfung mit einem
früheren Erlebnis verdankt, gegen dessen direkte Reproduktion sich Widerstände
erheben. Dies wären vorgreifende
oder vorgeschobene
Deckerinnerungen. Das Wesentliche, was das Gedächtnis bekümmert, liegt hier der
Zeit nach hinter
der Deckerinnerung. Endlich wird der dritte noch mögliche Fall nicht vermisst,
dass die Deckerinnerung nicht nur durch ihren Inhalt, sondern auch durch
Kontiguität in der Zeit mit dem von ihr gedeckten Eindruck verknüpft ist, also
die gleichzeitige
oder anstossende
Deckerinnerung.
Ein wie grosser Teil unseres
Gedächtnisschatzes in die Kategorie der Deckerinnerungen gehört, und welche
Rolle bei verschiedenen neurotischen Denkvorgängen diesen zufällt, das sind
Probleme, in deren Würdigung ich weder dort eingegangen bin, noch hier
eintreten werde. Es kommt mir nur darauf an, die Gleichartigkeit zwischen dem
Vergessen von Eigennamen mit Fehlerinnern und der Bildung der Deckerinnerungen
hervorzuheben.
Auf den ersten Anblick sind die
Verschiedenheiten der beiden Phänomene weit auffälliger als ihre etwaigen Analogien.
Dort handelt es sich um Eigennamen, hier um komplette Eindrücke, um entweder in der Realität
oder in Gedanken Erlebtes; dort um ein manifestes Versagen der
Erinnerungsfunktion, hier um eine Erinnerungsleistung, die uns befremdend
erscheint; dort um eine momentane Störung – denn der eben vergessene Name kann
vorher hundert Male richtig reproduziert worden sein und es von morgen an
wieder werden –, hier um dauernden Besitz ohne Ausfall, denn die indifferenten
Kindheitserinnerungen scheinen uns durch ein langes Stück unseres Lebens
begleiten zu können. Das Rätsel scheint in diesen beiden Fällen ganz anders
orientiert zu sein. Dort ist es das Vergessen, hier das Merken, was unsere
wissenschaftliche Neugierde rege macht. Nach einiger Vertiefung merkt man, dass
trotz der Verschiedenheit im psychischen Material und in der Zeitdauer der
beiden Phänomene die Übereinstimmungen [17] weit überwiegen. Es handelt sich hier wie dort um das Fehlgehen des
Erinnerns; es wird nicht das vom Gedächtnis reproduziert, was korrekterweise
reproduziert werden sollte, sondern etwas anderes zum Ersatz. Dem Falle des
Namenvergessens fehlt nicht die Gedächtnisleistung in der Form der Ersatznamen.
Der Fall der Deckerinnerungsbildung beruht auf dem Vergessen von anderen
wesentlichen Eindrücken. In beiden Fällen gibt uns eine intellektuelle
Empfindung Kunde von der Einmengung einer Störung, nur jedesmal in anderer
Form. Beim Namenvergessen wissen wir, dass die Ersatznamen falsch sind; bei den
Deckerinnerungen verwundern
wir uns, dass wir sie überhaupt besitzen. Wenn dann die psychologische Analyse
nachweist, dass die Ersatzbildung in beiden Fällen auf die nämliche Weise durch
Verschiebung längs einer oberflächlichen Assoziation zustande gekommen ist, so
tragen gerade die Verschiedenheiten im Material, in der Zeitdauer und in der
Zentrierung der beiden Phänomene dazu bei, unsere Erwartung zu steigern, dass
wir etwas Wichtiges und Allgemeingiltiges aufgefunden haben. Dieses Allgemeine
würde lauten, dass das Versagen und Irregehen der reproduzierenden Funktion
weit häufiger, als wir vermuten, auf die Einmengung eines parteiischen Faktors,
einer Tendenz
hinweist, welche die eine Erinnerung begünstigt, während sie einer anderen
entgegenzuarbeiten bemüht ist.
IV.
Das Versprechen.
Wenn das gebräuchliche Material
unserer Rede in der Muttersprache gegen das Vergessen geschützt erscheint, so
unterliegt dessen Anwendung um so häufiger einer anderen Störung, die als
»Versprechen« bekannt ist. Das beim normalen Menschen beobachtete Versprechen
macht den Eindruck der Vorstufe für die unter pathologischen Bedingungen
auftretenden sogen. »Paraphasien«.
Ich befinde mich hier in der
ausnahmsweisen Lage, eine Vorarbeit würdigen zu können. Im Jahre 1895 haben
Meringer und
C. Mayer eine Studie über
»Versprechen
und Verlesen« publiziert, an deren Gesichtspunkte die meinigen nicht
heranreichen. Der eine der Autoren, der im Texte das Wort führt, ist nämlich
Sprachforscher und ist von linguistischen Interessen zur Untersuchung
veranlasst worden, den Regeln nachzugehen, nach denen man sich verspricht. Er
hoffte [18] aus diesen Regeln
auf das Vorhandensein »eines gewissen geistigen Mechanismus« schliessen zu
können, »in welchem die Laute eines Wortes, eines Satzes, und auch die Worte
untereinander in ganz eigentümlicher Weise verbunden und verknüpft sind« (p. 10).
Die Autoren gruppieren die von
ihnen gesammelten Beispiele des »Versprechens« zunächst nach rein deskriptiven
Gesichtspunkten als Vertauschungen
(z. B. die Milo von Venus anstatt Venus von Milo). Vorklänge oder Antizipationen
(z. B. es war mir auf der Schwest… auf der Brust so schwer), Nachklänge, Postpositionen
(z. B. „Ich fordere Sie auf, auf
das Wohl unseres Chefs aufzustossen“ für anzustossen), Kontaminationen (z. B. „Er setzt sich
auf den Hinterkopf“ aus: „Er setzt sich einen Kopf auf“ und: „Er stellt sich
auf die Hinterbeine“), Substitutionen
(z. B. „Ich gebe die Präparate in den Briefkasten“ statt Brütkasten), zu
welchen Hauptkategorien
noch einige minder wichtige (oder für unsere
Zwecke minder bedeutsame) hinzugefügt werden. Es macht bei dieser Gruppierung
keinen Unterschied, ob die Umstellung, Entstellung, Verschmelzung etc. einzelne
Laute des Wortes, Silben oder ganze Worte des intendierten Satzes betrifft.
Zur Erklärung der beobachteten
Arten des Versprechens stellt Meringer
eine verschiedene psychische Wertigkeit der Sprachlaute auf. Wenn wir den
ersten Laut eines Wortes, das erste Wort eines Satzes innervieren, wendet sich
bereits der Erregungsvorgang den späteren Lauten, den folgenden Worten zu, und
soweit diese Innervationen mit einander gleichzeitig sind, können sie einander
abändernd beeinflussen. Die Erregung des psychisch intensiveren Lautes klingt
vor oder hallt nach und stört so den minderwertigen Innervationsvorgang. Es
handelt sich nun darum, zu bestimmen, welche die höchstwertigen Laute eines
Wortes sind. Meringer
meint: „Wenn man wissen will, welchem Laute eines Wortes die höchste Intensität
zukommt, so beobachte man sich beim Suchen nach einem vergessenen Wort,
z. B. einem Namen. Was zuerst wieder ins Bewusstsein kommt, hatte
jedenfalls die grösste Intensität vor dem Vergessen (p. 160).
Die hochwertigen Laute sind also der Anlaut der Wurzelsilbe und der Wortanlaut
und der oder die betonten Vokale“ (p. 162).
Ich kann nicht umhin, hier einen
Widerspruch zu erheben. Ob der Anlaut des Namens zu den höchstwertigen
Elementen des Wortes gehöre oder nicht, es ist gewiss nicht richtig, dass er im
Falle des Wortvergessens zuerst wieder ins Bewusstsein tritt; die obige Regel
ist also unbrauchbar. Wenn man sich bei der Suche nach einem vergessenen [19] Namen beobachtet, so wird man
verhältnismässig häufig die Überzeugung äussern müssen, er fange mit einem
bestimmten Buchstaben an. Diese Überzeugung erweist sich nun ebenso oft als
unbegründet wie als begründet. Ja, ich möchte behaupten, man proklamiert in der
Mehrzahl der Fälle einen falschen Anlaut. Auch in unserem Beispiel: Signorelli ist bei dem Ersatznamen der Anlaut und sind die wesentlichen Silben
verloren gegangen; gerade das minderwertige Silbenpaar elli ist im Ersatznamen Botticelli dem Bewusstsein wiedergekehrt.
Wenn man der Vermutung Raum gibt,
dass ein ähnlicher Mechanismus wie der fürs Namenvergessen nachgewiesene auch
an den Erscheinungen des Versprechens Anteil haben könne, so wird man zu einer
tiefer begründeten Beurteilung der Fälle von Versprechen geführt. Die Störung
in der Rede, welche sich als Versprechen kundgibt, kann erstens verursacht sein
durch den Einfluss eines anderen Bestandteils derselben Rede, also durch das
Vorklingen oder Nachhallen, oder durch eine zweite Fassung innerhalb des Satzes
oder des Zusammenhanges, den auszusprechen man intendiert – hierher gehören
alle oben Meringer und
Mayer entlehnten Beispiele –;
zweitens aber könnte die Störung analog dem Vorgang im Falle: Signorelli zustande kommen durch Einflüsse ausserhalb dieses Wortes, Satzes oder
Zusammenhanges, von Elementen her, die auszusprechen man nicht intendiert, und
von deren Erregung man erst durch eben die Störung Kenntnis erhält. In der
Gleichzeitigkeit der Erregung läge das Gemeinsame, in der Stellung innerhalb
oder ausserhalb desselben Satzes oder Zusammenhanges das Unterscheidende für
die beiden Entstehungsarten des Versprechens. Der Unterschied erscheint zunächst
nicht so gross, als er für gewisse Folgerungen aus der Symptomatologie des
Versprechens in Betracht kommt. Es ist aber klar, dass man nur im ersteren
Falle Aussicht hat, aus den Erscheinungen des Versprechens Schlüsse auf einen
Mechanismus zu ziehen, der Laute und Worte zur gegenseitigen Beeinflussung
ihrer Artikulation mit einander verknüpft, also Schlüsse, wie sie der
Sprachforscher aus dem Studium des Versprechens zu gewinnen hoffte. Im Falle
der Störung durch Einflüsse ausserhalb des nämlichen Satzes oder
Redezusammenhanges würde es sich vor allem darum handeln, die störenden
Elemente kennen zu lernen, und dann entstände die Frage, ob auch der
Mechanismus dieser Störung die zu vermutenden Gesetze der Sprachbildung
verraten kann.
Man darf nicht behaupten, dass
Meringer und
Mayer die [20] Möglichkeit der Sprechstörung durch »kompliziertere psychische Einflüsse«,
durch Elemente ausserhalb desselben Wortes, Satzes oder derselben Redefolge
übersehen haben. Sie mussten ja bemerken, dass die Theorie der psychischen
Ungleichwertigkeit der Laute strenge genommen nur für die Aufklärung der
Lautstörungen, sowie der Vor- und Nachklänge ausreicht. Wo sich die
Wortstörungen nicht auf Lautstörungen reduzieren lassen, z. B. bei den
Substitutionen und Kontaminationen von Worten, haben auch sie unbedenklich die
Ursache des Versprechens ausserhalb
des intendierten Zusammenhanges gesucht und diesen Sachverhalt durch schöne
Beispiele erwiesen. Ich zitiere folgende Stellen:
(p. 62.) »Ru.
erzählt von Vorgängen, die er in seinem Innern für »Schweinereien« erklärt. Er sucht
aber nach einer milden Form und beginnt: »Dann aber sind Tatsachen zum Vorschwein gekommen …« Mayer
und ich waren anwesend und Ru. bestätigte, dass er »Schweinereien« gedacht
hatte. Dass sich dieses gedachte Wort bei »Vorschein« verriet und plötzlich
wirksam wurde, findet in der Ähnlichkeit der Wörter seine genügende
Erklärung.« –
(p. 73.) »Auch
bei den Substitutionen spielen wie bei den Kontaminationen und in
wahrscheinlich viel höherem Grade die »schwebenden« oder »vagierenden«
Sprachbilder eine grosse Rolle. Sie sind, wenn auch unter der Schwelle des
Bewusstseins, so doch noch in wirksamer Nähe, können leicht durch eine
Ähnlichkeit des zu sprechenden Komplexes herangezogen werden und führen dann
eine Entgleisung herbei oder kreuzen den Zug der Wörter. Die »schwebenden« oder
»vagierenden« Sprachbilder sind, wie gesagt, oft die Nachzügler von kürzlich
abgelaufenen Sprachprozessen (Nachklänge).«
(p. 97.) »Eine
Entgleisung ist auch durch Ähnlichkeit möglich, wenn ein anderes ähnliches Wort
nahe unter der Bewusstseinsschwelle liegt, ohne dass es gesprochen zu werden bestimmt wäre.
Das ist der Fall bei den Substitutionen. – So hoffe ich, dass man beim
Nachprüfen meine Regeln wird bestätigen müssen. Aber dazu ist notwendig, dass man (wenn ein
anderer spricht) sich
Klarheit darüber verschafft, an was Alles der Sprecher gedacht hat.[5] Hier ein lehrreicher Fall. Klassendirektor Li. sagte in unserer Gesellschaft:
»Die Frau würde mir Furcht einlagen.« Ich wurde stutzig, denn das l
schien mir unerklärlich. Ich erlaubte mir, den Sprecher auf seinen Fehler »einlagen«
für »einjagen« aufmerksam zu machen, worauf er [21] sofort antwortete: »Ja, das kommt daher, weil ich dachte: ich wäre
nicht in der Lage u. s. f.««
„Ein anderer Fall. Ich frage R.
v. Schid., wie es seinem kranken Pferde gehe. Er antwortet: „Ja, das draut .. dauert
vielleicht noch einen Monat.“ Das
„draut“ mit seinem r war mir unverständlich, denn das r von dauert konnte
unmöglich so gewirkt haben. Ich machte also R. v. S. aufmerksam,
worauf er erklärte, er habe gedacht, „das ist eine traurige Geschichte.“ Der Sprecher hatte
also zwei Antworten im Sinne und diese vermengten sich.“
Es ist wohl unverkennbar, wie
nahe die Rücksichtnahme auf die „vagierenden“ Sprachbilder, die unter der
Schwelle des Bewusstseins stehen und nicht zum Gesprochenwerden bestimmt sind,
und die Forderung, sich zu erkundigen, an was der Sprecher alles gedacht habe,
an die Verhältnisse bei unseren „Analysen“ herankommen. Auch wir suchen
unbewusstes Material, und zwar auf dem nämlichen Wege, nur dass wir von den
Einfällen des Befragten bis zur Auffindung des störenden Elementes einen
längeren Weg durch eine komplexe Assoziationsreihe zurückzulegen haben.
Ich verweile noch bei einem
anderen interessanten Verhalten, für das die Beispiele
Meringers Zeugnis ablegen. Nach der
Einsicht des Autors selbst ist es irgend eine Ähnlichkeit eines Wortes im
intendierten Satz mit einem anderen nicht intendierten, welche dem letzteren
gestattet, sich durch die Verursachung einer Entstellung, Mischbildung,
Kompromissbildung (Kontamination) im Bewusstsein zur Geltung zu bringen.
lagen, dauert,
Vorschein.
jagen, traurig, …schwein.
Nun habe ich in meiner Schrift
über die „Traumdeutung“[6] dargetan, welchen Anteil die Verdichtungsarbeit an der Entstehung des sog. manifesten Trauminhaltes
aus den latenten Traumgedanken hat. Irgend eine Ähnlichkeit der Dinge oder der
Wortvorstellungen zwischen zwei Elementen des unbewussten Materials wird da zum
Anlass genommen, um ein Drittes, eine Misch- oder Kompromissvorstellung zu
schaffen, welche im Trauminhalt ihre beiden Komponenten vertritt, und die
infolge dieses Ursprungs so häufig mit widersprechenden Einzelbestimmungen
ausgestattet ist. Die Bildung von Substitutionen und Kontaminationen beim
Versprechen ist somit ein Beginn jener Verdichtungsarbeit, die wir in
eifrigster Tätigkeit am Aufbau des Traumes beteiligt finden.
[22] In einem kleinen für weitere Kreise
bestimmten Aufsatz (Neue freie Presse vom 23. Aug. 1900: „Wie man
sich versprechen kann“) hat Meringer
eine besondere praktische Bedeutung für gewisse Fälle von Wortvertauschungen in
Anspruch genommen, für solche nämlich, in denen man ein Wort durch sein
Gegenteil dem Sinne nach ersetzt. „Man
erinnert sich wohl noch der Art, wie vor einiger Zeit der Präsident des
österreichischen Abgeordnetenhauses die Sitzung eröffnete: »Hohes Haus! Ich konstatiere die Anwesenheit von so und
soviel Herren und erkläre somit die Sitzung für geschlossen!«
Die allgemeine Heiterkeit machte ihn erst aufmerksam, und er verbesserte den
Fehler. Im vorliegenden Falle wird die Erklärung wohl diese sein, dass der
Präsident sich wünschte,
er wäre schon in der Lage, die Sitzung, von der wenig Gutes zu erwarten stand,
zu schliessen, aber – eine häufige Erscheinung – der Nebengedanke setzte sich
wenigstens teilweise durch, und das Resultat war »geschlossen« für »eröffnet«,
also das Gegenteil dessen, was zu sprechen beabsichtigt war. Aber vielfältige
Beobachtung hat mich belehrt, dass man gegensätzliche Worte überhaupt sehr
häufig mit einander vertauscht; sie sind eben schon in unserem
Sprachbewusstsein assoziiert, liegen hart nebeneinander und werden leicht
irrtümlich aufgerufen.“
Nicht in allen Fällen von
Gegensatzvertauschung wird es so leicht, wie hier im Beispiel des Präsidenten,
wahrscheinlich zu machen, dass das Versprechen in Folge eines Widerspruchs
geschieht, der sich im Innern des Redners gegen den geäusserten Satz erhebt.
Wir haben den analogen Mechanismus in der Analyse des Beispiels: aliquis gefunden; dort äusserte sich der innere Widerspruch im Vergessen eines
Wortes anstatt seiner Ersetzung durch das Gegenteil. Wir wollen aber zur
Ausgleichung des Unterschiedes bemerken, dass das Wörtchen
aliquis eines ähnlichen Gegensatzes, wie ihn »schliessen«
zu »eröffnen« ergibt, eigentlich nicht fähig ist, und das »eröffnen« als
gebräuchlicher Bestandteil des Redeschatzes dem Vergessen nicht unterworfen
sein kann.
Zeigen uns die letzten Beispiele
von Meringer und
Mayer, dass die Sprechstörung
ebensowohl durch den Einfluss vor- und nachklingender Laute und Worte desselben
Satzes entstehen kann, die
zum Ausgesprochenwerden bestimmt sind, wie durch die Einwirkung von Worten
ausserhalb des intendierten Satzes, deren Erregung sich sonst nicht verraten hätte,
so werden wir zunächst erfahren wollen, ob man die beiden Klassen von
Versprechen scharf sondern, und wie man ein Beispiel der einen von einem Fall
der anderen Klasse unterscheiden kann. An dieser Stelle der Erörterung muss man
aber der [23] Äusserungen
Wundts gedenken, der in seiner eben
erscheinenden umfassenden Bearbeitung der Entwicklungsgesetze der Sprache (Völkerpsychologie,
I. Band, I. Teil p. 371 u. ff., 1900) auch die
Erscheinungen des Versprechens behandelt. Was bei diesen Erscheinungen und
anderen, ihnen verwandten, niemals fehlt, das sind nach
Wundt gewisse psychische Einflüsse.
„Dahin gehört zunächst als positive Bedingung der ungehemmte Fluss der von den
gesprochenen Lauten angeregten Laut- und Wortassoziationen.
Ihm tritt der Wegfall oder der Nachlass der diesen Lauf hemmenden Wirkungen des
Willens und der auch hier als Willensfunktion sich betätigenden Aufmerksamkeit
als negatives Moment zur Seite. Ob jenes Spiel der Assoziation darin sich
äussert, das ein kommender Laut antizipiert oder die vorausgegangenen
reproduziert, oder ein gewohnheitsmässig eingeübter zwischen andere eingeschaltet
wird, oder endlich darin, dass ganz andere Worte, die mit den gesprochenen
Lauten in assoziativer Beziehung stehen, auf diese herüberwirken – alles dies
bezeichnet nur Unterschiede in der Richtung und allenfalls in dem Spielraum der
stattfindenden Assoziationen, nicht in der allgemeinen Natur derselben. Auch
kann es in manchen Fällen zweifelhaft sein, welcher Form man eine bestimmte
Störung zuzurechnen, oder ob man sie nicht mit grösserem Rechte nach dem Prinzip der
Komplikation der Ursachen[7] auf ein Zusammentreffen mehrerer Motive zurückzuführen habe.“ (p. 380
und 381.)
Ich halte diese Bemerkungen
Wundts für vollberechtigt und sehr
instruktiv. Vielleicht könnte man mit grösserer Entschiedenheit als
Wundt betonen, dass das positiv
begünstigende Moment der Sprechfehler – der ungehemmte Fluss der Assoziationen
– und das negative – der Nachlass der hemmenden Aufmerksamkeit – regelmässig
miteinander zur Wirkung gelangen, so dass beide Momente nur zu verschiedenen Bestimmungen
des nämlichen Vorganges werden. Mit dem Nachlass der hemmenden Aufmerksamkeit
tritt eben der ungehemmte Fluss der Assoziationen in Tätigkeit; noch
unzweifelhafter ausgedrückt: durch diesen Nachlass.
Unter den Beispielen von
Versprechen, die ich selbst gesammelt, finde ich kaum eines, bei dem ich die
Sprechstörung einzig und allein auf das, was Wundt »Kontaktwirkung der Laute« nennt, zurückführen
müsste. Fast regelmässig entdecke ich überdies einen störenden Einfluss von
etwas ausserhalb
der intendierten Rede, und das Störende ist entweder ein einzelner, unbewusst
gebliebener Gedanke, der sich [24] durch das Versprechen kundgibt und oft erst durch eingehende Analyse zum
Bewusstsein gefördert werden kann, oder es ist ein allgemeineres psychisches Motiv,
welches sich gegen die ganze Rede richtet.
a.
Beispiel: Ich will gegen meine Tochter,
die beim Einbeissen in einen Apfel ein garstiges Gesicht geschnitten hat,
zitieren:
Der Affe gar possierlich ist,
Zumal wenn er vom Apfel frisst.
Ich beginne aber: Der Apfe… Dies scheint eine Kontamination von »Affe« und »Apfel«
(Kompromissbildung) oder kann auch als Antizipation des vorbereiteten »Apfel«
aufgefasst werden. Der genauere Sachverhalt ist aber der: Ich hatte das Zitat
schon einmal begonnen und mich das erstemal dabei nicht versprochen. Ich
versprach mich erst bei der Wiederholung, die sich als notwendig ergab, weil
die Angesprochene, von anderer Seite mit Beschlag belegt, nicht zuhörte. Diese
Wiederholung, die mit ihr verbundene Ungeduld, des Satzes ledig zu werden, muss
ich in die Motivierung des Sprechfehlers, der sich als eine
Verdichtungsleistung darstellt, mit einrechnen.
b.
Meine Tochter sagt: Ich schreibe der Frau Schresinger … Die Frau heisst Schlesinger.
Dieser Sprechfehler hängt wohl mit einer Tendenz zur Erleichterung der
Artikulation zusammen, denn das l ist nach wiederholtem r schwer auszusprechen.
Ich muss aber hinzufügen, dass sich dieses Versprechen bei meiner Tochter
ereignete, nachdem ich ihr wenige Minuten zuvor »Apfe« anstatt »Affe« vorgesagt
hatte. Nun ist das Versprechen in hohem Grade ansteckend, ähnlich wie das
Namenvergessen, bei dem Meringer
und Mayer diese
Eigentümlichkeit bemerkt haben. Einen Grund für diese psychische Kontagiosität
weiss ich nicht anzugeben.
c.
„Ich
klappe zusammen wie ein Tassenmescher
– Taschenmesser“,
sagt eine Patientin zu Beginn der Stunde, die Laute vertauschend, wobei ihr
wieder die Artikulationsschwierigkeit („Wiener Weiber Wäscherinnen waschen
weisse Wäsche – Fischflosse“
und ähnliche Prüfworte) zur Entschuldigung dienen kann. Auf den Sprechfehler
aufmerksam gemacht, erwidert sie prompt: „Ja, das ist nur, weil Sie heute
»Ernscht« gesagt haben.“ Ich hatte sie wirklich mit der Rede empfangen: „Heute
wird es also Ernst“ (weil es die letzte Stunde vor dem Urlaub werden sollte)
und hatte das »Ernst« scherzhaft zu »Ernscht« verbreitert. Im Laufe der Stunde
verspricht sie sich immer wieder von neuem, und ich merke endlich, dass sie
mich [25] nicht bloss
imitiert, sondern dass sie einen besonderen Grund hat, im Unbewussten bei dem
Worte Ernst als Namen zu verweilen.[8]
d.
„Ich bin so verschnupft, ich kann nicht
durch die Ase natmen
– Nase atmen“ passiert derselben Patientin ein anderes Mal. Sie weiss sofort,
wie sie zu diesem Sprechfehler kommt. „Ich steige jeden Tag in der Hasenauergasse in
die Tramway, und heute früh ist mir während des Wartens auf den Wagen
eingefallen, wenn ich eine Französin wäre, würde ich Asenauer
aussprechen, denn die Franzosen lassen das H im Anlaut immer weg.“ Sie bringt
dann eine Reihe von Reminiszenzen an Franzosen, die sie kennen gelernt hat, und
langt nach weitläufigen Umwegen bei der Erinnerung an, dass sie als 14jähriges
Mädchen in dem kleinen Stück „Kurmärker und Picarde“ die Picarde gespielt und
damals gebrochen Deutsch gesprochen hat. Die Zufälligkeit, dass in ihrem
Logierhaus ein Gast aus Paris angekommen ist, hat die ganze Reihe von
Erinnerungen wachgerufen. Die Lautvertauschung ist also Folge der Störung durch
einen unbewussten Gedanken aus einem ganz fremden Zusammenhang.
e.
Ähnlich ist der Mechanismus des
Versprechens bei einer anderen Patientin, die mitten in der Reproduktion einer
längst verschollenen Kindererinnerung von ihrem Gedächtnis verlassen wird. An
welche Körperstelle die vorwitzige und lüsterne Hand des Anderen gegriffen hat,
will ihr das Gedächtnis nicht mitteilen. Sie macht unmittelbar darauf einen
Besuch bei einer Freundin und unterhält sich mit ihr über Sommerwohnungen.
Gefragt, wo denn ihr Häuschen in M. gelegen sei, antwortet sie: an der Berglende anstatt Berglehne.
f.
Eine andere Patientin, die ich nach
Abbruch der Stunde frage, wie es ihrem Onkel geht, antwortet: „Ich weiss nicht,
ich sehe ihn jetzt nur in flagranti“. Am nächsten Tage beginnt sie: „Ich habe
mich recht geschämt, Ihnen eine so dumme Antwort gegeben zu haben. Sie müssen
mich natürlich für eine ganz ungebildete Person halten, die beständig
Fremdwörter verwechselt. Ich wollte sagen: en passant.“ Wir
wussten damals noch nicht, woher sie die unrichtig angewendeten Fremdworte genommen
hatte. In derselben Sitzung [26] aber brachte sie als Fortsetzung des vortägigen Themas eine Reminiszenz,
in welcher das Ertapptwerden in
flagranti die Hauptrolle
spielte. Der Sprechfehler am Tage vorher hatte also die damals noch nicht
bewusst gewordene Erinnerung antizipiert.
g.
Gegen eine Andere muss ich an einer
gewissen Stelle der Analyse die Vermutung aussprechen, dass sie sich zu der
Zeit, von welcher wir eben handeln, ihrer Familie geschämt und ihrem Vater
einen uns noch unbekannten Vorwurf gemacht habe. Sie erinnert sich nicht daran,
erklärt es übrigens für unwahrscheinlich. Sie setzt aber das Gespräch mit
Bemerkungen über ihre Familie fort: „Man muss ihnen das eine lassen: Es sind
doch besondere Menschen, sie haben alle Geiz – ich wollte sagen Geist.“ Das war denn
auch wirklich der Vorwurf, den sie aus ihrem Gedächtnis verdrängt hatte. Dass
sich in dem Versprechen gerade jene Idee durchdrängt, die man zurückhalten
will, ist ein häufiges Vorkommnis (Vgl. den Fall von
Meringer: zum Vorschwein gekommen).
Der Unterschied liegt nur darin, dass die Person bei
Meringer etwas zurückhalten will,
was ihr bewusst ist, während meine Patientin das Zurückgehaltene nicht weiss,
oder wie man auch sagen kann, nicht weiss, dass sie etwas und was sie
zurückhält.
h.
„Wenn Sie Teppiche kaufen wollen, so gehen
Sie nur zu Kaufmann in der Mathäusgasse. Ich glaube, ich kann Sie dort auch
empfehlen“, sagt mir eine Dame. Ich wiederhole: „Also bei Mathäus …. bei Kaufmann will ich
sagen.“ Es sieht aus wie Folge von Zerstreutheit, wenn ich den einen Namen an
Stelle des anderen wiederhole. Die Rede der Dame hat mich auch wirklich
zerstreut gemacht, denn sie hat meine Aufmerksamkeit auf anderes gelenkt, was
mir weit wichtiger ist als Teppiche. In der Mathäusgasse steht nämlich das
Haus, in dem meine Frau als Braut gewohnt hatte. Der Eingang des Hauses war in
einer anderen Gasse, und nun merke ich, dass ich deren Namen vergessen habe und
ihn mir erst auf einem Umweg bewusst machen muss. Der Name Mathäus, bei dem ich
verweile, ist mir also ein Ersatzname für den vergessenen Namen der Strasse. Er
eignet sich besser dazu als der Name Kaufmann, denn Mathäus ist ausschliesslich
ein Personenname, was Kaufmann nicht ist, und die vergessene Strasse heisst
auch nach einem Personennamen: Radetzky.
i.
Folgenden
Fall könnte ich ebenso gut bei den später zu besprechenden »Irrtümern«
unterbringen, führe ihn aber hier an, weil die Lautbeziehungen, auf Grund deren
die Wortersetzung erfolgt, ganz besonders deutlich sind. Eine Patientin erzählt
mir ihren Traum: Ein Kind hat beschlossen, sich durch einen Schlangenbiss zu
töten. Es [27] führt den
Entschluss aus. Sie sieht zu, wie es sich in Krämpfen windet usw. Sie soll nun
die Tagesanknüpfung für diesen Traum finden. Sie erinnert sofort, dass sie
gestern abends eine populäre Vorlesung über erste Hilfe bei Schlangenbissen mit
angehört. Wenn ein Erwachsener und ein Kind gleichzeitig gebissen worden sind,
so soll man zuerst die Wunde des Kindes behandeln. Sie erinnert auch, welche
Vorschriften für die Behandlung der Vortragende gegeben hat. Es käme sehr viel
darauf an, hat er auch geäussert, von welcher Art man gebissen worden ist. Hier
unterbreche ich sie und frage: Hat er denn nicht gesagt, dass wir nur sehr
wenig giftige Arten in unserer Gegend haben, und welche die gefürchteten sind?
„Ja, er hat die Klapperschlange hervorgehoben“. Mein Lachen macht sie dann
aufmerksam, dass sie etwas Unrichtiges gesagt hat. Sie korrigiert jetzt aber
nicht etwa den Namen, sondern sie nimmt ihre Aussage zurück. „Ja so, die kommt
ja bei uns nicht vor; er hat von der Viper gesprochen. Wie gerate ich nur auf
die Klapperschlange?“ Ich vermutete, durch die Einmengung der Gedanken, die
sich hinter ihrem Traum verborgen hatten. Der Selbstmord durch Schlangenbiss
kann kaum etwas anderes sein als eine Anspielung auf die schöne Kleopatra.
Die weitgehende Lautähnlichkeit der beiden Worte, die Übereinstimmung in den
Buchstaben Kl..p..r in der nämlichen Reihenfolge und in dem betonten a
sind nicht zu verkennen. Die gute Beziehung zwischen den Namen Klapperschlange und Kleopatra erzeugt bei ihr eine momentane
Einschränkung des Urteils, derzufolge sie an der Behauptung, der Vortragende
habe sein Publikum in Wien in der Behandlung von Klapperschlangenbissen
unterwiesen, keinen Anstoss nimmt. Sie weiss sonst so gut wie ich, dass diese
Schlange nicht zur Fauna unserer Heimat gehört. Wir wollen es ihr nicht
verübeln, dass sie an die Versetzung der Klapperschlange nach Egypten
ebensowenig Bedenken knüpfte, denn wir sind gewöhnt, alles Aussereuropäische,
Exotische zusammenzuwerfen, und ich selbst musste mich einen Moment besinnen,
ehe ich die Behauptung aufstellte, dass die Klapperschlange nur der neuen Welt
angehört.
Weitere Bestätigungen ergeben
sich bei Fortsetzung der Analyse. Die Träumerin hat gestern zum erstenmal die
in der Nähe ihrer Wohnung aufgestellte Antoniusgruppe von Strasser besichtigt.
Dies war also der zweite Traumanlass (der erste der Vortrag über
Schlangenbisse). In der Fortsetzung ihres Traumes wiegte sie ein Kind in ihren
Armen, zu welcher Szene ihr das Gretchen einfällt. Weitere Einfälle bringen
Reminiszenzen an »Arria
und Messalina«.
Das Auftauchen [28] so vieler Namen von
Theaterstücken in den Traumgedanken lässt bereits vermuten, dass bei der
Träumerin in früheren Jahren eine geheim gehaltene Schwärmerei für den Beruf
der Schauspielerin bestand. Der Anfang des Traumes: „Ein Kind hat beschlossen,
sein Leben durch einen Schlangenbiss zu enden“, bedeutet wirklich nichts
anderes als: Sie hat sich als Kind vorgenommen, einst eine berühmte
Schauspielerin zu werden. Von dem Namen Messalina zweigt endlich der Gedankenweg ab, der
zu dem wesentlichen Inhalt dieses Traumes führt. Gewisse Vorfälle der letzten
Zeit haben in ihr die Besorgnis erweckt, dass ihr einziger Bruder eine nicht
standesgemässe Ehe mit einer Nicht-Arierin, eine Mésalliance eingehen
könnte.
Bei dem psychotherapeutischen
Verfahren, dessen ich mich zur Auflösung und Beseitigung neurotischer Symptome
bediene, ist sehr häufig die Aufgabe gestellt, aus den wie zufällig vorgebrachten
Reden und Einfällen des Patienten einen Gedankeninhalt aufzuspüren, der zwar
sich zu verbergen bemüht ist, aber doch nicht umhin kann, sich in
mannigfaltigster Weise unabsichtlich zu verraten. Dabei leistet oft das
Versprechen die wertvollsten Dienste, wie ich an den überzeugendsten und
andererseits sonderbarsten Beispielen dartun könnte. Die Patienten sprechen
z. B. von ihrer Tante und nennen sie konsequent, ohne das Versprechen zu
merken, »meine Mutter«, oder bezeichnen ihren Mann als ihren »Bruder«. Sie
machen mich auf diese Weise aufmerksam, dass sie diese Personen miteinander
»identifiziert«, in eine Reihe gebracht haben, welche für ihr Gefühlsleben die
Wiederkehr desselben Typus bedeutet. Andere Male reicht eine ungewöhnlich
klingende Wortfügung, eine gezwungen erscheinende Ausdrucksweise hin, um den
Anteil eines verdrängten Gedankens an der anders motivierten Rede des Patienten
aufzudecken.
In groben wie in solchen feineren
Redestörungen, die sich eben noch dem »Versprechen« subsumieren lassen, finde
ich also nicht den Einfluss von Kontaktwirkungen der Laute, sondern den von
Gedanken ausserhalb der Redeintention massgebend für die Entstehung des
Versprechens und hinreichend zur Aufhellung des zustande gekommenen
Sprechfehlers. Die Gesetze, nach denen die Laute verändernd auf einander
einwirken, möchte ich nicht anzweifeln; sie scheinen mir aber nicht wirksam
genug, um für sich allein die korrekte Ausführung der Rede zu stören. In den
Fällen, die ich genauer studiert und durchschaut habe, stellen sie bloss den
vorgebildeten Mechanismus dar, dessen sich ein ferner gelegenes psychisches
Motiv bequemerweise bedient, ohne sich aber an den Machtbereich dieser
Beziehungen zu [29] binden. In einer
grossen Reihe von Substitutionen wird beim Versprechen von solchen Lautgesetzen
völlig abgesehen. Ich befinde mich hierbei in voller Übereinstimmung mit
Wundt, der gleichfalls die
Bedingungen des Versprechens als zusammengesetzte und weit über die
Kontaktwirkungen der Laute hinausgehende vermutet.
Wenn ich diese »entfernteren
psychischen Einflüsse« nach Wundts
Ausdruck für gesichert halte, so weiss ich andererseits von keiner Abhaltung,
um auch zuzugeben, dass bei beschleunigter Rede und einigermassen abgelenkter
Aufmerksamkeit die Bedingungen fürs Versprechen sich leicht auf das von
Meringer und
Mayer bestimmte Mass einschränken
können. Bei einem Teil der von diesen Autoren gesammelten Beispiele ist wohl
eine kompliziertere Auflösung wahrscheinlicher. Ich greife etwa den vorhin
angeführten Fall heraus:
Es war mir auf der Schwest…
Brust so schwer.
Geht es hier wohl so einfach zu,
dass das schwe
das gleichwertige Bru
als Vorklang verdrängt? Es ist kaum abzuweisen, dass die Laute schwe ausserdem
durch eine besondere Relation zu dieser Vordringlichkeit befähigt werden. Diese
könnte dann keine andere sein als die Assoziation: Schwester – Bruder, etwa noch: Brust der Schwester, die zu
anderen Gedankenkreisen hinüberleitet. Dieser hinter der Szene unsichtbare
Helfer verleiht dem sonst harmlosen schwe die Macht, deren Erfolg sich als
Sprechfehler äussert.
Für anderes Versprechen lässt
sich annehmen, dass der Anklang an obszöne Worte und Bedeutungen das eigentlich
Störende ist. Die absichtliche Entstellung und Verzerrung der Worte und
Redensarten, die bei unartigen Menschen so beliebt ist, bezweckt nichts
anderes, als beim harmlosen Anlass an das Verpönte zu mahnen, und diese
Spielerei ist so häufig, dass es nicht wunderbar wäre, wenn sie sich auch
unabsichtlich und wider Willen durchsetzen sollte. Beispiele wie: Eischeissweibchen
für Eiweissscheibchen,
Apopos
Fritz für Apropos,
Lokuskapitäl
für Lotuskapitäl
etc. vielleicht noch die Alabüsterbachse (Alabasterbüchse) der
hl. Magdalena gehören wohl in diese Kategorie.[9] – „Ich fordere Sie auf, auf das Wohl unseres Chefs aufzustossen“, ist kaum etwas anderes als eine
unbeabsichtigte Parodie als Nachklang einer beabsichtigten. Wenn ich der Chef
wäre, zu dessen Feierlichkeit der Festredner diesen Lapsus beigetragen [30] hätte, würde ich wohl daran denken, wie
klug die Römer gehandelt haben, als sie den Soldaten des triumphierenden
Imperators gestatteten, den inneren Einspruch gegen den Gefeierten in
Spottliedern laut zu äussern. – Meringer
erzählt von sich selbst, dass er zu einer Person, die als die älteste der
Gesellschaft mit dem vertraulichen Ehrennamen »Senexl« oder »altes Senexl«
angesprochen wurde, einmal gesagt habe: „Prost Senex altesl!“ Er erschrak
selbst über diesen Fehler (p. 50). Wir können uns vielleicht
seinen Affekt deuten, wenn wir daran mahnen, wie nahe »Altesl« an den Schimpf
»alter Esel« kommt. Auf die Verletzung der Ehrfurcht vor dem Alter (d. i.,
auf die Kindheit reduziert, vor dem Vater) sind grosse innere Strafen gesetzt.
Ich hoffe, die Leser werden den
Wertunterschied dieser Deutungen, die sich durch nichts beweisen lassen, und
der Beispiele, die ich selbst gesammelt und durch Analysen erläutert habe,
nicht vernachlässigen. Wenn ich aber im stillen immer noch an der Erwartung
festhalte, auch die scheinbar einfachen Fälle von Versprechen würden sich auf
Störung durch eine halb unterdrückte Idee ausserhalb des intendierten Zusammenhanges
zurückführen lassen, so verlockt mich dazu eine sehr beachtenswerte Bemerkung
von Meringer. Dieser
Autor sagt, es ist merkwürdig, dass niemand sich versprochen haben will. Es
gibt sehr gescheute und ehrliche Menschen, welche beleidigt sind, wenn man
ihnen sagt, sie hätten sich versprochen. Ich getraue mich nicht, diese
Behauptung so allgemein zu nehmen, wie sie durch das »niemand« von
Meringer hingestellt wird. Die Spur
Affekt aber, die am Nachweis des Versprechens hängt und offenbar von der Natur
des Schämens ist, hat ihre Bedeutung. Sie ist gleichzusetzen dem Ärger, wenn
wir einen vergessenen Namen nicht erinnern, und der Verwunderung über die
Haltbarkeit einer scheinbar belanglosen Erinnerung, und weist allemale auf die
Beteiligung eines Motivs am Zustandekommen der Störung hin.
Das Verdrehen von Namen
entspricht einer Schmähung, wenn es absichtlich geschieht, und dürfte in einer
ganzen Reihe von Fällen, wo es als unabsichtliches Versprechen auftritt,
dieselbe Bedeutung haben. Jene Person, die nach
Mayers Bericht einmal »Freuder« sagte anstatt Freud, weil sie kurz
darauf den Namen »Breuer«
vorbrachte (p. 38), ein andermal von einer Freuer-Breudschen Methode (p. 28) sprach, war wohl
ein Fachgenosse und von dieser Methode nicht sonderlich entzückt. Einen gewiss
nicht anders aufzuklärenden Fall von Namensentstellung werde ich weiter unten
beim Verschreiben mitteilen. In diesen Fällen mengt sich als störendes Moment
eine Kritik [31] ein, welche bei
Seite gelassen werden soll, weil sie gerade in dem Zeitpunkte der Intention des
Redners nicht entspricht. In anderen und weit bedeutsameren Fällen ist es
Selbstkritik, innerer Widerspruch gegen die eigene Äusserung, was zum
Versprechen, ja zum Ersatz des Intendierten durch seinen Gegensatz nötigt. Man
merkt dann mit Erstaunen, wie der Wortlaut einer Beteuerung die Absicht
derselben aufhebt, und wie der Sprechfehler die innere Unaufrichtigkeit blossgelegt
hat.[10] Das Versprechen wird hier zu einem
mimischen Ausdrucksmittel.
Man gelangt von hier aus zu jenen
Redestörungen, die nicht mehr als Versprechen beschrieben werden, weil sie
nicht das einzelne Wort, sondern Rhythmus und Ausführung der ganzen Rede
beeinträchtigen, wie z. B. das Stammeln und Stottern der Verlegenheit.
Aber hier wie dort ist es der innere Konflikt, der uns durch die Störung der
Rede verraten wird. Ich glaube wirklich nicht, dass jemand sich versprechen
würde in der Audienz bei Seiner Majestät, in einer ernstgemeinten
Liebeswerbung, in einer Verteidigungsrede um Ehre und Namen vor den
Geschworenen, kurz in all den Fällen, in denen man ganz dabei ist, wie wir so bezeichnend
sagen. Selbst bis in die Schätzung des Stils, den ein Autor schreibt, dürfen
wir und sind wir gewöhnt, das Erklärungsprinzip zu tragen, welches wir bei der
Ableitung des einzelnen Sprechfehlers nicht entbehren können. Eine klare und
unzweideutige Schreibweise belehrt uns, dass der Autor hier mit sich einig ist,
und wo wir gezwungenen und gewundenen Ausdruck finden, der, wie so richtig
gesagt wird, nach mehr als einem Scheine schielt, da können wir den Anteil
eines nicht genugsam erledigten, komplizierenden Gedankens erkennen, oder die
erstickte Stimme der Selbstkritik des Autors heraushören.
V.
Verlesen und Verschreiben.
Dass für die Fehler im Lesen und
Schreiben die nämlichen Gesichtspunkte und Bemerkungen Geltung haben, wie für
die Sprechfehler, ist bei der inneren Verwandtschaft dieser Funktionen nicht zu
verwundern. Ich werde mich hier darauf beschränken, einige sorgfältig [32] analysierte Beispiele mitzuteilen, und
keinen Versuch unternehmen, das Ganze der Erscheinungen zu umfassen.
A. Verlesen.
a.
Ich durchblättere im Caféhaus eine Nummer
der »Leipziger Illustrierten«, die ich schräg vor mir halte, und lese als
Unterschrift eines sich über eine Seite erstreckenden Bildes: Eine
Hochzeitsfeier in der
Odyssee. Aufmerksam geworden und verwundert rücke ich mir das Blatt
zurecht und korrigiere jetzt: Eine Hochzeitsfeier an der Ostsee. Wie komme ich zu diesem
unsinnigen Lesefehler? Meine Gedanken lenken sich sofort auf ein Buch von
Ruths
»Experimentaluntersuchungen
über Musikphantome etc.«, das mich in der letzten Zeit viel beschäftigt
hat, weil es nahe an die von mir behandelten psychologischen Probleme streift.
Der Autor verspricht für nächste Zeit ein Werk, welches
»Analyse und
Grundgesetze der Traumphänomene« heissen wird. Kein Wunder, dass ich, der
ich eben eine »Traumdeutung« veröffentlicht habe, mit grösster
Spannung diesem Buch entgegensehe. In der Schrift
Ruths über Musikphantome fand ich vorne im
Inhaltsverzeichnis die Ankündigung des ausführlichen induktiven Nachweises,
dass die althellenischen Mythen und Sagen ihre Hauptwurzeln in Schlummer- und
Musikphantomen, in Traumphänomenen und auch in Delirien haben. Ich schlug
damals sofort im Texte nach, um herauszufinden, ob er auch um die Zurückführung
der Szene, wie Odysseus
vor Nausikaa
erscheint, auf den gemeinen Nacktheitstraum wisse. Mich hatte ein Freund auf
die schöne Stelle in G. Kellers
»Grünem Heinrich« aufmerksam gemacht, welche diese Episode der
Odyssee als Objektivierung der Träume des fern von der Heimat irrenden
Schiffers aufklärt, und ich hatte die Beziehung zum Exhibitionstraum der
Nacktheit hinzugefügt (p. 170). Bei
Ruths entdeckte ich nichts davon.
Mich beschäftigen in diesem Falle offenbar Prioritätsgedanken.
b.
Wie kam ich dazu, eines Tages aus der
Zeitung zu lesen: „Im
Fass durch Europa, anstatt: zu Fuss?“ Diese Auflösung bereitete mir lange
Zeit Schwierigkeiten. Die nächsten Einfälle deuteten allerdings: Es müsse das
Fass des Diogenes gemeint sein, und in einer Kunstgeschichte hatte ich unlängst
etwas über die Kunst zur Zeit Alexanders gelesen. Es lag dann nahe, an die
bekannte Rede Alexanders zu denken: Wenn ich nicht Alexander wäre, möchte ich
Diogenes sein. Auch schwebte mir etwas von einem gewissen Hermann Zeitung vor,
der in eine Kiste verpackt sich auf Reisen begeben [33] hatte. Aber weiter wollte sich der Zusammenhang nicht herstellen, und es
gelang mir nicht, die Seite in der Kunstgeschichte wieder aufzuschlagen, auf
welcher mir jene Bemerkung ins Auge gefallen war. Erst Monate später fiel mir
das bei Seite geworfene Rätsel plötzlich wieder ein, und diesmal zugleich mit
seiner Lösung. Ich erinnerte mich an die Bemerkung in einem Zeitungsartikel,
was für sonderbare Arten der Beförderung die Leute jetzt wählten, um nach Paris zur
Weltausstellung zu kommen, und dort war auch, wie ich glaube, scherzhaft
mitgeteilt worden, dass irgend ein Herr die Absicht habe, sich von einem
anderen Herrn in einem Fass
nach Paris rollen zu lassen. Natürlich hätten diese Leute kein anderes Motiv,
als durch solche Torheiten Aufsehen zu machen. Hermann Zeitung war in der Tat der Name
desjenigen Mannes, der für solche aussergewöhnliche Beförderungen das erste
Beispiel gegeben hatte. Dann fiel mir ein, dass ich einmal einen Patienten
behandelt, dessen krankhafte Angst vor der Zeitung sich als Reaktion gegen den
krankhaften Ehrgeiz
auflöste, sich gedruckt und als berühmt in der Zeitung erwähnt zu sehen. Der
mazedonische Alexander war gewiss einer der ehrgeizigsten Männer, die je
gelebt. Er klagte ja, dass er keinen Homer finden werde, der seine Taten besinge.
Aber wie konnte ich nur nicht
daran denken, dass ein anderer Alexander mir näher stehe, dass Alexander
der Name meines jüngeren Bruders ist! Ich fand nun sofort den anstössigen und
der Verdrängung bedürftigen Gedanken in betreff dieses Alexanders und die
aktuelle Veranlassung für ihn. Mein Bruder ist Sachverständiger in Dingen, die
Tarife und Transporte
angehen, und sollte zu einer gewissen
Zeit für seine Lehrtätigkeit an einer kommerziellen Hochschule den Titel
Professor erhalten. Für die gleiche Beförderung bin ich an der Universität seit
mehreren Jahren vorgeschlagen, ohne sie erreicht zu haben. Unsere Mutter
äusserte damals ihr Befremden darüber, dass ihr kleiner Sohn eher Professor
werden sollte als ihr grosser. So stand es zur Zeit, als ich die Lösung für
jenen Leseirrtum nicht finden konnte. Dann erhoben sich Schwierigkeiten auch
bei meinem Bruder; seine Chancen, Professor zu werden, fielen noch unter die
meinigen. Da aber wurde mir plötzlich der Sinn jenes Verlesens offenbar; es
war, als hätte die Minderung in den Chancen des Bruders ein Hindernis
beseitigt. Ich hatte mich so benommen, als läse ich die Ernennung des Bruders
in der Zeitung, und sagte mir dabei: Merkwürdig, dass man wegen solcher
Dummheiten (wie er sie als Beruf betreibt) in der Zeitung stehen (d. h.
zum Professor ernannt werden) kann! Die Stelle [34] über die hellenistische Kunst im Zeitalter Alexanders schlug ich dann ohne
Mühe auf und überzeugte mich zu meinem Erstaunen, dass ich während des
vorherigen Suchens wiederholt auf derselben Seite gelesen und jedesmal wie
unter der Herrschaft einer negativen Halluzination den betreffenden Satz
übergangen hatte. Dieser enthielt übrigens gar nichts, was mir Aufklärung
brachte, was des Vergessens wert gewesen wäre. Ich meine, das Symptom des
Nichtauffindens im Buche ist nur zu meiner Irreführung geschaffen worden. Ich
sollte die Fortsetzung der Gedankenverknüpfung dort suchen, wo meiner
Nachforschung ein Hindernis in den Weg gelegt war, also in irgend einer Idee
über den mazedonischen Alexander, und sollte so vom gleichnamigen Bruder
sicherer abgelenkt werden. Dies gelang auch vollkommen; ich richtete alle meine
Bemühungen darauf, die verlorene Stelle in jener Kunstgeschichte wieder
aufzufinden.
Der Doppelsinn des Wortes »Beförderung« ist in diesem Falle die
Assoziationsbrücke zwischen den zwei Gedankenkreisen, dem unwichtigen, der
durch die Zeitungsnotiz angeregt wird, und dem interessanteren, aber
anstössigen, der sich hier als Störung des zu Lesenden geltend machen darf. Man
ersieht aus diesem Beispiel, dass es nicht immer leicht wird, Vorkommnisse wie
diesen Lesefehler aufzuklären. Gelegentlich ist man auch genötigt, die Lösung
des Rätsels auf eine günstigere Zeit zu verschieben. Je schwieriger sich aber
die Lösungsarbeit erweist, desto sicherer darf man erwarten, dass der endlich
aufgedeckte störende Gedanke von unserem bewussten Denken als fremdartig und
gegensätzlich beurteilt werden wird.
c.
Ich erhalte eines Tages einen Brief aus
der Nähe Wiens, der mir eine erschütternde Nachricht mitteilt. Ich rufe auch
sofort meine Frau an und fordere sie zur Teilnahme daran auf, dass die arme Wilhelm M.
so schwer erkrankt und von den Ärzten aufgegeben ist. An den Worten, in welche
ich mein Bedauern kleide, muss aber etwas falsch geklungen haben, denn meine
Frau wird misstrauisch, verlangt den Brief zu sehen und äussert als ihre
Überzeugung, so könne es nicht darin stehen, denn niemand nenne eine Frau nach
dem Namen des Mannes, und überdies sei der Korrespondentin der Vorname der Frau
sehr wohl bekannt. Ich verteidige meine Behauptung hartnäckig und verweise auf
die so gebräuchlichen Visitkarten, auf denen eine Frau sich selbst mit dem
Vornamen des Mannes bezeichnet. Ich muss endlich den Brief zur Hand nehmen, und
wir lesen darin tatsächlich »der arme W. M.«, ja sogar, was ich ganz übersehen
hatte: »der arme Dr.
W. M.«. Mein Versehen bedeutete also einen, sozusagen [35] krampfhaften, Versuch, die traurige Neuigkeit von dem Manne auf die Frau
zu überwälzen. Der zwischen Artikel, Beiwort und Name eingeschobene Titel
passte schlecht zu der Forderung, es müsste die Frau gemeint sein. Darum wurde
er auch beim Lesen beseitigt. Das Motiv dieser Verfälschung war aber nicht,
dass mir die Frau weniger sympathisch wäre als der Mann, sondern das Schicksal
des armen Mannes hatte meine Besorgnisse um eine andere, mir nahe stehende
Person rege gemacht, welche eine der mir bekannten Krankheitsbedingungen mit
diesem Falle gemeinsam hatte.
B. Verschreiben.
a.
Auf einem Blatte, welches kurze tägliche
Aufzeichnungen meist von geschäftlichem Interesse enthält, finde ich zu meiner
Überraschung mitten unter den richtigen Daten des Monats September
eingeschlossen das verschriebene Datum »Donnerstag den 20. Okt.«. Es ist nicht
schwierig, diese Antizipation aufzuklären, und zwar als Ausdruck eines
Wunsches. Ich bin wenige Tage vorher frisch von der Ferienreise zurückgekehrt
und fühle mich bereit für ausgiebige ärztliche Beschäftigung, aber die Anzahl
der Patienten ist noch gering. Bei meiner Ankunft fand ich einen Brief von
einer Kranken vor, die sich für den 20. Oktober ankündigte. Als ich die gleiche
Tageszahl im September niederschrieb, kann ich wohl gedacht haben: Die X.
sollte doch schon da sein; wie schade um den vollen Monat! und in diesem
Gedanken rückte ich das Datum vor. Der störende Gedanke ist in diesem Falle
kaum ein anstössiger zu nennen; dafür weiss ich auch sofort die Auflösung des
Schreibfehlers, nachdem ich ihn erst bemerkt habe.
b.
Ich
erhalte die Korrektur meines Beitrags zum Jahresbericht für Neurologie und
Psychiatrie und muss natürlich mit besonderer Sorgfalt die Autornamen
revidieren, die, weil verschiedenen Nationen angehörig, dem Setzer die grössten
Schwierigkeiten zu bereiten pflegen. Manchen fremd klingenden Namen finde ich
wirklich noch zu korrigieren, aber einen einzigen Namen hat merkwürdiger Weise
der Setzer gegen
mein Manuskript verbessert und zwar mit vollem Rechte. Ich hatte nämlich Buckrhard
geschrieben, woraus der Setzer Burckhard erriet. Ich hatte die Abhandlung eines
Geburtshelfers über den Einfluss der Geburt auf die Entstehung der
Kinderlähmungen selbst als verdienstlich gelobt, wüsste auch nichts gegen deren
Autor zu sagen, aber den gleichen Namen wie er trägt auch ein Schriftsteller in
Wien, der mich durch eine unverständige Kritik über meine
»Traumdeutung« [36] geärgert hat. Es ist gerade so, als hätte
ich mir bei der Niederschrift des Namen Burckhard, der den Geburtshelfer bezeichnete,
etwas Arges über den anderen B., den Schriftsteller, gedacht, denn
Namenverdrehen bedeutet häufig genug, wie ich schon beim Versprechen erwähnt
habe, Schmähung.[11]
c.
Ein
anscheinend ernsterer Fall von Verschreiben, den ich vielleicht mit ebensoviel
Recht dem »Vergreifen« einordnen könnte: Ich habe die Absicht, mir aus der
Postsparkassa die Summe von 300 Kronen kommen zu lassen, die ich einem zum
Kurgebrauch abwesenden Verwandten schicken will. Ich bemerke dabei, dass mein
Konto auf 4380 Kr. lautet und nehme mir vor, es jetzt auf die runde Summe von
4000 Kr. herunterzusetzen, die in der nächsten Zeit nicht angegriffen werden
soll. Nachdem ich den Check ordnungsmässig ausgeschrieben und die der Zahl
entsprechenden Ziffern ausgeschnitten habe, merke ich plötzlich, dass ich nicht
380 Kr., wie ich wollte, sondern gerade 438 bestellt habe, und
erschrecke über die Unzuverlässigkeit meines Tuns. Den Schreck erkenne ich bald
als unberechtigt; ich bin ja jetzt nicht ärmer worden, als ich vorher war. Aber
ich muss eine ganze Weile darüber nachsinnen, welcher Einfluss hier meine erste
Intention gestört hat, ohne sich meinem Bewusstsein anzukündigen. Ich gerate
zuerst auf falsche Wege, will die beiden Zahlen, 380 und 438, von einander
abziehen, weiss aber dann nicht, was ich mit der Differenz anfangen soll.
Endlich zeigt mir ein plötzlicher Einfall den wahren Zusammenhang. 438
entspricht ja zehn
Prozent des ganzen Konto von 4380 Kr.! 10 pCt. Rabatt hat man aber
beim Buchhändler!
Ich besinne mich, dass ich vor wenigen Tagen eine Anzahl medizinischer Werke,
die ihr Interesse für mich verloren haben, ausgesucht, um sie dem Buchhändler
gerade für 300 Kronen anzubieten. Er fand die Forderung zu hoch und versprach,
in den nächsten Tagen endgiltige Antwort zu sagen. Wenn er mein Angebot
annimmt, so hat er mir gerade die Summe ersetzt, welche ich für den Kranken
verausgaben soll. Es ist nicht zu verkennen, dass es mir um diese Ausgabe leid
tut. Der Affekt bei der Wahrnehmung meines Irrtums lässt sich besser verstehen als
Furcht, durch solche Ausgaben arm zu werden. Aber [37] beides, das Bedauern wegen dieser Ausgabe und die an sie geknüpfte
Verarmungsangst, sind meinem Bewusstsein völlig fremd; ich habe das Bedauern
nicht verspürt, als ich jene Summe zusagte, und fände die Motivierung desselben
lächerlich. Ich würde mir eine solche Regung wahrscheinlich gar nicht zutrauen,
wenn ich nicht durch die Übung in Psychoanalysen bei Patienten mit dem
Verdrängten im Seelenleben ziemlich vertraut wäre, und wenn ich nicht vor einigen
Tagen einen Traum gehabt hätte, welcher die nämliche Lösung erforderte.[12]
Wundt gibt eine bemerkenswerte Begründung für
die leicht zu bestätigende Tatsache, dass wir uns leichter verschreiben als
versprechen (l. c. p. 374). „Im Verlaufe der
normalen Rede ist fortwährend die Hemmungsfunktion des Willens dahin gerichtet,
Vorstellungsverlauf und Artikulationsbewegung mit einander in Einklang zu
bringen. Wird die den Vorstellungen folgende Ausdrucksbewegung durch mechanische
Ursachen verlangsamt wie beim Schreiben …., so
treten daher solche Antizipationen besonders leicht ein.“
Die Beobachtung der Bedingungen,
unter denen das Verlesen auftritt, giebt Anlass zu einem Zweifel, den ich nicht
unerwähnt lassen möchte, weil er nach meiner Schätzung der Ausgangspunkt einer
fruchtbaren Untersuchung werden kann. Es ist jedermann bekannt, wie häufig beim
Vorlesen
die Aufmerksamkeit des Lesenden den Text verlässt und sich eigenen Gedanken
zuwendet. Die Folge dieses Abschweifens der Aufmerksamkeit ist nicht selten,
dass er überhaupt nicht anzugeben weiss, was er gelesen hat, wenn man ihn im
Vorlesen unterbricht und befragt. Er hat dann wie automatisch gelesen, aber er
hat fast immer richtig vorgelesen. Ich glaube nicht, dass die Lesefehler sich
unter solchen Bedingungen merklich vermehren. Von einer ganzen Reihe von
Funktionen sind wir auch gewöhnt, anzunehmen, dass sie automatisch, also von
kaum bewusster Aufmerksamkeit begleitet, am exaktesten vollzogen werden. Daraus
scheint zu folgen, dass die Aufmerksamkeitsbedingung der Sprech-, Lese- und
Schreibfehler anders zu bestimmen ist, als sie bei
Wundt lautet (Wegfall oder Nachlass
der Aufmerksamkeit). Die Beispiele, die wir der Analyse unterzogen haben, gaben
uns eigentlich nicht das Recht, eine quantitative Verminderung der
Aufmerksamkeit anzunehmen; wir fanden, was vielleicht nicht ganz dasselbe ist,
eine Störung
der Aufmerksamkeit durch einen fremden, Anspruch erhebenden Gedanken.
VI.
Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.
Wenn jemand geneigt sein sollte,
den Stand unserer gegenwärtigen Kenntnis vom Seelenleben zu überschätzen, so
brauchte man ihn nur an die Gedächtnisfunktion zu mahnen, um ihn zur
Bescheidenheit zu zwingen. Keine psychologische Theorie hat es noch vermocht,
von dem fundamentalen Phänomen des Erinnerns und Vergessens im Zusammenhange
Rechenschaft zu geben; ja, die vollständige Zergliederung dessen, was man als
tatsächlich beobachten kann, ist noch kaum in Angriff genommen. Vielleicht ist
uns heute das Vergessen rätselhafter geworden als das Erinnern, seitdem uns das
Studium des Traumes und pathologischer Ereignisse gelehrt hat, dass auch das
plötzlich wieder im Bewusstsein auftauchen kann, was wir für längst vergessen
geschätzt haben.
Wir sind allerdings im Besitze einiger
weniger Gesichtspunkte, für welche wir allgemeine Anerkennung erwarten. Wir
nehmen an, dass das Vergessen ein spontaner Vorgang ist, dem man einen gewissen
zeitlichen Ablauf zuschreiben kann. Wir heben hervor, dass beim Vergessen eine
gewisse Auswahl unter den dargebotenen Eindrücken stattfindet und ebenso unter
den Einzelheiten eines jeden Eindrucks oder Erlebnisses. Wir kennen einige der
Bedingungen für die Haltbarkeit im Gedächtnis und für die Erweckbarkeit dessen,
was sonst vergessen würde. Bei unzähligen Anlässen im täglichen Leben können
wir aber bemerken, wie unvollständig und unbefriedigend unsere Erkenntnis ist.
Man höre zu, wie zwei Personen, die gemeinsam äussere Eindrücke empfangen,
z. B. eine Reise mit einander gemacht haben, eine Zeitlang später ihre
Erinnerungen austauschen. Was dem einen
fest im Gedächtnis geblieben ist, das hat der andere oft vergessen, als ob es
nicht geschehen wäre, und zwar ohne dass man ein Recht zur Behauptung hätte,
der Eindruck sei für den einen psychisch bedeutsamer gewesen als für den
anderen. Eine ganze Anzahl der die Auswahl fürs Gedächtnis bestimmenden Momente
entzieht sich offenbar noch unserer Kenntnis.
In der Absicht, zur Kenntnis der
Bedingungen des Vergessens einen kleinen Beitrag zu liefern, pflege ich die
Fälle, in denen mir das Vergessen selbst widerfährt, einer psychologischen
Analyse zu unterziehen. Ich beschäftige mich in der Regel nur mit einer
gewissen Gruppe dieser Fälle, mit jenen nämlich, in denen das Vergessen mich in
Erstaunen setzt, weil ich nach meiner Erwartung das Betreffende [39] wissen sollte. Ich will noch bemerken,
dass ich zur Vergesslichkeit im allgemeinen (für Erlebtes, nicht für
Gelerntes!) nicht neige, und dass ich durch eine kurze Periode meiner Jugend
auch aussergewöhnlicher Gedächtnisleistungen nicht unfähig war. In meiner
Schulknabenzeit war es mir selbstverständlich, die Seite des Buches, die ich
gelesen hatte, auswendig hersagen zu können, und kurz vor der Universität war
ich imstande, populäre Vorträge wissenschaftlichen Inhalts unmittelbar nachher
fast wortgetreu niederzuschreiben. In der Spannung vor dem letzten
medizinischen Rigorosum muss ich noch Gebrauch von dem Rest dieser Fähigkeit
gemacht haben, denn ich gab in einigen Gegenständen den Prüfern wie automatisch
Antworten, die sich getreu mit dem Text des Lehrbuches deckten, welchen ich
doch nur einmal in der grössten Hast durchflogen hatte.
Die Verfügung über den
Gedächnisschatz ist seither bei mir immer schlechter geworden, doch habe ich
mich bis in die letzte Zeit hinein überzeugt, dass ich mit Hilfe eines
Kunstgriffes weit mehr erinnern kann, als ich mir sonst zutraue. Wenn
z. B. ein Patient in der Sprechstunde sich darauf beruft, dass ich ihn
schon einmal gesehen habe, und ich mich weder an die Tatsache noch an den Zeitpunkt
erinnern kann, so helfe ich mir, indem ich rate, d. h. mir rasch eine Zahl
von Jahren, von der Gegenwart an gerechnet, einfallen lasse. Wo Aufschreibungen
oder die sichere Angabe des Patienten eine Kontrolle meines Einfalles
ermöglichen, da zeigt es sich, dass ich selten um mehr als ein Halbjahr bei
über 10 Jahren geirrt habe.[13] Ähnlich, wenn ich einen entfernteren Bekannten treffe, den ich aus
Höflichkeit nach seinen kleinen Kindern frage. Erzählt er von den Fortschritten
derselben, so suche ich mir einfallen zu lassen, wie alt das Kind jetzt ist,
kontrolliere durch die Auskunft des Vaters und gehe höchstens um einen Monat,
bei älteren Kindern um ein Vierteljahr fehl, obwohl ich nicht angeben kann,
welche Anhaltspunkte ich für diese Schätzung hatte. Ich bin zuletzt so kühn
geworden, dass ich meine Schätzung immer spontan vorbringe, und laufe dabei
nicht Gefahr, den Vater durch die Blossstellung meiner Unwissenheit über seinen
Sprössling zu kränken. Ich erweitere so mein bewusstes Erinnern durch Anrufen
meines jedenfalls weit reichhaltigeren unbewussten Gedächtnisses.
Ich werde also über auffällige Beispiele
von Vergessen, die ich an mir selbst beobachtet, berichten. Ich unterscheide
Vergessen von Eindrücken und Erlebnissen, also von Wissen, und Vergessen von [40] Vorsätzen, also Unterlassungen. Das
einförmige Ergebnis der ganzen Reihe von Beobachtungen kann ich voranstellen: In allen Fällen erwies sich das
Vergessen als begründet durch ein Unlustmotiv.
A. Vergessen von Eindrücken und Kenntnissen.
a.
Im Sommer gab mir meine Frau einen an sich
harmlosen Anlass zu heftigem Ärger. Wir sassen an der Table
d'hôte einem Herrn aus Wien gegenüber, den ich kannte, und der sich wohl
auch an mich zu erinnern wusste. Ich hatte aber meine Gründe, die Bekanntschaft
nicht zu erneuern. Meine Frau, die nur den ansehnlichen Namen ihres Gegenüber
gehört hatte, verriet zu sehr, dass sie seinem Gespräch mit den Nachbarn
zuhörte, denn sie wandte sich von Zeit zu Zeit an mich mit Fragen, die den dort
gesponnenen Faden aufnahmen. Ich wurde ungeduldig und endlich gereizt. Wenige
Wochen später führte ich bei einer Verwandten Klage über dieses Verhalten
meiner Frau. Ich war aber nicht imstande, auch nur ein Wort der Unterhaltung
jenes Herrn zu erinnern. Da ich sonst eher nachtragend bin und keine Einzelheit
eines Vorfalls, der mich geärgert hat, vergessen kann, ist meine Amnesie in
diesem Falle wohl durch Rücksichten auf die Person der Ehefrau motiviert.
Ähnlich erging es mir erst vor kurzem wieder. Ich wollte mich gegen einen intim
Bekannten über eine Äusserung meiner Frau lustig machen, die erst vor wenigen
Stunden gefallen war, fand mich aber in diesem Vorsatz durch den
bemerkenswerten Umstand gehindert, dass ich die betreffende Äusserung spurlos
vergessen hatte. Ich musste erst meine Frau bitten, mich an dieselbe zu
erinnern. Es ist leicht zu verstehen, dass dies mein Vergessen analog zu fassen
ist der typischen Urteilsstörung, welcher wir unterliegen, wenn es sich um
unsere nächsten Angehörigen handelt.
b.
Ich hatte es übernommen, einer fremd in
Wien angekommenen Dame eine kleine eiserne Handkassette zur Aufbewahrung ihrer
Dokumente und Gelder zu besorgen. Als ich mich dazu erbot, schwebte mir mit
ungewöhnlicher visueller Lebhaftigkeit das Bild einer Auslage in der Inneren
Stadt vor, in welcher ich solche Kassen gesehen haben musste. Ich konnte mich
zwar an den Namen der Strasse nicht erinnern, fühlte mich aber sicher, dass ich
den Laden auf einem Spaziergang durch die Stadt auffinden werde, denn meine
Erinnerung sagte mir, dass ich unzählige Male an ihm vorübergegangen sei. Zu
meinem Ärger gelang es mir aber nicht, diese Auslage mit den Kassetten
aufzufinden, obwohl ich die Innere Stadt nach allen Richtungen durchstreifte. [41] Es blieb mir nichts anderes übrig, meinte
ich, als mir aus einem Adressenkalender die Kassenfabrikanten herauszusuchen,
um dann auf einem zweiten Rundgang die gesuchte Auslage zu identifizieren. Es
bedurfte aber nicht soviel; unter den im Kalender angezeigten Adressen befand sich
eine, die sich mir sofort als die vergessene enthüllte. Es war richtig, dass
ich ungezählte Male an dem Auslagefenster vorübergegangen war; jedesmal
nämlich, wenn ich die Familie M. besucht hatte, die seit langen Jahren in dem
nämlichen Hause wohnt. Seitdem dieser intime Verkehr einer völligen Entfremdung
gewichen war, pflegte ich, ohne mir von den Gründen Rechenschaft zu geben, auch
die Gegend und das Haus zu meiden. Auf jenem Spaziergang durch die Stadt hatte
ich, als ich die Kassetten in der Auslage suchte, jede Strasse in der Umgebung
begangen, dieser einen aber war ich, als ob ein Verbot darauf läge,
ausgewichen. Das Unlustmotiv, welches in diesem Fall meine Unorientiertheit
verschuldete, ist greifbar. Der Mechanismus des Vergessens ist aber nicht mehr
so einfach wie im vorigen Beispiel. Meine Abneigung gilt natürlich nicht dem
Kassenfabrikanten, sondern einem anderen, von dem ich nichts wissen will, und
überträgt sich von diesem anderen auf die Gelegenheit, wo sie das Vergessen
zustande bringt. Ganz ähnlich hatte im Falle Burckhard der Groll gegen den einen den
Schreibfehler im Namen hervorgebracht, wo es sich um den anderen handelte. Was
hier die Namensgleichheit leistete, die Verknüpfung zwischen zwei im Wesen
verschiedenen Gedankenkreisen herzustellen, das konnte im Beispiel von dem
Auslagefenster die Kontiguität im Raum, die untrennbare Nachbarschaft ersetzen.
Übrigens war dieser letzte Fall fester gefügt; es fand sich noch eine zweite
inhaltliche Verknüpfung vor, denn unter den Gründen der Entfremdung mit der im
Hause wohnenden Familie hatte das Geld eine grosse Rolle gespielt.
c.
Ich werde von dem Bureau
B. & R. bestellt, einen ihrer Beamten ärztlich zu besuchen. Auf
dem Wege zu dessen Wohnung beschäftigt mich die Idee, ich müsste schon
wiederholt in dem Hause gewesen sein, in welchem sich die Firma befindet. Es
ist mir, als ob mir die Tafel derselben in einem niedrigen Stockwerk
aufgefallen wäre, während ich in einem höheren einen ärztlichen Besuch zu
machen hatte. Ich kann mich aber weder daran erinnern, welches dieses Haus ist,
noch wen ich dort besucht habe. Obwohl die ganze Angelegenheit gleichgiltig und
bedeutungslos ist, beschäftige ich mich doch mit ihr und erfahre endlich auf
dem gewöhnlichen Umwege, indem ich meine Einfälle dazu sammle, dass sich einen
Stock über den Lokalitäten der Firma B. & R. die Pension Fischer befindet, in
welcher ich häufig [42] Patienten besucht
habe. Ich kenne jetzt auch das Haus, welches die Bureaux und die Pension
beherbergt. Rätselhaft ist mir noch, welches Motiv bei diesem Vergessen im
Spiele war. Ich finde nichts für die Erinnerung Anstössiges an der Firma selbst
oder an Pension Fischer oder an den Patienten, die dort wohnten. Ich vermute
auch, dass es sich um nicht sehr Peinliches handeln kann; sonst wäre es mir
kaum gelungen, mich des Vergessenen auf einem Umwege wieder zu bemächtigen,
ohne äussere Hilfsmittel wie im vorigen Beispiel heranzuziehen. Es fällt mir
endlich ein, dass mich eben vorhin, als ich den Weg zu dem neuen Patienten
antrat, ein Herr auf der Strasse gegrüsst hat, den ich Mühe hatte zu erkennen.
Ich hatte diesen Mann vor Monaten in einem anscheinend schweren Zustand gesehen
und die Diagnose der progressiven Paralyse über ihn verhängt, dann aber gehört,
dass er hergestellt sei, so dass mein Urteil unrichtig gewesen wäre. Wenn nicht
etwa hier eine der Remissionen vorliegt, die sich auch bei Dementia paralytica
finden, so dass meine Diagnose doch noch gerechtfertigt wäre! Von dieser
Begegnung ging der Einfluss aus, der mich an die Nachbarschaft der Bureaux von
B. & R. vergessen liess, und mein Interesse, die Lösung des
Vergessenen zu finden, war von diesem Fall strittiger Diagnostik her
übertragen. Die assoziative Verknüpfung aber wurde bei geringem inneren
Zusammenhang – der wider Erwarten Genesene war auch Beamter eines grossen
Bureaus, welches mir Kranke zuzuweisen pflegte – durch eine Namensgleichheit
besorgt. Der Arzt, mit welchem gemeinsam ich den fraglichen Paralytiker gesehen
hatte, hiess auch Fischer,
wie die in dem Haus befindliche, vom Vergessen betroffene Pension.
d.
Ein
Ding verlegen
heisst ja nichts anderes als vergessen, wohin man es gelegt hat, und wie die
meisten mit Schriften und Büchern hantierenden Personen bin ich auf meinem
Schreibtisch wohl orientiert und weiss das Gesuchte mit einem Griff
hervorzuholen. Was anderen als Unordnung erscheint, ist für mich historisch
gewordene Ordnung. Warum habe ich aber unlängst einen Bücherkatalog, der mir
zugeschickt wurde, so verlegt, dass er unauffindbar geblieben ist? Ich hatte
doch die Absicht, ein Buch, das ich darin angezeigt fand,
Ȇber die
Sprache«, zu bestellen, weil es von einem Autor herrührt, dessen
geistreich belebten Stil ich liebe, dessen Einsicht in der Psychologie und
dessen Kenntnisse in der Kulturhistorie ich zu schätzen weiss. Ich meine,
gerade darum habe ich den Katalog verlegt. Ich pflege nämlich Bücher dieses
Autors zur Aufklärung unter meinen Bekannten zu verleihen, und vor wenigen
Tagen hat mir jemand bei [43] der Rückstellung gesagt: „Der Stil erinnert mich ganz an den Ihrigen, und
auch die Art zu denken ist dieselbe.“ Der Redner wusste nicht, an was er mit
dieser Bemerkung rührte. Vor Jahren, als ich noch jünger und
anschlussbedürftiger war, hat mir ungefähr das Nämliche ein älterer Kollege
gesagt, dem ich die Schriften eines bekannten medizinischen Autors angepriesen
hatte. „Ganz Ihr Stil und Ihre Art.“ So beeinflusst hatte ich diesem Autor
einen um näheren Verkehr werbenden Brief geschrieben, wurde aber durch eine
kühle Antwort in meine Schranken zurückgewiesen. Vielleicht verbergen sich
ausserdem noch frühere abschreckende Erfahrungen hinter dieser letzten, denn
ich habe den verlegten Katalog nicht wiedergefunden und bin durch dieses
Vorzeichen wirklich abgehalten worden, das angezeigte Buch zu bestellen, obwohl
ein wirkliches Hindernis durch das Verschwinden des Kataloges nicht geschaffen
worden ist. Ich habe ja die Namen des Buches und des Autors im Gedächtnis
behalten.[14]
e.
Im Sommer dieses Jahres erklärte ich
einmal meinem Freunde Fl., mit dem ich in regem Gedankenaustausch über
wissenschaftliche Fragen stehe: Diese neurotischen Probleme sind nur dann zu
lösen, wenn wir uns ganz und voll auf den Boden der Annahme einer
ursprünglichen Bisexualität des Individuums stellen. Ich erhielt zur Antwort:
„Das habe ich Dir schon vor 2½ Jahren in Br. gesagt, als wir jenen
Abendspaziergang machten. Du wolltest damals nichts davon hören.“ Es ist nun
schmerzlich, so zum Aufgeben seiner Originalität aufgefordert zu werden. Ich
konnte mich an ein solches Gespräch und an diese Eröffnung meines Freundes
nicht erinnern. Einer von uns beiden musste sich da täuschen; nach dem Prinzip
der Frage cui prodest? musste ich das sein. Ich habe im Laufe der
nächsten Wochen in der Tat alles so erinnert, wie mein Freund es in mir
erwecken wollte; ich weiss selbst, was ich damals zur Antwort gab: Dabei halte
ich noch nicht, ich will mich darauf nicht einlassen. Aber ich bin seither um
ein Stück toleranter geworden, wenn ich irgendwo in der medizinischen Literatur
auf eine der wenigen Ideen stosse, mit denen man meinen Namen verknüpfen kann,
und wenn ich dabei die Erwähnung meines Namens vermisse.
Ausstellungen an seiner Ehefrau –
Freundschaft, die ins Gegenteil umgeschlagen hat – Irrtum in ärztlicher
Diagnostik – Zurückweisung durch Gleichstrebende – Entlehnung von Ideen; es ist
wohl [44] kaum zufällig, dass
eine Anzahl von Beispielen des Vergessens, die ohne Absicht gesammelt worden
sind, zu ihrer Auflösung des Eingehens auf so peinliche Themata bedürfen. Ich
vermute vielmehr, dass jeder Andere, der sein eigenes Vergessen einer Prüfung
nach den Motiven unterziehen will, eine ähnliche Musterkarte von
Widerwärtigkeiten aufzeichnen können wird. Die Neigung zum Vergessen des
Unangenehmen scheint mir ganz allgemein zu sein; die Fähigkeit dazu ist wohl
bei verschiedenen Personen verschieden gut ausgebildet. Manches Ableugnen, das uns
in der ärztlichen Tätigkeit begegnet, ist wahrscheinlich auf Vergessen
zurückzuführen. Unsere Auffassung eines solchen Vergessens beschränkt den
Unterschied zwischen dem und jenem Benehmen allerdings auf rein psychologische
Verhältnisse und gestattet uns, in beiden Reaktionsweisen den Ausdruck
desselben Motivs zu sehen. Von all den zahlreichen Beispielen der Verleugnung
unangenehmer Erinnerungen, die ich bei Angehörigen von Kranken gesehen habe,
ist mir eines als besonders seltsam im Gedächtnis geblieben. Eine Mutter
informierte mich über die Kinderjahre ihres nervenkranken, in der Pubertät
befindlichen Sohnes und erzählte dabei, dass er wie seine Geschwister bis in
späte Jahre an Bettnässen gelitten habe, was ja für eine neurotische
Krankengeschichte nicht bedeutungslos ist. Einige Wochen später, als sie sich
Auskunft über den Stand der Behandlung holen wollte, hatte ich Anlass, sie auf
die Zeichen konstitutioneller Krankheitsveranlagung bei dem jungen Mann
aufmerksam zu machen, und berief mich hierbei auf das anamnestisch erhobene
Bettnässen. Zu meinem Erstaunen bestritt sie die Tatsache sowohl für dies als
auch für die anderen Kinder, fragte mich, woher ich das wissen könne, und hörte
endlich von mir, dass sie selbst es mir vor kurzer Zeit erzählt habe, was also
von ihr vergessen worden war.[15]
[45] Man findet also auch bei gesunden, nicht
neurotischen Menschen reichlich Anzeichen dafür, dass sich der Erinnerung an
peinliche Eindrücke, der Vorstellung peinlicher Gedanken, ein Widerstand
entgegensetzt. Die volle Bedeutung dieser Tatsache lässt sich aber erst
ermessen, wenn man in die Psychologie neurotischer Personen eingeht. Man ist
genötigt, ein solches elementares
Abwehrbestreben gegen Vorstellungen, welche Unlustempfindungen
erwecken können, ein Bestreben, das sich nur dem Fluchtreflex bei Schmerzreizen
an die Seite stellen lässt, zu einem der Hauptpfeiler des Mechanismus zu
machen, welcher die hysterischen Symptome trägt. Man möge gegen die Annahme
einer solchen Abwehrtendenz nicht einwenden, dass wir es im Gegenteil häufig
genug unmöglich finden, peinliche Erinnerungen, die uns verfolgen, los zu
werden und peinliche Affektregungen wie Reue, Gewissensvorwürfe zu
verscheuchen. Es wird ja nicht behauptet, dass diese Abwehrtendenz sich überall
durchzusetzen vermag, dass sie nicht im Spiel der psychischen Kräfte auf
Faktoren stossen kann, welche zu anderen Zwecken das Entgegengesetzte anstreben
und ihr zum Trotz zustande bringen. Als das architektonische Prinzip des seelischen Apparates
lässt sich die Schichtung, der Aufbau aus einander überlagernden Instanzen
erraten, und es ist sehr wohl möglich, dass dies Abwehrbestreben
einer niedrigeren psychischen Instanz angehört, von höheren Instanzen aber
gehemmt wird. Es spricht jedenfalls für die Existenz und Mächtigkeit dieser
Tendenz zur Abwehr, wenn wir Vorgänge wie die in unseren Beispielen von Vergessen
auf sie zurückführen können. Wir sehen, dass manches um seiner selbst willen
vergessen wird; wo dies nicht möglich ist, verschiebt die Abwehrtendenz ihr
Ziel und bringt wenigstens etwas anderes, minder Bedeutsames, zum Vergessen,
welches in assoziative Verknüpfung mit dem eigentlich Anstössigen geraten ist.
Der hier entwickelte
Gesichtspunkt, dass peinliche Erinnerungen mit besonderer Leichtigkeit dem
motivierten Vergessen verfallen, verdiente [46] auf mehrere Gebiete bezogen zu werden, in denen er heute noch keine oder
eine zu geringe Beachtung gefunden hat. So erscheint er mir noch immer nicht
genügend scharf betont bei der Würdigung von Zeugenaussagen vor Gericht,[16] wobei man offenbar der unter Eidstellung
des Zeugen einen allzu grossen purifizierenden Einfluss auf dessen psychisches
Kräftespiel zutraut. Dass man bei der Entstehung der Traditionen und der
Sagengeschichte eines Volkes einem solchen Motiv, das dem Nationalgefühl
Peinliche aus der Erinnerung auszumerzen, Rechnung tragen muss, wird allgemein
zugestanden. Vielleicht würde sich bei genauerer Verfolgung eine vollständige
Analogie herausstellen zwischen der Art, wie Völkertraditionen und wie die
Kindheitserinnerungen des einzelnen Individuums gebildet werden.
Ganz ähnlich wie beim
Namenvergessen kann auch beim Vergessen von Eindrücken Fehlerinnern eintreten,
das dort, wo es Glauben findet, als Erinnerungstäuschung bezeichnet wird. Die
Erinnerungstäuschung in pathologischen Fällen – in der Paranoia spielt sie
geradezu die Rolle eines konstituierenden Momentes bei der Wahnbildung – hat
eine ausgedehnte Literatur wachgerufen, in welcher ich durchgängig den Hinweis
auf eine Motivierung derselben vermisse. Da auch dieses Thema der
Neurosenpsychologie angehört, entzieht es sich in unserm Zusammenhange der
Behandlung. Ich werde dafür ein sonderbares Beispiel einer eigenen
Erinnerungstäuschung mitteilen, bei dem die Motivierung durch unbewusstes
verdrängtes Material und die Art und Weise der Verknüpfung mit demselben
deutlich genug kenntlich werden.
Als ich die späteren Abschnitte
meines Buches über Traumdeutung schrieb, befand ich mich in einer Sommerfrische
ohne Zugang zu Bibliotheken und Nachschlagebüchern und war genötigt, mit
Vorbehalt späterer Korrektur, allerlei Beziehungen und Zitate aus dem
Gedächtnis in das Manuskript einzutragen. Beim Abschnitt über das Tagträumen
fiel mir die ausgezeichnete Figur des armen Buchhalters im
»Nabab« von
Alph. Daudet ein, mit welcher der
Dichter wahrscheinlich seine eigene Träumerei geschildert. Ich glaubte mich an
eine der Phantasien, die dieser Mann – Mr. Jocelyn nannte ich ihn – auf seinen
Spaziergängen durch die Strassen von Paris ausbrütet, deutlich zu erinnern und
begann sie aus dem Gedächtnis zu reproduzieren. Wie also Herr Jocelyn auf der
Strasse sich kühn einem durchgehenden Pferd entgegenwirft, es zum Stehen
bringt, der Wagenschlag [47] sich öffnet, eine hohe Persönlichkeit dem Coupé entsteigt, Herrn Jocelyn
die Hand drückt und ihm sagt: „Sie sind mein Retter, Ihnen verdanke ich mein
Leben. Was kann ich für Sie tun?“
Etwaige Ungenauigkeiten in der
Wiedergabe dieser Phantasie, tröstete ich mich, würden sich leicht zuhause
verbessern lassen, wenn ich das Buch zur Hand nähme. Als ich dann aber den
»Nabab« durchblätterte, um die
druckbereite Stelle meines Manuskriptes zu vergleichen, fand ich zu meiner
grössten Beschämung und Bestürzung nichts von einer solchen Träumerei des Herrn
Jocelyn darin, ja der arme Buchhalter trug gar nicht diesen Namen, sondern
hiess Mr. Joyeuse.
Dieser zweite Irrtum gab dann bald den Schlüssel zur Klärung des ersten, der
Erinnerungstäuschung. Joyeux
(wovon der Name die feminine Form darstellt): so und nicht anders müsste ich ja
meinen eigenen Namen: Freud
ins Französische übersetzen. Woher konnte also die fälschlich erinnerte
Phantasie sein, die ich Daudet
zugeschrieben hatte? Sie konnte nur ein eigenes Produkt sein, ein Tagtraum, den
ich selbst gemacht, und der mir nicht bewusst geworden, oder der mir einst
bewusst gewesen und den ich seither gründlich vergessen. Vielleicht dass ich
ihn selbst in Paris gemacht, wo ich oft genug einsam und voll Sehnsucht durch
die Strassen spaziert bin, eines Helfers und Protektors sehr bedürftig, bis
Meister Charcot
mich dann in seinen Verkehr zog. Den Dichter des
»Nabab« habe ich dann wiederholt im Hause Charcots gesehen.
Das Ärgerliche an der Sache ist nur, dass ich kaum irgend einem anderen
Vorstellungskreis so feindselig gegenüberstehe, wie dem des Protegiertwerdens.
Was man in unserem Vaterlande davon sieht, verdirbt einem alle Lust daran, und
meinem Charakter sagt die Situation des Protektionskindes überhaupt wenig zu.
Ich habe immer ungewöhnlich viel Neigung dazu verspürt, »selbst der brave Mann
zu sein«. Und gerade ich musste dann an solche, übrigens nie erfüllte,
Tagträume gemahnt werden! Ausserdem ist der Vorfall auch ein gutes Beispiel
dafür, wie die zurückgehaltene – in der Paranoia siegreich hervorbrechende –
Beziehung zum eigenen Ich uns in der objektiven Erfassung der Dinge stört und
verwirrt.
B. Das Vergessen von Vorsätzen.
Keine andere Gruppe von
Phänomenen eignet sich besser zum Beweis der These, dass die Geringfügigkeit
der Aufmerksamkeit für sich allein nicht hinreiche, die Fehlleistung zu
erklären, als die des Vergessens von Vorsätzen. Ein Vorsatz ist ein Impuls zur
Handlung, [48] der bereits
Billigung gefunden hat, dessen Ausführung aber auf einen geeigneten Zeitpunkt
verschoben wurde. Nun kann in dem so geschaffenen Intervall allerdings eine
derartige Veränderung in den Motiven eintreten, dass der Vorsatz nicht zur
Ausführung gelangt, aber dann wird er nicht vergessen, sondern revidiert und
aufgehoben. Das Vergessen von Vorsätzen, dem wir alltäglich und in allen
möglichen Situationen unterliegen, pflegen wir uns nicht durch eine Neuerung in
der Motivengleichung zu erklären, sondern lassen es gemeinhin unerklärt, oder
wir suchen eine psychologische Erklärung in der Annahme, gegen die Zeit der
Ausführung hin habe sich die erforderliche Aufmerksamkeit für die Handlung
nicht mehr bereit gefunden, die doch für das Zustandekommen des Vorsatzes
unerlässliche Bedingung war, damals also für die nämliche Handlung zur
Verfügung stand. Die Beobachtung unseres normalen Verhaltens gegen Vorsätze
lässt uns diesen Erklärungsversuch als willkürlich abweisen. Wenn ich des
Morgens einen Vorsatz fasse, der abends ausgeführt werden soll, so kann ich im
Laufe des Tages einigemal an ihn gemahnt werden. Er braucht aber tagsüber
überhaupt nicht mehr bewusst zu werden. Wenn sich die Zeit der Ausführung
nähert, fällt er mir plötzlich ein und veranlasst mich, die zur vorgesetzten
Handlung nötigen Vorbereitungen zu treffen. Wenn ich auf einen Spaziergang
einen Brief mitnehme, welcher noch befördert werden soll, so brauche ich ihn
als normales und nicht nervöses Individuum keineswegs die ganze Strecke über in
der Hand zu tragen und unterdessen nach einem Briefkasten auszuspähen, in den
ich ihn werfe, sondern ich pflege ihn in die Tasche zu stecken, meiner Wege zu
gehen, meine Gedanken frei schweifen zu lassen, und ich rechne darauf, dass
einer der nächsten Briefkästen meine Aufmerksamkeit erregen und mich
veranlassen wird, in die Tasche zu greifen und den Brief hervorzuziehen. Das
normale Verhalten bei gefasstem Vorsatz deckt sich vollkommen mit dem
experimentell zu erzeugenden Benehmen von Personen, denen man eine sog.
»posthypnotische Suggestion auf lange Sicht« in der Hypnose eingegeben hat.[17] Man ist gewöhnt, das Phänomen in
folgender Art zu beschreiben: Der suggerierte Vorsatz schlummert in den
betreffenden Personen, bis die Zeit seiner Ausführung herannaht. Dann wacht er
auf und treibt zur Handlung.
In zweierlei Lebenslagen gibt
sich auch der Laie Rechenschaft davon, dass das Vergessen in bezug auf Vorsätze
keineswegs den Anspruch [49] erheben darf, als ein nicht weiter zurückführbares Elementarphänomen zu
gelten, sondern zum Schluss auf uneingestandene Motive berechtigt. Ich meine:
im Liebesverhältnis und in der Militärabhängigkeit. Ein Liebhaber, der das
Rendezvous versäumt hat, wird sich vergeblich bei seiner Dame entschuldigen, er
habe leider ganz daran vergessen. Sie wird nicht versäumen, ihm zu antworten:
„Vor einem Jahr hättest Du es nicht vergessen. Es liegt Dir eben nichts mehr an
mir.“ Selbst wenn er nach der oben erwähnten psychologischen Erklärung griffe
und sein Vergessen durch gehäufte Geschäfte entschuldigen wollte, würde er nur
erreichen, dass die Dame – so scharfsichtig geworden wie der Arzt in der
Psychoanalyse – zur Antwort gäbe: „Wie merkwürdig, dass sich solche geschäftlichen
Störungen früher nicht ereignet haben.“ Gewiss will auch die Dame die
Möglichkeit des Vergessens nicht in Abrede stellen; sie meint nur, und nicht
mit Unrecht, aus dem unabsichtlichen Vergessen sei ungefähr der nämliche
Schluss auf ein gewisses Nichtwollen zu ziehen wie aus der bewussten Ausflucht.
Ähnlich wird im militärischen
Dienstverhältnis der Unterschied zwischen der Unterlassung durch Vergessen und
der in Folge von Absicht prinzipiell, und zwar mit Recht, vernachlässigt. Der
Soldat darf
an nichts vergessen, was der militärische Dienst von ihm fordert. Wenn er doch
daran vergisst, obwohl ihm die Forderung bekannt ist, so geht dies so zu, dass
sich den Motiven, die auf Erfüllung der militärischen Forderung dringen, andere
Gegenmotive entgegenstellen. Der Einjährige etwa, der sich beim Rapport
entschuldigen wollte, er habe vergessen, seine Knöpfe blank zu putzen, ist der Strafe
sicher. Aber diese Strafe ist geringfügig zu nennen im Vergleich zu jener, der
er sich aussetzte, wenn er das Motiv seiner Unterlassung sich und seinem
Vorgesetzten eingestehen würde: „Der elende Gamaschendienst ist mir ganz
zuwider.“ Wegen dieser Strafersparnis, aus ökonomischen Gründen gleichsam,
bedient er sich des Vergessens als Ausrede, oder kommt es als Kompromiss zustande.
Frauendienst wie Militärdienst
erheben den Anspruch, dass alles zu ihnen Gehörige dem Vergessen entrückt sein
müsse, und erwecken so die Meinung, Vergessen sei zulässig bei unwichtigen
Dingen, während es bei wichtigen Dingen ein Anzeichen davon sei, dass man sie
wie unwichtige behandeln wolle, ihnen also die Wichtigkeit abspreche. Der
Gesichtspunkt der psychischen Wertschätzung ist hier in der Tat nicht
abzuweisen. Kein Mensch vergisst Handlungen auszuführen, die ihm selbst wichtig
erscheinen, ohne sich dem Verdachte geistiger Störung auszusetzen. Unsere
Untersuchung kann sich also nur auf [50] das Vergessen von mehr oder minder nebensächlichen Vorsätzen erstrecken;
für ganz und gar gleichgültig werden wir keinen Vorsatz erachten; denn in
diesem Falle wäre er wohl gewiss nicht gefasst worden.
Ich habe nun wie bei den früheren
Funktionsstörungen die bei mir selbst beobachteten Fälle von Unterlassung durch
Vergessen gesammelt und aufzuklären gesucht und hierbei ganz allgemein
gefunden, dass sie auf Einmengung unbekannter und uneingestandener Motive –
oder, wie man sagen kann, auf einen Gegenwillen – zurückzuführen waren. In einer
Reihe dieser Fälle befand ich mich in einer dem Dienstverhältnisse ähnlichen
Lage, unter einem Zwange, gegen welchen ich es nicht ganz aufgegeben hatte,
mich zu sträuben, so dass ich durch Vergessen gegen ihn demonstrierte. Dazu
gehört, dass ich besonders leicht vergesse, zu Geburtstagen, Jubiläen,
Hochzeitsfeiern und Standeserhöhungen zu gratulieren. Ich nehme es mir immer wieder
vor und überzeuge mich immer mehr, dass es mir nicht gelingen will. Ich bin
jetzt im Begriffe, darauf zu verzichten, und den Motiven, die sich sträuben,
mit Bewusstsein Recht zu geben. In einem Übergangsstadium habe ich einem
Freund, der mich bat, auch für ihn ein Glückwunschtelegramm zum bestimmten
Termin zu besorgen, vorher gesagt, ich würde an beide vergessen, und es war
nicht zu verwundern, dass die Prophezeiung wahr wurde. Es hängt nämlich mit
schmerzlichen Lebenserfahrungen zusammen, dass ich nicht imstande bin,
Anteilnahme zu äussern, wo diese Äusserung notwendigerweise übertrieben
ausfallen muss, da für den geringen Betrag meiner Ergriffenheit der
entsprechende Ausdruck nicht zulässig ist. Seitdem ich erkannt, dass ich oft
vorgebliche Sympathie bei anderen für echte genommen habe, befinde ich mich in
einer Auflehnung gegen diese Konventionen der Mitgefühlsbezeugung, deren
soziale Nützlichkeit ich andererseits einsehe. Kondolenzen bei Todesfällen sind
von dieser zwiespältigen Behandlung ausgenommen; wenn ich mich zu ihnen
entschlossen habe, versäume ich sie auch nicht. Wo meine Gefühlsbetätigung mit
gesellschaftlicher Pflicht nichts mehr zu tun hat, da findet sie ihren Ausdruck
auch niemals durch Vergessen gehemmt.
Ähnlich erklären sich durch den
Widerstreit einer konventionellen Pflicht und einer nicht eingestandenen
inneren Schätzung die Fälle, in denen man Handlungen auszuführen vergisst, die
man einem anderen zu seinen Gunsten auszuführen versprochen hat. Hier trifft es
dann regelmässig zu, dass nur der Versprecher an die entschuldigende Kraft des
Vergessens glaubt, während der Bittsteller sich ohne Zweifel die richtige
Antwort gibt: Er hat kein Interesse daran, sonst hätte er [51] es nicht vergessen. Es gibt Menschen, die
man als allgemein vergesslich bezeichnet und darum in ähnlicher Weise als
entschuldigt gelten lässt wie etwa den Kurzsichtigen, wenn er auf der Strasse
nicht grüsst.[18] Diese Personen vergessen alle kleinen
Versprechungen, die sie gegeben, lassen alle Aufträge unausgeführt, die sie
empfangen haben, erweisen sich also in kleinen Dingen als unverlässlich und
erheben dabei die Forderung, dass man ihnen diese kleineren Verstösse nicht
übel nehmen, d. h. nicht durch ihren Charakter erklären, sondern auf
organische Eigentümlichkeit zurückführen solle. Ich gehöre selbst nicht zu
diesen Leuten und habe keine Gelegenheit gehabt, die Handlungen einer solchen
Person zu analysieren, um durch die Auswahl des Vergessens die Motivierung
desselben aufzudecken. Ich kann mich aber der Vermutung
per analogiam nicht erwehren, dass hier ein ungewöhnlich
grosses Mass von nicht eingestandener Geringschätzung des anderen das Motiv
ist, welches das konstitutionelle Moment für seine Zwecke ausbeutet.
Bei anderen Fällen sind die
Motive des Vergessens weniger leicht aufzufinden und erregen, wenn gefunden,
ein grösseres Befremden. So merkte ich in früheren Jahren, dass ich bei einer
grösseren Anzahl von Krankenbesuchen nie an einen anderen Besuch vergesse als
bei einem Gratispatienten oder bei einem Kollegen. Aus Beschämung hierüber habe
ich mir angewöhnt, die Besuche des Tages schon am Morgen als Vorsatz zu
notieren. Ich weiss nicht, ob andere Ärzte auf dem nämlichen Wege zu der
gleichen Übung gekommen sind. Aber man gewinnt so eine Ahnung davon, was den
sog. Neurastheniker veranlasst, die Mitteilungen, die er dem Arzt machen will,
auf dem berüchtigten »Zettel« zu notieren. Angeblich fehlt es ihm an Zutrauen
zur Reproduktionsleistung seines Gedächtnisses. Das ist gewiss richtig, aber
die Szene geht zumeist so vor sich: Der Kranke hat seine verschiedenen
Beschwerden und Anfragen höchst langatmig vorgebracht. Nachdem er fertig
geworden ist, macht er einen Moment Pause, darauf zieht er den Zettel hervor
und sagt entschuldigend: Ich habe mir etwas aufgeschrieben, weil ich mir so gar
nichts merke. In der Regel findet er auf dem Zettel nichts Neues. Er wiederholt
jeden Punkt und beantwortet [52] ihn selbst: Ja, darnach habe ich schon gefragt. Er demonstriert mit dem
Zettel, wahrscheinlich nur eines seiner Symptome, die Häufigkeit, mit der seine
Vorsätze durch Einmengung dunkler Motive gestört werden.
Ich rühre ferner an Leiden, an
welchen auch der grössere Teil der mir bekannten Gesunden krankt, wenn ich
zugestehe, dass ich besonders in früheren Jahren sehr leicht und für lange Zeit
vergessen habe, entlehnte Bücher zurückzugeben, oder dass es mir besonders
leicht begegnet, Zahlungen durch Vergessen aufzuschieben. Unlängst verliess ich
eines Morgens die Tabaktrafik, in welcher ich meinen täglichen Zigarreneinkauf
gemacht hatte, ohne ihn zu bezahlen. Es war eine höchst harmlose Unterlassung,
denn ich bin dort bekannt und konnte daher erwarten, am nächsten Tag an die
Schuld gemahnt zu werden. Aber die kleine Versäumnis, der Versuch, Schulden zu
machen, steht gewiss nicht ausser Zusammenhang mit den Budgeterwägungen, die
mich den Vortag über beschäftigt hatten. In bezug auf das Thema von Geld und
Besitz lassen sich die Spuren eines zwiespältigen Verhaltens auch bei den
meisten sog. anständigen Menschen leicht nachweisen. Die primitive Gier des
Säuglings, der sich aller Objekte zu bemächtigen sucht (um sie zum Munde zu
führen), zeigt sich vielleicht allgemein als nur unvollständig durch Kultur und
Erziehung überwunden[19].
[53] Ich fürchte, ich bin mit allen bisherigen
Beispielen einfach banal
geworden. Es kann mir aber doch nur recht sein, wenn ich auf Dinge stosse, die
jedermann bekannt sind, und die jeder in der nämlichen Weise versteht, da ich
bloss vorhabe, das Alltägliche zu sammeln und wissenschaftlich zu verwerten.
Ich sehe nicht ein, weshalb der Weisheit, die Niederschlag der gemeinen
Lebenserfahrung ist, die Aufnahme unter die Erwerbungen der Wissenschaft
versagt sein sollte. Nicht die Verschiedenheit der Objekte, sondern die
strengere Methode bei der Feststellung und das Streben nach weitreichendem
Zusammenhang machen den wesentlichen Charakter der wissenschaftlichen Arbeit
aus.
Für die Vorsätze von einigem
Belang haben wir allgemein gefunden, dass sie dann vergessen werden, wenn sich
dunkle Motive gegen sie erheben. Bei noch weniger wichtigen Vorsätzen erkennt
man als zweiten Mechanismus des Vergessens, dass ein Gegenwille sich von wo
anders her auf den Vorsatz überträgt, nachdem zwischen jenem andern und dem
Inhalt des Vorsatzes eine äusserliche Assoziation hergestellt worden ist. Hierzu
gehört folgendes Beispiel: Ich lege Wert auf schönes Löschpapier und nehme mir
vor, auf meinem heutigen Nachmittagsweg in die Stadt neues einzukaufen. Aber an
vier aufeinanderfolgenden Tagen vergesse ich daran, bis ich mich befrage,
welchen Grund diese Unterlassung hat. Ich finde ihn dann leicht, nachdem ich
mich besonnen habe, dass ich zwar »Löschpapier« zu schreiben, aber
»Fliesspapier« zu sagen gewöhnt
bin. »Fliess«
ist der Name meines Freundes in Berlin, der mir in den nämlichen Tagen Anlass
zu einem quälenden, besorgten Gedanken gegeben hat. Diesen Gedanken kann ich
nicht los werden, aber die Abwehrneigung (vgl.
Seite 39) äussert sich, indem sie sich mittelst der
Wortgleichheit auf den indifferenten und darum wenig resistenten Vorsatz
überträgt.
Direkter Gegenwille und
entferntere Motivierung treffen in folgendem Falle von Aufschub zusammen: In
der Sammlung »Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens« hatte ich
eine kurze Abhandlung über den Traum geschrieben, welche den Inhalt meiner
»Traumdeutung«
resümiert. Bergmann
in Wiesbaden sendet eine Korrektur und bittet um umgehende Erledigung, weil er
das Heft noch vor Weihnachten ausgeben will. Ich mache die Korrektur noch in
der Nacht und lege sie auf meinen Schreibtisch, um sie am nächsten Morgen
mitzunehmen. Am Morgen vergesse ich daran, erinnere mich erst nachmittags beim
Anblick des Kreuzbandes auf meinem Schreibtisch. Ebenso vergesse ich die
Korrektur am Nachmittag, am Abend und am nächsten Morgen, bis ich mich aufraffe
und am Nachmittag des zweiten Tages die [54] Korrektur zu einem Briefkasten trage, verwundert, was der Grund dieser
Verzögerung sein mag. Ich will sie offenbar nicht absenden, aber ich finde
nicht, warum. Auf demselben Spaziergang trete ich aber bei meinem Wiener
Verleger, der auch das Traumbuch publiziert hat, ein, mache eine Bestellung und
sage dann, wie von einem plötzlichen Einfall getrieben: „Sie wissen doch, dass
ich den »Traum« ein zweites Mal geschrieben habe?“ – „Ah, da würde
ich doch bitten.“ – „Beruhigen Sie sich, nur ein kurzer Aufsatz für die Löwenfeld-Kurellasche Sammlung.“ Es war ihm aber doch nicht recht; er
besorgte, der Vortrag würde dem Absatz des Buches schaden. Ich widersprach und
fragte endlich: „Wenn ich mich früher an Sie gewendet hätte, würden Sie mir die
Publikation untersagt haben?“ – „Nein, das keineswegs.“ Ich glaube selbst, dass
ich in meinem vollen Recht gehandelt und nichts Anderes getan habe, als was
allgemein üblich ist; doch scheint es mir gewiss, dass ein ähnliches Bedenken,
wie es der Verleger äusserte, das Motiv meiner Zögerung war, die Korrektur
abzusenden. Dies Bedenken geht auf eine frühere Gelegenheit zurück, bei welcher
ein anderer Verleger Schwierigkeiten erhob, als ich, wie unvermeidlich, einige
Blätter Text aus einer früheren, in anderem Verlag erschienenen Arbeit über
zerebrale Kinderlähmung unverändert in die Bearbeitung desselben Themas im
Handbuch von Nothnagel
hinübernahm. Dort findet aber der Vorwurf abermals keine Anerkennung; ich hatte
auch damals meinen ersten Verleger (identisch mit dem der
»Traumdeutung«)
loyal von meiner Absicht verständigt. Wenn aber diese Erinnerungsreihe noch
weiter zurückgeht, so rückt sie mir einen noch früheren Anlass vor, den einer
Übersetzung aus dem Französischen, bei welchem ich wirklich die bei einer
Publikation in Betracht kommenden Eigentumsrechte verletzt habe. Ich hatte dem
übersetzten Text Anmerkungen beigefügt, ohne für diese Anmerkungen die
Erlaubnis des Autors nachgesucht zu haben, und habe einige Jahre später Grund
zur Annahme bekommen, dass der Autor mit dieser Eigenmächtigkeit unzufrieden
war.
Es gibt ein Sprichwort, welches
die populäre Kenntnis verrät, dass das Vergessen von Vorsätzen nichts
Zufälliges ist. »Was man einmal zu tun vergessen hat, das vergisst man dann
noch öfter.«
VII.
Das Vergreifen.
Der dankenswerten Arbeit von
Meringer und
Mayer entnehme ich noch die
Stelle (p. 98):
»Die Sprechfehler stehen nicht
ganz allein da. Sie entsprechen den Fehlern, die bei anderen Tätigkeiten des
Menschen sich oft einstellen und ziemlich töricht »Vergesslichkeiten« genannt
werden.«
Ich bin also keinesfalls der
erste, der Sinn und Absicht hinter den kleinen Funktionsstörungen des täglichen
Lebens Gesunder vermutet.
Wenn die Fehler beim Sprechen,
das ja eine motorische Leistung ist, eine solche Auffassung zugelassen haben,
so liegt es nahe, auf die Fehler unserer sonstigen motorischen Verrichtungen
die nämliche Erwartung zu übertragen. Ich habe hier zwei Gruppen von Fällen
gebildet; alle die Fälle, in denen der Fehleffekt das Wesentliche scheint, also
die Abirrung von der Intention, bezeichne ich als »Vergreifen«, die anderen, in denen eher
die ganze Handlung unzweckmässig erscheint, benenne ich »Symptom- und Zufallshandlungen«.
Die Scheidung ist aber wiederum nicht reinlich durchzuführen; wir kommen ja
wohl zur Einsicht, dass alle in dieser Abhandlung gebrauchten Einteilungen nur
deskriptiv bedeutsame sind und der inneren Einheit des Erscheinungsgebietes
widersprechen.
Das psychologische Verständnis
des »Vergreifens« erfährt offenbar keine besondere Förderung, wenn wir es der
Ataxie und speziell der »kortikalen Ataxie« subsumieren. Versuchen wir lieber,
die einzelnen Beispiele auf ihre jeweiligen Bedingungen zurückzuführen. Ich
werde wiederum Selbstbeobachtungen hierzu verwenden, zu denen sich die Anlässe
bei mir nicht besonders häufig finden.
a.
In früheren Jahren, als ich Hausbesuche
bei Patienten noch häufiger machte als gegenwärtig, geschah es mir oft, dass
ich, vor der Türe, an die ich klopfen oder läuten sollte, angekommen, die
Schlüssel meiner eigenen Wohnung aus der Tasche zog, um – sie dann fast
beschämt wieder einzustecken. Wenn ich mir zusammenstelle, bei welchen
Patienten dies der Fall war, so muss ich annehmen, die Fehlhandlung – Schlüssel
herausziehen anstatt zu läuten – bedeutete eine Huldigung für das Haus, wo ich
in diesen Missgriff verfiel. Sie war äquivalent dem Gedanken: »Hier bin ich wie
zu Hause«, denn sie trug sich nur zu, wo ich den Kranken lieb gewonnen hatte.
(An meiner [56] eigenen Wohnungstür
läute ich natürlich niemals.) Die Fehlhandlung war also eine symbolische
Darstellung eines doch eigentlich nicht für ernsthafte, bewusste Annahme
bestimmten Gedankens, denn in der Realität weiss der Nervenarzt genau, dass der
Kranke ihm nur so lange anhänglich bleibt, als er noch Vorteil von ihm
erwartet, und dass er selbst nur zum Zweck der psychischen Hilfeleistung ein
übermässig warmes Interesse für seine Patienten bei sich gewähren lässt.
b.
In einem bestimmten Hause, wo ich seit
sechs Jahren zweimal täglich zu festgesetzten Zeiten vor einer Türe im zweiten
Stock auf Einlass warte, ist es mir während dieses langen Zeitraums zweimal
(mit einem kurzen Intervall) geschehen, dass ich um einen Stock höher gegangen
bin, also mich »verstiegen«
habe. Das eine mal befand ich mich in einem ehrgeizigen Tagtraum, der mich
»höher und immer höher steigen« liess. Ich überhörte damals sogar, dass sich
die fragliche Tür geöffnet hatte, als ich den Fuss auf die ersten Stufen des
dritten Stockwerks setzte. Das anderemal ging ich wiederum »in Gedanken
versunken« zu weit; als ich es bemerkte, umkehrte und die mich beherrschende
Phantasie zu erhaschen suchte, fand ich, dass ich mich über eine (phantasierte)
Kritik meiner Schriften ärgerte, in welcher mir der Vorwurf gemacht wurde, dass
ich immer »zu weit ginge«, und in die ich nun den wenig respektvollen Ausdruck
»verstiegen«
einzusetzen hatte.
c.
Auf meinem Schreibtische liegen seit
vielen Jahren neben einander ein Reflexhammer und eine Stimmgabel. Eines Tages
eile ich nach Schluss der Sprechstunde fort, weil ich einen bestimmten
Stadtbahnzug erreichen will, stecke bei vollem Tageslicht anstatt des Hammers
die Stimmgabel in die Rocktasche und werde durch die Schwere des die Tasche
herabziehenden Gegenstandes auf meinen Missgriff aufmerksam gemacht. Wer sich
über so kleine Vorkommnisse Gedanken zu machen nicht gewöhnt ist, wird ohne
Zweifel den Fehlgriff durch die Eile des Momentes erklären und entschuldigen. Ich
habe es trotzdem vorgezogen, mir die Frage zu stellen, warum ich eigentlich die
Stimmgabel anstatt des Hammers genommen. Die Eilfertigkeit hätte ebensowohl ein
Motiv sein können, den Griff richtig auszuführen, um nicht Zeit mit der
Korrektur zu versäumen.
Wer hat zuletzt nach der Stimmgabel gegriffen? lautet die Frage, die sich
mir da aufdrängt. Das war vor wenigen Tagen ein idiotisches Kind, bei dem ich die
Aufmerksamkeit auf Sinneseindrücke prüfte, und das durch die Stimmgabel so
gefesselt wurde, dass ich sie ihm nur schwer entreissen konnte. Soll das also
heissen, ich sei ein Idiot? [57] Allerdings scheint es so, denn der nächste Einfall, der sich an Hammer
assoziiert, lautet »Chamer«
(hebräisch: Esel).
Was soll aber dieses Geschimpfe? Man muss hier die Situation befragen. Ich
eile zu einer Konsultation in einem Ort an der Westbahnstrecke, zu einer
Kranken, die nach der brieflich mitgeteilten Anamnese vor Monaten vom Balkon
herabgestürzt ist und seither nicht gehen kann. Der Arzt, der mich einlädt,
schreibt, er wisse trotzdem nicht, ob es sich um Rückenmarksverletzung oder um
traumatische Neurose – Hysterie – handle. Das soll ich nun entscheiden. Da wäre
also eine Mahnung am Platze, in der heiklen Differentialdiagnose besonders
vorsichtig zu sein. Die Kollegen meinen ohnedies, man diagnostiziere viel zu
leichtsinnig Hysterie, wo es sich um ernstere Dinge handle. Aber die
Beschimpfung ist noch nicht gerechtfertigt! Ja, es kommt hinzu, dass die kleine
Bahnstation der nämliche Ort ist, an dem ich vor Jahren einen jungen Mann
gesehen, der seit einer Gemütsbewegung nicht ordentlich gehen konnte. Ich
diagnostizierte damals Hysterie und nahm den Kranken später in psychische
Behandlung, und dann stellte es sich heraus, dass ich freilich nicht unrichtig
diagnostiziert hatte, aber auch nicht richtig. Eine ganze Anzahl der Symptome
des Kranken war hysterisch gewesen, und diese schwanden auch prompt im Laufe
der Behandlung. Aber hinter diesen wurde nun ein für die Therapie unantastbarer
Rest sichtbar, der sich nur auf eine multiple Sklerose beziehen liess. Die den
Kranken nach mir sahen, hatten es leicht, die organische Affektion zu erkennen;
ich hätte kaum anders vorgehen und anders urteilen können, aber der Eindruck war
doch der eines schweren Irrtums; das Versprechen der Heilung, das ich ihm
gegeben hatte, war natürlich nicht zu halten. Der Missgriff nach der Stimmgabel
anstatt nach dem Hammer liess sich also so in Worte übersetzen: Du Trottel, Du
Esel, nimm Dich diesmal zusammen, dass du nicht wieder eine Hysterie
diagnostizierst, wo eine unheilbare Krankheit vorliegt, wie bei dem armen Mann
an demselben Ort vor Jahren! Und zum Glück für diese kleine Analyse, wenn auch
zum Unglück für meine Stimmung, war dieser selbe Mann mit schwerer spastischer
Lähmung wenige Tage vorher und einen Tag nach dem idiotischen Kind in meiner
Sprechstunde gewesen.
Man merkt, es ist diesmal die Stimme der Selbstkritik, die sich durch das
Fehlgreifen vernehmlich macht. Zu solcher Verwendung als Selbstvorwurf ist der
Fehlgriff ganz besonders geeignet. Der Missgriff hier will den Missgriff, den
man anderswo begangen hat, darstellen.
d.
Selbstverständlich kann das
Fehlgreifen auch einer ganzen [58] Reihe anderer dunkler Absichten dienen. Hier ein erstes Beispiel: Es kommt
sehr selten vor, dass ich etwas zerschlage. Ich bin nicht besonders geschickt,
aber infolge der anatomischen Integrität meiner Nervmuskelapparate sind Gründe
für so ungeschickte Bewegungen mit unerwünschtem Erfolg bei mir offenbar nicht
gegeben. Ich weiss also kein Objekt in meinem Hause zu erinnern, dessengleichen
ich je zerschlagen hätte. Ich bin durch die Enge in meinem Studierzimmer oft
genötigt, in den unbequemsten Stellungen mit einer Anzahl von antiken Ton- und
Steinsachen, von denen ich eine kleine Sammlung habe, zu hantieren, so dass
Zuschauer die Besorgnis ausdrücken, ich würde etwas herunterschleudern und
zerschlagen. Es ist aber niemals geschehen. Warum habe ich also unlängst den
marmornen Deckel meines einfachen Tintengefässes zu Boden geworfen, so dass er
zerbrach?
Mein Tintenzeug besteht aus einer Platte von Untersberger Marmor, die für
die Aufnahme des gläsernen Tintenfässchens ausgehöhlt ist; das Tintenfass trägt
einen Deckel mit Knopf aus demselben Stein. Ein Kranz von Bronzestatuetten und
Terrakotta-Figürchen ist hinter diesem Tintenzeug aufgestellt. Ich setze mich
an den Tisch, um zu schreiben, mache mit der Hand, welche den Federstiel hält,
eine merkwürdig ungeschickte, ausfahrende Bewegung und werfe so den Deckel des
Tintenfasses, der bereits auf dem Tische lag, zu Boden. Die Erklärung ist nicht
schwer zu finden. Einige Stunden vorher war meine Schwester im Zimmer gewesen,
um sich einige neue Erwerbungen anzusehen. Sie fand sie sehr schön und äusserte
dann: „Jetzt sieht Dein Schreibtisch wirklich hübsch aus, nur das Tintenzeug
passt nicht dazu. Du musst ein schöneres haben.“ Ich begleitete die Schwester
hinaus und kam erst nach Stunden zurück. Dann aber habe ich, wie es scheint, an
dem verurteilten Tintenzeug die Exekution vollzogen. Schloss ich etwa aus den
Worten der Schwester, dass sie sich vorgenommen habe, mich zur nächsten
festlichen Gelegenheit mit einem schöneren Tintenzeug zu beschenken, und
zerschlug das unschöne alte, um sie zur Verwirklichung ihrer angedeuteten
Absicht zu nötigen? Wenn dem so ist, so war meine schleudernde Bewegung nur
scheinbar ungeschickt; in Wirklichkeit war sie höchst geschickt und zielbewusst
und verstand es, allen wertvolleren in der Nähe befindlichen Objekten schonend
auszuweichen.
Ich glaube wirklich, dass man diese Beurteilung für eine ganze Reihe von
anscheinend zufällig ungeschickten Bewegungen annehmen muss. Es ist richtig,
dass diese etwas Gewaltsames, Schleuderndes, wie Spastisch-ataktisches zur
Schau tragen, aber sie erweisen sich als [59] von einer Intention beherrscht und treffen ihr Ziel mit einer Sicherheit,
die man den bewusst willkürlichen Bewegungen nicht allgemein nachrühmen kann.
Beide Charaktere, die Gewaltsamkeit wie die Treffsicherheit, haben sie übrigens
mit den motorischen Äusserungen der hysterischen Neurose und zum Teil auch mit
den motorischen Leistungen des Somnambulismus gemeinsam, was wohl hier wie dort
auf die nämliche unbekannte Modifikation des Innervationsvorganges hinweist.
Das Fallenlassen von Objekten, Umwerfen, Zerschlagen derselben scheint sehr
häufig zum Ausdruck unbewusster Gedankengänge verwendet zu werden, wie man
gelegentlich durch Analyse beweisen kann, häufiger aber aus den abergläubisch
oder scherzhaft daran geknüpften Deutungen im Volksmunde erraten möchte. Es ist
bekannt, welche Deutungen sich an das Ausschütten von Salz, Umwerfen eines
Weinglases, Steckenbleiben eines zu Boden gefallenen Messers u. dgl.
knüpfen. Welches Anrecht auf Beachtung solche abergläubische Deutungen haben,
werde ich erst an späterer Stelle erörtern; hierher gehört nur die Bemerkung,
dass die einzelne ungeschickte Verrichtung keineswegs einen konstanten Sinn
hat, sondern je nach Umständen sich dieser oder jener Absicht als
Darstellungsmittel bietet.
Wenn dienende Personen gebrechliche Gegenstände durch Fallenlassen
vernichten, so wird man an eine psychologische Erklärung hiefür gewiss nicht in
erster Linie denken, doch ist auch dabei ein Beitrag dunkler Motive nicht
unwahrscheinlich. Nichts liegt dem Ungebildeten ferner als die Schätzung der
Kunst und der Kunstwerke. Eine dumpfe Feindseligkeit gegen deren Erzeugnisse
beherrscht unser dienendes Volk, zumal wenn die Gegenstände, deren Wert sie
nicht einsehen, eine Quelle von Arbeitsanforderung für sie werden. Leute von
derselben Bildungsstufe und Herkunft zeichnen sich dagegen in
wissenschaftlichen Instituten oft durch grosse Geschicklichkeit und
Verlässlichkeit in der Handhabung heikler Objekte aus, wenn sie erst begonnen
haben, sich mit ihrem Herrn zu identifizieren und sich zum wesentlichen
Personal des Instituts zu rechnen.
Sich selbst fallen lassen, einen Fehltritt machen, ausgleiten, braucht
gleichfalls nicht immer als rein zufälliges Fehlschlagen motorischer Aktion
gedeutet zu werden. Der sprachliche Doppelsinn dieser Ausdrücke weist bereits
auf die Art von verhaltenen Phantasien hin, die sich durch solches Aufgeben des
Körpergleichgewichts darstellen können. Ich erinnere mich an eine Anzahl von
leichteren nervösen Erkrankungen bei Frauen und Mädchen, die nach einem Fall
ohne [60] Verletzung
aufgetreten waren und als traumatische Hysterie zufolge des Schrecks beim Falle
aufgefasst wurden. Ich bekam schon damals den Eindruck, als ob die Dinge anders
zusammenhingen, als wäre das Fallen bereits eine Veranstaltung der Neurose und
ein Ausdruck derselben unbewussten Phantasien sexuellen Inhalts gewesen, die
man als die bewegenden Kräfte hinter den Symptomen vermuten darf. Sollte
dasselbe nicht auch ein Sprichwort sagen wollen, welches lautet: „Wenn eine
Jungfrau fällt, fällt sie auf den Rücken“?
e.
Dass zufällige Aktionen eigentlich
absichtliche sind, wird auf keinem anderen Gebiete eher Glauben finden als auf
dem der sexuellen Betätigung, wo die Grenze zwischen beiderlei Arten sich
wirklich zu verwischen scheint. Dass eine scheinbar ungeschickte Bewegung
höchst raffiniert zu sexuellen Zwecken ausgenutzt werden kann, davon habe ich
vor einigen Jahren an mir selbst ein schönes Beispiel erlebt. Ich traf in einem
befreundeten Hause ein als Gast angelangtes junges Mädchen, welches ein längst
für erloschen gehaltenes Wohlgefallen bei mir erregte und mich darum heiter,
gesprächig und zuvorkommend stimmte. Ich habe damals auch nachgeforscht, auf
welchen Bahnen dies zuging; ein Jahr vorher hatte dasselbe Mädchen mich kühl
gelassen. Als nun der Onkel des Mädchens, ein sehr alter Herr, ins Zimmer trat,
sprangen wir beide auf, um ihm einen in der Ecke stehenden Stuhl zu bringen.
Sie war behender als ich, wohl auch dem Objekt näher; so hatte sie sich zuerst
des Sessels bemächtigt und trug ihn mit der Lehne nach rückwärts, beide Hände
auf die Sesselränder gelegt, vor sich hin. Indem ich später hinzutrat und den
Anspruch, den Sessel zu tragen, doch nicht aufgab, stand ich plötzlich dicht
hinter ihr, hatte beide Arme von rückwärts um sie geschlungen, und die Hände
trafen sich einen Moment lang vor ihrem Schoss. Ich löste natürlich die
Situation ebenso rasch, als sie entstanden war. Es schien auch keinem
aufzufallen, wie geschickt ich diese ungeschickte Bewegung ausgebeutet hatte.
Gelegentlich habe ich mir auch sagen müssen, dass das ärgerliche,
ungeschickte Ausweichen auf der Strasse, wobei man durch einige Sekunden hin
und her, aber doch stets nach der nämlichen Seite wie der oder die Andere,
Schritte macht, bis endlich beide vor einander stehen bleiben, dass auch dieses
»den Weg Vertreten« ein unartig provozierendes Benehmen früherer Jahre
wiederholt und sexuelle Absichten unter der Maske der Ungeschicklichkeit
verfolgt. Aus meinen Psychoanalysen Neurotischer weiss ich, dass die sogenannte
Naivität junger Leute und Kinder häufig nur solch eine Maske ist, um das [61] Unanständige unbeirrt durch Genieren
aussprechen oder tun zu können.
f.
Die Effekte, die durch das Fehlgreifen
normaler Menschen zustande kommen, sind in der Regel von harmlosester Art.
Gerade darum wird sich ein besonderes Interesse an die Frage knüpfen, ob
Fehlgriffe von erheblicher Tragweite, die von bedeutsamen Folgen begleitet sein
können, wie z. B. die des Arztes oder Apothekers, nach irgend einer
Richtung unter unsere Gesichtspunkte fallen.
Da ich sehr selten in die Lage komme, ärztliche
Eingriffe vorzunehmen, habe ich nur über ein Beispiel von ärztlichem Vergreifen
aus eigener Erfahrung zu berichten. Bei einer sehr alten Dame, die ich seit
Jahren zweimal täglich besuche, beschränkt sich meine ärztliche Tätigkeit beim
Morgenbesuch auf zwei Akte: ich träufle ihr ein paar Tropfen Augenwasser ins
Auge und gebe ihr eine Morphiuminjektion. Zwei Fläschchen, ein blaues für das
Kollyrium und ein weisses mit der Morphinlösung, sind regelmässig vorbereitet.
Während der beiden Verrichtungen beschäftigen sich meine Gedanken wohl meist
mit etwas anderem; das hat sich eben schon so oft wiederholt, dass die
Aufmerksamkeit sich wie frei benimmt. Eines Morgens bemerkte ich, dass der
Automat falsch gearbeitet hatte, das Tropfröhrchen hatte ins weisse anstatt ins
blaue Fläschchen eingetaucht und nicht Kollyrium, sondern Morphin ins Auge
geträufelt. Ich erschrak heftig und beruhigte mich dann durch die Überlegung,
dass einige Tropfen einer zweiprozentigen Morphinlösung auch im Bindehautsack
kein Unheil anzurichten vermögen. Die Schreckempfindung war offenbar
anderswoher abzuleiten.
Bei dem Versuch, den kleinen Fehlgriff zu analysieren, fiel mir zunächst
die Phrase ein: „sich an der Alten vergreifen“, die den kurzen Weg zur Lösung
weisen konnte. Ich stand unter dem Eindrucke eines Traumes, den mir am Abend
vorher ein junger Mann erzählt hatte, dessen Inhalt sich nur auf sexuellen
Verkehr mit der eigenen Mutter deuten liess.[20] Die Sonderbarkeit, dass die Sage keinen Anstoss an dem Alter der
Königin Jokaste nimmt, schien mir gut zu dem Ergebnis zu stimmen, dass es sich
bei der Verliebtheit in die eigene Mutter niemals um deren gegenwärtige Person
handelt, sondern um ihr jugendliches Erinnerungsbild aus den Kinderjahren.
Solche Inkongruenzen stellen sich immer heraus, wo eine zwischen zwei Zeiten [62] schwankende Phantasie bewusst gemacht und
dadurch an eine bestimmte Zeit gebunden wird. In Gedanken solcher Art versunken
kam ich zu meiner über neunzigjährigen Patientin, und ich muss wohl auf dem
Wege gewesen sein, den allgemein menschlichen Charakter der Oedipusfabel als
das Korrelat des Verhängnisses, das sich in den Orakeln äussert, zu erfassen,
denn ich vergriff mich dann „bei oder an der Alten“. Indes dies Vergreifen war
wiederum harmlos; ich hatte von den beiden möglichen Irrtümern, die
Morphinlösung fürs Auge zu verwenden, oder das Augenwasser zur Injektion zu
nehmen, den bei weitem harmloseren gewählt. Es bleibt immer noch die Frage, ob
man bei Fehlgriffen, die schweren Schaden stiften können, in ähnlicher Weise
wie bei den hier behandelten eine unbewusste Absicht in Erwägung ziehen darf.
Hier lässt mich denn, wie zu erwarten steht, das Material im Stiche, und
ich bleibe auf Vermutungen und Annäherungen angewiesen. Es ist bekannt, dass
bei den schwereren Fällen von Psychoneurose Selbstbeschädigungen gelegentlich
als Krankheitssymptome auftreten, und dass der Ausgang des psychischen
Konfliktes in Selbstmord bei ihnen niemals auszuschliessen ist. Ich habe nun
erfahren, und werde es eines Tages durch gut aufgeklärte Beispiele belegen,
dass viele scheinbar zufällige Schädigungen, die solche Kranke treffen,
eigentlich Selbstbeschädigungen sind, indem eine beständig lauernde Tendenz zur
Selbstbestrafung, die sich sonst als Selbstvorwurf äussert, oder ihren Beitrag
zur Symptombildung stellt, eine zufällig gebotene äussere Situation geschickt
ausnützt, oder ihr etwa noch bis zur Erreichung des gewünschten schädigenden
Effektes nachhilft. Solche Vorkommnisse sind auch bei mittelschweren Fällen
keineswegs selten, und sie verraten den Anteil der unbewussten Absicht durch
eine Reihe von besonderen Zügen, z. B. durch die auffällige Fassung,
welche die Kranken bei dem angeblichen Unglücksfalle bewahren.[21]
Wer an das Vorkommen von halb absichtlicher Selbstbeschädigung – wenn der
ungeschickte Ausdruck gestattet ist – glaubt, der wird dadurch vorbereitet
anzunehmen, dass es ausser dem bewusst absichtlichen Selbstmord auch halb
absichtliche Selbstvernichtung – mit unbewusster [63] Absicht – gibt, die eine Lebensbedrohung geschickt auszunützen und sie als
zufällige Verunglückung zu maskieren weiss. Eine solche braucht keineswegs
selten zu sein. Denn die Tendenz zur Selbstvernichtung ist bei sehr viel mehr
Menschen in einer gewissen Stärke vorhanden, als bei denen sie sich durchsetzt;
die Selbstbeschädigungen sind in der Regel ein Kompromiss zwischen diesem Trieb
und den ihm noch entgegenwirkenden Kräften, und auch wo es wirklich zum
Selbstmord kommt, da ist die Neigung dazu eine lange Zeit vorher in geringerer
Stärke oder als unbewusste und unterdrückte Tendenz vorhanden gewesen.
Auch die bewusste Selbstmordabsicht wählt ihre Zeit, Mittel und
Gelegenheit: es ist ganz im Einklang damit, wenn die unbewusste einen Anlass abwartet, der
einen Teil der Verursachung auf sich nehmen und sie durch Inanspruchnahme der
Abwehrkräfte des Individuums von ihrer Bedrückung frei machen kann.[22] Es sind keineswegs müssige
Erwägungen, die ich da vorbringe; mir ist mehr als ein Fall von anscheinend
zufälligem Verunglücken (zu Pferde oder aus dem Wagen) bekannt geworden, dessen
nähere Umstände den Verdacht auf unbewusst zugelassenen Selbstmord rechtfertigen.
Da stürzt z. B. während eines Offizierswettrennens ein Offizier vom Pferde
und verletzt sich so schwer, dass er mehrere Tage nachher erliegt. Sein
Benehmen, nachdem er zu sich gekommen, ist in manchen Stücken auffällig. Noch
bemerkenswerter ist sein Benehmen vorher gewesen. Er ist tief verstimmt durch
den Tod seiner geliebten Mutter, wird von Weinkrämpfen in der Gesellschaft
seiner Kameraden befallen, er äussert Lebensüberdruss gegen seine vertrauten
Freunde, will den Dienst [64] quittieren, um an einem Kriege in Afrika Anteil zu nehmen, der ihn sonst
nicht berührt[23]; früher ein schneidiger Reiter, weicht er
jetzt dem Reiten aus, wo es nur möglich ist. Vor dem Wettrennen endlich, dem er
sich nicht entziehen kann, äussert er eine trübe Ahnung; wir werden uns bei
unserer Auffassung nicht mehr verwundern, dass diese Ahnung Recht behielt. Man
wird mir entgegenhalten, es sei ja ohne weiteres verständlich, dass ein Mensch
in solcher nervöser Depression das Tier nicht zu meistern versteht wie in
gesunden Tagen. Ich bin ganz einverstanden; nur möchte ich den Mechanismus
dieser motorischen Hemmung durch die Nervosität in der hier betonten
Selbstvernichtungsabsicht suchen.
Wenn so ein Wüten gegen die eigene Integrität und das eigene Leben hinter
anscheinend zufälliger Ungeschicklichkeit und motorischer Unzulänglichkeit
verborgen sein kann, so braucht man keinen grossen Schritt mehr zu tun, um die
Übertragung der nämlichen Auffassung auf Fehlgriffe möglich zu finden, welche Leben
und Gesundheit anderer ernstlich in Gefahr bringen. Was ich an Belegen für die
Triftigkeit dieser Auffassung vorbringen kann, ist der Erfahrung an Neurotikern
entnommen, deckt sich also nicht völlig mit dem Erfordernis. Ich werde über
einen Fall berichten, in dem mich nicht eigentlich ein Fehlgriff, sondern, was
man eher eine Symptom- oder Zufallshandlung nennen kann, auf die Spur brachte,
welche dann die Lösung des Konflikts bei dem Patienten ermöglichte. Ich
übernahm es einmal, die Ehe eines sehr intelligenten Mannes zu bessern, dessen
Misshelligkeiten mit seiner ihn zärtlich liebenden jungen Frau sich gewiss auf
reale Begründungen berufen konnten, aber wie er selbst zugab, durch diese nicht
voll erklärt wurden. Er beschäftigte sich unablässig mit dem Gedanken der
Scheidung, den er dann wieder verwarf, weil er seine beiden kleinen Kinder
zärtlich liebte. Trotzdem kam er immer wieder auf den Vorsatz zurück und
versuchte dabei kein Mittel, um sich die Situation erträglich zu gestalten.
Solches Nichtfertigwerden mit einem Konflikt gilt mir als Beweis dafür, dass
sich unbewusste und verdrängte Motive zur Verstärkung der mit einander
streitenden bewussten bereit gefunden haben, und ich unternehme es in solchen
Fällen, den Konflikt durch psychische Analyse zu beenden. Der Mann erzählte mir
eines Tages von einem kleinen Vorfall, der ihn aufs [65] äusserste erschreckt hatte. Er »hetzte« mit seinem älteren Kind, dem
weitaus geliebteren, hob es hoch und liess es nieder und einmal an solcher
Stelle und so hoch, dass das Kind mit dem Scheitel fast an den schwer
herabhängenden Gasluster angestossen hätte. Fast, aber doch eigentlich nicht oder
gerade eben noch! Dem Kind war nichts geschehen, aber es wurde vor Schreck
schwindlig. Der Vater blieb entsetzt mit dem Kinde im Arme stehen, die Mutter
bekam einen hysterischen Anfall. Die besondere Geschicklichkeit dieser
unvorsichtigen Bewegung, die Heftigkeit der Reaktion bei den Eltern legten es
mir nahe, in dieser Zufälligkeit eine Symptomhandlung zu suchen, welche eine böse
Absicht gegen das geliebte Kind zum Ausdruck bringen sollte. Den Widerspruch
gegen die aktuelle Zärtlichkeit dieses Vaters zu seinem Kinde konnte ich
mildern, wenn ich den Impuls zur Schädigung in die Zeit zurückverlegte, da
dieses Kind das einzige und so klein gewesen war, dass sich der Vater noch
nicht zärtlich für dasselbe zu interessieren brauchte. Dann hatte ich es
leicht, anzunehmen, dass der von seiner Frau wenig befriedigte Mann damals den
Gedanken gehabt oder den Vorsatz gefasst: Wenn dieses kleine Wesen, an dem mir
gar nichts liegt, stirbt, dann bin ich frei und kann mich von der Frau scheiden
lassen. Ein Wunsch nach dem Tode dieses jetzt so geliebten Wesens musste also
unbewusst weiterbestehen. Von hier ab war der Weg zur unbewussten Fixierung dieses
Wunsches leicht zu finden. Eine mächtige Determinierung ergab sich wirklich aus
der Kindheitserinnerung des Patienten, dass der Tod eines kleinen Bruders, den
die Mutter der Nachlässigkeit des Vaters zur Last legte, zu heftigen
Auseinandersetzungen zwischen den Eltern mit Scheidungsandrohung geführt hatte.
Der weitere Verlauf der Ehe meines Patienten bestätigte meine Kombination auch
durch den therapeutischen Erfolg.
VIII.
Symptom- und Zufallshandlungen.
Die bisher beschriebenen
Handlungen, in denen wir die Ausführung einer unbewussten Absicht erkannten,
traten als Störungen anderer beabsichtigter Handlungen auf und deckten sich mit
dem Vorwand der Ungeschicklichkeit. Die Zufallshandlungen, von denen jetzt die
Rede sein soll, unterscheiden sich von denen des Vergreifens nur dadurch, dass
sie die Anlehnung an eine bewusste Intention verschmähen [66] und also des Vorwandes nicht bedürfen.
Sie treten für sich auf und werden zugelassen, weil man Zweck und Absicht bei
ihnen nicht vermutet. Man führt sie aus, „ohne sich etwas bei ihnen zu denken“,
nur „rein zufällig“, „wie um die Hände zu beschäftigen“, und man rechnet
darauf, dass solche Auskunft der Nachforschung nach der Bedeutung der Handlung
ein Ende bereiten wird. Um sich dieser Ausnahmsstellung erfreuen zu können,
müssen diese Handlungen, die nicht mehr die Entschuldigung der
Ungeschicklichkeit in Anspruch nehmen, bestimmte Bedingungen erfüllen; sie
müssen unauffällig
und ihre Effekte müssen geringfügig sein.
Ich habe eine grosse Anzahl
solcher Zufallshandlungen bei mir und anderen gesammelt, und meine nach
gründlicher Untersuchung der einzelnen Beispiele, dass sie eher den Namen von Symptomhandlungen
verdienen. Sie bringen etwas zum Ausdruck, was der Täter selbst nicht in ihnen
vermutet, und was er in der Regel nicht mitzuteilen, sondern für sich zu
behalten beabsichtigt. Sie spielen also ganz so wie alle anderen bisher
betrachteten Phänomene die Rolle von Symptomen.
Die reichste Ausbeute an solchen
Zufalls- oder Symptomhandlungen erhält man allerdings bei der
psychoanalytischen Behandlung der Neurotiker. Ich kann es mir nicht versagen,
an zwei Beispielen dieser Herkunft zu zeigen, wie weit und wie fein die
Determinierung dieser unscheinbaren Vorkommnisse durch unbewusste Gedanken
getrieben ist. Die Grenze der Symptomhandlungen gegen das Vergreifen ist so
wenig scharf, dass ich diese Beispiele auch im vorigen Abschnitt hätte
unterbringen können.
a.
Eine junge Frau erzählte als Einfall
während der Sitzung, dass sie sich gestern beim Nägelschneiden „ins Fleisch geschnitten,
während sie das feine Häutchen im Nagelbett abzutragen bemüht war“. Das ist so
wenig interessant, dass man sich verwundert fragt, wozu es überhaupt erinnert
und erwähnt wird, und auf die Vermutung gerät, man habe es mit einer
Symptomhandlung zu tun. Es war auch wirklich der Ringfinger, an dem das kleine
Ungeschick vorfiel, der Finger, an dem man den Ehering trägt. Es war überdies
ihr Hochzeitstag, was der Verletzung des feinen Häutchens einen ganz
bestimmten, leicht zu erratenden Sinn verleiht. Sie erzählt auch gleichzeitig
einen Traum, der auf die Ungeschicklichkeit ihres Mannes und auf ihre
Anästhesie als Frau anspielt. Warum war es aber der Ringfinger der linken Hand,
an dem sie sich verletzte, da man doch den Ehering an der rechten Hand trägt?
Ihr Mann ist Jurist, »Doktor der Rechte«, und [67] ihre geheime Neigung hatte als Mädchen einem Arzt (scherzhaft: »Doktor der
Linke«) gehört. Eine Ehe zur linken Hand hat auch ihre bestimmte Bedeutung.
b.
Eine unverheiratete junge Dame erzählt:
„Ich habe gestern ganz unabsichtlich eine 100 Guldennote in zwei Stücke
gerissen und die Hälfte davon einer mich besuchenden Dame gegeben. Soll das
auch eine Symptomhandlung sein?“ Die genauere Erforschung deckt folgende
Einzelheiten auf: Die Hundertguldennote: Sie widmet einen Teil ihrer Zeit und
ihres Vermögens wohltätigen Werken. Gemeinsam mit einer anderen Dame sorgt sie
für die Erziehung eines verwaisten Kindes. Die 100 Gulden sind der ihr
zugeschickte Beitrag jener Dame, den sie in ein Couvert einschloss und vorläufig
auf ihren Schreibtisch niederlegte.
Die Besucherin war eine angesehene Dame, der sie bei einer anderen
Wohltätigkeitsaktion beisteht. Diese Dame wollte eine Reihe von Namen von Personen
notieren, an die man sich um Unterstützung wenden könnte. Es fehlte an Papier,
da griff meine Patientin nach dem Couvert auf ihrem Schreibtisch und riss es,
ohne sich an seinen Inhalt zu besinnen, in zwei Stücke, von denen sie eines
selbst behielt, um ein Duplikat der Namensliste zu haben, das andere ihrer
Besucherin übergab. Man bemerke die Harmlosigkeit dieses unzweckmässigen
Vorgehens. Eine Hundertguldennote erleidet bekanntlich keine Einbusse an ihrem
Werte, wenn sie zerrissen wird, falls sie sich aus den Rissstücken vollständig
zusammensetzen lässt. Dass die Dame das Stück Papier nicht wegwerfen würde, war
durch die Wichtigkeit der darauf stehenden Namen verbürgt, und ebensowenig litt
es einen Zweifel, dass sie den wertvollen Inhalt zurückstellen würde, sobald
sie ihn bemerkt.
Welchem unbewussten Gedanken sollte aber diese Zufallshandlung, die sich
durch ein Vergessen ermöglichte, Ausdruck geben? Die besuchende Dame hatte eine
ganz bestimmte Beziehung zu unserer Kur. Es war dieselbe, die mich seinerzeit
dem leidenden Mädchen als Arzt empfohlen, und wenn ich nicht irre, hält sich
meine Patientin zum Dank für diesen Rat verpflichtet. Soll die halbierte
Hundertguldennote etwa ein Honorar für diese Vermittlung darstellen? Das bliebe
noch recht befremdlich.
Es kommt aber anderes Material hinzu. Einige Tage vorher hatte eine
Vermittlerin ganz anderer Art bei einer Verwandten angefragt, ob das gnädige
Fräulein wohl die Bekanntschaft eines gewissen Herrn machen wolle, und am
Morgen, einige Stunden vor dem Besuche der Dame, war der Werbebrief des Freiers
eingetroffen, der viel Anlass [68] zur Heiterkeit gegeben hatte. Als nun die Dame das Gespräch mit einer
Erkundigung nach dem Befinden meiner Patientin eröffnete, konnte sie wohl
gedacht haben: „Den richtigen Arzt hast Du mir zwar empfohlen, wenn Du mir aber
zum richtigen Mann (und dahinter: zu einem Kind) verhelfen könntest, wäre ich
Dir doch dankbarer.“ Von diesem verdrängt gehaltenen Gedanken aus flossen ihr
die beiden Vermittlerinnen in eins zusammen, und sie überreichte der Besucherin
das Honorar, das ihre Phantasie der anderen zu geben bereit war. Völlig
verbindlich wird diese Lösung, wenn ich hinzufüge, dass ich ihr erst am Abend
vorher von solchen Zufalls- oder Symptomhandlungen erzählt hatte. Sie bediente
sich dann der nächsten Gelegenheit, um etwas Analoges zu produzieren.
Eine Gruppierung der so überaus
häufigen Zufalls- und Symptomhandlungen könnte man vornehmen, je nachdem sie
gewohnheitsmässig, regelmässig unter gewissen Umständen, oder vereinzelt
erfolgen. Die ersteren (wie das Spielen mit der Uhrkette, das Zwirbeln am Bart
etc.), die fast zur Charakteristik der betreffenden Personen dienen können,
streifen an die mannigfaltigen Tikbewegungen und verdienen wohl im
Zusammenhange mit letzteren behandelt zu werden. Zur zweiten Gruppe rechne ich
das Spielen, wenn man einen Stock, das Kritzeln, wenn man einen Bleistift in
der Hand hält, das Klimpern mit Münzen in der Tasche, das Kneten von Teig und
anderen plastischen Stoffen, allerlei Hantierungen an seiner Gewandung
u. dgl. mehr. Unter diesen spielenden Beschäftigungen verbergen sich
während der psychischen Behandlung regelmässig Sinn und Bedeutung, denen ein
anderer Ausdruck versagt ist. Gewöhnlich weiss die betreffende Person nichts
davon, dass sie dergleichen tut, oder dass sie gewisse Modifikationen an ihrem
gewöhnlichen Tändeln vorgenommen hat, und sie übersieht und überhört auch die
Effekte dieser Handlungen. Sie hört z. B. das Geräusch nicht, das sie beim
Klimpern mit Geldstücken hervorbringt, und benimmt sich wie erstaunt und
ungläubig, wenn man sie darauf aufmerksam macht. Ebenso ist alles, was man, oft
ohne es zu merken, mit seinen Kleidern vornimmt, bedeutungsvoll und der
Beachtung des Arztes wert. Jede Veränderung des gewohnten Aufzuges, jede kleine
Nachlässigkeit, wie etwa ein nicht schliessender Knopf, jede Spur von
Entblössung will etwas besagen, was der Eigentümer der Kleidung nicht direkt
sagen will, meist gar nicht zu sagen weiss. Die Deutungen dieser kleinen
Zufallshandlungen, sowie die Beweise für diese Deutungen ergeben sich jedesmal
mit zureichender Sicherheit aus den Begleitumständen während der Sitzung, aus
dem eben behandelten Thema [69] und aus den Einfällen, die sich einstellen, wenn man die Aufmerksamkeit
auf die anscheinende Zufälligkeit lenkt. Wegen dieses Zusammenhanges unterlasse
ich es, meine Behauptungen durch Mitteilung von Beispielen mit Analyse zu
unterstützen; ich erwähne diese Dinge aber, weil ich glaube, dass sie bei
normalen Menschen dieselbe Bedeutung haben wie bei meinen Patienten.
Ich kann etwa aus meiner
psychotherapeutischen Erfahrung einen Fall erzählen, in dem die mit einem
Klumpen Brotkrume spielende Hand eine beredte Aussage ablegte. Mein Patient war
ein noch nicht 13j., seit fast zwei Jahren schwer hysterischer Knabe, den ich
endlich in psychoanalytische Behandlung nahm, nachdem ein längerer Aufenthalt
in einer Wasserheilanstalt sich erfolglos erwiesen hatte. Er musste nach meiner
Voraussetzung sexuelle Erfahrungen gemacht haben und seiner Altersstufe entsprechend
von sexuellen Fragen gequält sein; ich hütete mich aber, ihm mit Aufklärungen
zur Hilfe zu kommen, weil ich wieder einmal eine Probe auf meine
Voraussetzungen anstellen wollte. Ich durfte also neugierig sein, auf welchem
Wege sich das Gesuchte bei ihm andeuten würde. Da fiel es mir auf, dass er
eines Tages irgend etwas zwischen den Fingern der rechten Hand rollte, damit in
die Tasche fuhr, dort weiter spielte, es wieder hervorzog etc. Ich fragte
nicht, was er in der Hand habe; er zeigte es mir aber, indem er plötzlich die
Hand öffnete. Es war Brotkrume, die zu einem Klumpen zusammengeknetet war. In
der nächsten Sitzung brachte er wieder einen solchen Klumpen mit, formte aber
aus ihm, während wir das Gespräch führten, mit unglaublicher Raschheit und bei
geschlossenen Augen Figuren, die mein Interesse erregten. Es waren
unzweifelhaft Männchen mit Kopf, zwei Armen, zwei Beinen, wie die rohesten
prähistorischen Idole, und einem Fortsatz zwischen beiden Beinen, den er in
eine lange Spitze auszog. Kaum dass dieser gefertigt war, knetete er das
Männchen wieder zusammen; später liess er es bestehen, zog aber einen
ebensolchen Fortsatz an der Rückenfläche und an anderen Stellen aus, um die
Bedeutung des ersten zu verhüllen. Ich wollte ihm zeigen, dass ich ihn verstanden
habe, ihm aber dabei die Ausflucht benehmen, dass er sich bei dieser Menschen
formenden Tätigkeit nichts gedacht habe. In dieser Absicht fragte ich ihn
plötzlich, ob er sich an die Geschichte jenes römischen Königs erinnere, der
dem Abgesandten seines Sohnes eine pantomimische Antwort im Garten gegeben. Der
Knabe wollte sich nicht an das erinnern, was er doch vor so viel kürzerer Zeit
als ich gelernt haben musste. Er fragte, ob das die Geschichte von dem Sklaven
sei, auf dessen glattrasierten Schädel man die Antwort geschrieben habe. Nein,
das gehört [70] in die griechische
Geschichte, sagte ich und erzählte: Der König Tarquinius Priscus hatte seinen
Sohn Sextus veranlasst, sich in eine feindliche latinische Stadt
einzuschleichen. Der Sohn, der sich unterdes Anhang in dieser Stadt verschafft
hatte, schickte einen Boten an den König mit der Frage, was nun weiter
geschehen solle. Der König gab keine Antwort, sondern ging in seinen Garten,
liess sich dort die Frage wiederholen und schlug schweigend die grössten und
schönsten Mohnköpfe ab. Dem Boten blieb nichts übrig als dieses dem Sextus zu
berichten, der den Vater verstand und es sich angelegen sein liess, die
angesehensten Bürger der Stadt durch Mord zu beseitigen.
Während ich redete, hielt der
Knabe in seinem Kneten inne, und als ich mich anschickte zu erzählen, was der
König in seinem Garten tat, schon bei den Worten »schlug schweigend«, hatte er
mit einer blitzschnellen Bewegung seinem Männchen den Kopf abgerissen. Er hatte
mich also verstanden und gemerkt, dass er von mir verstanden worden war. Ich
konnte ihn nun direkt befragen, gab ihm die Auskünfte, um die es ihm zu tun
war, und wir hatten binnen kurzem der Neurose ein Ende gemacht.
Von den vereinzelten
Zufallshandlungen will ich ein Beispiel mitteilen, welches auch ohne Analyse
eine tiefere Deutung zuliess, das die Bedingungen trefflich erläutert, unter
denen solche Symptome vollkommen unauffällig produziert werden können, und an
das sich eine praktisch bedeutsame Bemerkung anknüpfen lässt. Auf einer
Sommerreise traf es sich, dass ich einige Tage an einem gewissen Orte auf die
Ankunft meines Reisegefährten zu warten hatte. Ich machte unterdes die
Bekanntschaft eines jungen Mannes, der sich gleichfalls einsam zu fühlen schien
und sich bereitwillig mir anschloss. Da wir in demselben Hôtel wohnten, fügte
es sich leicht, dass wir alle Mahlzeiten gemeinsam einnahmen und Spaziergänge
miteinander machten. Am Nachmittag des dritten Tages teilte er mir plötzlich
mit, dass er heute abends seine mit dem Eilzuge anlangende Frau erwarte. Mein
psychologisches Interesse wurde nun rege, denn es war mir an meinem
Gesellschafter bereits am Vormittag aufgefallen, dass er meinen Vorschlag zu
einer grösseren Partie zurückgewiesen und auf unserem kleinen Spaziergang einen
gewissen Weg als zu steil und gefährlich nicht hatte begehen wollen. Auf dem
Nachmittagsspaziergang behauptete er plötzlich, ich müsste doch hungrig sein,
ich sollte doch ja nicht seinetwegen die Abendmahlzeit aufschieben, er werde
erst nach der Ankunft seiner Frau mit ihr zu Abend essen. Ich verstand den Wink
und setzte mich an den Tisch, während er auf den Bahnhof ging. Am nächsten [71] Morgen trafen wir uns in der Vorhalle des
Hôtels. Er stellte mir seine Frau vor und fügte hinzu: Sie werden doch mit uns
das Frühstück nehmen? Ich hatte noch eine kleine Besorgung in der nächsten
Strasse vor und versicherte, ich würde bald nachkommen. Als ich dann in den
Frühstückssaal trat, sah ich, dass das Paar an einem kleinen Fenstertisch Platz
genommen hatte, auf dessen einer Seite sie beide sassen. Auf der Gegenseite
befand sich nur ein Sessel, aber über dessen Lehne hing der grosse und schwere
Lodenmantel des Mannes herab, den Platz verdeckend. Ich verstand sehr wohl den
Sinn dieser gewiss nicht absichtlichen, aber darum um so ausdrucksvolleren
Lagerung. Es hiess: für Dich ist hier kein Platz, Du bist jetzt überflüssig.
Der Mann bemerkte es nicht, dass ich vor dem Tische stehen blieb, ohne mich zu
setzen, wohl aber die Dame, die ihren Mann sofort anstiess und ihm zuflüsterte:
Du hast ja dem Herrn den Platz verlegt.
Bei diesem wie bei anderen
ähnlichen Erlebnissen habe ich mir gesagt, dass die unabsichtlich ausgeführten
Handlungen unvermeidlich zur Quelle von Missverständnissen im menschlichen
Verkehr werden müssen. Der Täter, der von einer mit ihnen verknüpften Absicht
nichts weiss, rechnet sich dieselben nicht an und hält sich nicht
verantwortlich für sie. Der andere hingegen erkennt, indem er regelmässig auch
solche Handlungen seines Partners zu Schlüssen über dessen Absichten und
Gesinnungen verwertet, mehr von den psychischen Vorgängen des Fremden, als
dieser selbst zuzugeben bereit ist und mitgeteilt zu haben glaubt. Letzterer
aber entrüstet sich, wenn ihm diese aus seinen Symptomhandlungen gezogenen
Schlüsse vorgehalten werden, erklärt sie für grundlos, da ihm das Bewusstsein
für die Absicht bei der Ausführung fehlt, und klagt über Missverständnis von
Seiten des anderen. Genau besehen beruht ein solches Missverständnis auf einem
Zufein- und Zuvielverstehen. Je »nervöser« zwei Menschen sind, desto eher
werden sie einander Anlass zu Entzweiungen bieten, deren Begründung jeder für
seine eigene Person ebenso bestimmt leugnet, wie er sie für die Person des
anderen als gesichert annimmt. Und dies ist wohl die Strafe für die innere
Unaufrichtigkeit, dass die Menschen unter den Vorwänden des Vergessens,
Vergreifens und der Unabsichtlichkeit Regungen den Ausdruck gestatten, die sie
besser sich und anderen eingestehen würden, wenn sie sie schon nicht
beherrschen können. Man kann in der Tat ganz allgemein behaupten, dass
jedermann fortwährend psychische Analyse an seinen Nebenmenschen betreibt und
diese infolgedessen besser kennen lernt als jeder einzelne [72] sich selbst. Der Weg zur Befolgung der
Mahnung γνῶθι σεαυτὸν führt durch das Studium seiner eigenen
scheinbar zufälligen Handlungen und Unterlassungen.
IX.
Irrtümer.
Die Irrtümer des Gedächtnisses
sind vom Vergessen mit Fehlerinnern nur durch den einen Zug unterschieden, dass
der Irrtum (das Fehlerinnern) nicht als solcher erkannt wird, sondern Glauben
findet. Der Gebrauch des Ausdruckes »Irrtum« scheint aber noch an einer anderen
Bedingung zu hängen. Wir sprechen von »Irren« anstatt von »falsch Erinnern«, wo
in dem zu reproduzierenden psychischen Material der Charakter der objektiven
Realität hervorgehoben werden soll, wo also etwas anderes erinnert werden soll
als eine Tatsache meines eigenen psychischen Lebens, vielmehr etwas, was der
Bestätigung oder Widerlegung durch die Erinnerung anderer zugänglich ist. Den
Gegensatz zum Gedächtnisirrtum in diesem Sinn bildet die Unwissenheit.
In meinem Buche
»Die
Traumdeutung (1900)« habe ich mich einer Reihe von Verfälschungen an
geschichtlichem und überhaupt tatsächlichem Material schuldig gemacht, auf die
ich nach dem Erscheinen des Buches mit Verwunderung aufmerksam geworden bin.
Ich habe bei näherer Prüfung derselben gefunden, dass sie nicht meiner
Unwissenheit entsprungen sind, sondern sich auf Irrtümer des Gedächtnisses
zurückleiten, welche sich durch Analyse aufklären lassen.
a.
Auf
p. 266
bezeichne ich als den Geburtsort Schillers die Stadt Marburg, deren Name in der Steiermark
wiederkehrt. Der Irrtum findet sich in der Analyse eines Traumes während einer
Nachtreise, aus dem ich durch den vom Kondukteur ausgerufenen Stationsnamen Marburg geweckt
wurde. Im Trauminhalt wird nach einem Buch von Schiller gefragt. Nun ist Schiller nicht in der Universitätsstadt Marburg, sondern in
dem schwäbischen Marbach
geboren. Ich behaupte auch, dass ich dies immer gewusst habe.
b.
Auf p. 135 wird Hannibals Vater Hasdrubal genannt.
Dieser Irrtum war mir besonders ärgerlich, hat mich aber in der Auffassung
solcher Irrtümer am meisten bestärkt. In der Geschichte der Barkiden dürften
wenige der Leser des Buches besser Bescheid wissen [73] als der Verfasser, der diesen Fehler niederschrieb und ihn bei drei
Korrekturen übersah. Der Vater Hannibals hiess Hamilkar Barkas, Hasdrubal war der
Name von Hannibals
Bruder, übrigens auch der seines Schwagers und Vorgängers im Kommando.
c.
Auf p. 177 und
p. 370
behaupte ich, dass Zeus
seinen Vater Kronos entmannt und ihn vom Throne stürzt. Diesen Greuel habe ich
aber irrtümlich um eine Generation vorgeschoben; die griechische Mythologie
lässt ihn von Kronos
an seinem Vater Uranos
verüben.
Wie ist es nun zu erklären, dass
mein Gedächtnis in diesen Punkten Ungetreues lieferte, während es mir sonst,
wie sich Leser des Buches überzeugen können, das entlegenste und
ungebräuchlichste Material zur Verfügung stellte? Und ferner, dass ich bei drei
sorgfältig durchgeführten Korrekturen wie mit Blindheit geschlagen an diesen
Irrtümern vorbeiging?
Man hat von
Lichtenberg gesagt, wo er einen Witz
gemacht habe, dort liege ein Problem verborgen. Ähnlich kann man über die hier
angeführten Stellen meines Buches behaupten: wo ein Irrtum vorliegt, da steckt
eine Verdrängung dahinter. Richtiger gesagt: eine Unaufrichtigkeit, eine
Entstellung, die schliesslich
auf Verdrängtem fusst. Ich bin bei der Analyse der dort mitgeteilten Träume
durch die blosse Natur der Themata, auf welche sich die Traumgedanken beziehen,
genötigt gewesen, einerseits die Analyse irgendwo vor ihrer Abrundung
abzubrechen, andererseits einer indiskreten Einzelheit durch eine leise
Entstellung die Schärfe zu benehmen. Ich konnte nicht anders und hatte auch
keine andere Wahl, wenn ich überhaupt Beispiele und Belege vorbringen wollte;
meine Zwangslage leitete sich mit Notwendigkeit aus der Eigenschaft der Träume
ab, Verdrängtem, d. h. Bewusstseinsunfähigem, Ausdruck zu geben. Es dürfte
trotzdem genug übrig geblieben sein, woran empfindlichere Seelen Anstoss
genommen haben. Die Entstellung oder Verschweigung der mir selbst noch
bekannten fortsetzenden Gedanken hat sich nun nicht spurlos durchführen lassen.
Was ich unterdrücken wollte, hat sich oftmals wider meinen Willen den Zugang in
das von mir Aufgenommene erkämpft und ist darin als von mir unbemerkter Irrtum
zum Vorschein gekommen. In allen drei hervorgehobenen Beispielen liegt übrigens
das nämliche Thema zu Grunde; die Irrtümer sind Abkömmlinge verdrängter
Gedanken, die sich mit meinem verstorbenen Vater beschäftigen.
·
ad. a)
Wer den auf p. 266 analysierten Traum durchliest, wird teils
unverhüllt erfahren, teils aus Andeutungen erraten können, dass ich bei
Gedanken abgebrochen habe, die eine unfreundliche Kritik am [74] Vater enthalten hätten. In der
Fortsetzung dieses Zuges von Gedanken und Erinnerungen liegt nun eine
ärgerliche Geschichte, in welcher Bücher eine Rolle spielen und ein
Geschäftsfreund des Vaters, der den Namen Marburg führt, denselben Namen, durch dessen
Anruf in der gleichnamigen Südbahnstation ich aus dem Schlaf geweckt wurde.
Diesen Herrn Marburg
wollte ich bei der Analyse mir und den Lesern unterschlagen; er rächte sich
dadurch, dass er sich dort einmengte, wo er nicht hingehört, und den Namen des
Geburtsortes Schillers
aus Marbach
in Marburg
veränderte.
·
ad. b)
Der Irrtum Hasdrubal
anstatt Hamilkar,
der Name des Bruders an Stelle des Namens des Vaters, ereignet sich gerade in
einem Zusammenhange, der von den Hannibalphantasien meiner Gymnasiastenjahre und
von meiner Unzufriedenheit mit dem Benehmen des Vaters gegen die »Feinde
unseres Volkes« handelt. Ich hätte fortsetzen und erzählen können, wie mein
Verhältnis zum Vater durch einen Besuch in England verändert wurde, der mich
die Bekanntschaft meines dort lebenden Halbbruders aus früherer Ehe des Vaters
machen liess. Mein Bruder hat einen ältesten Sohn, der mir gleichalterig ist;
die Phantasien, wie anders es geworden wäre, wenn ich nicht als Sohn des
Vaters, sondern des Bruders zur Welt gekommen wäre, fanden also kein Hindernis
an den Altersrelationen. Diese unterdrückten Phantasien fälschten nun an der
Stelle, wo ich in der Analyse abbrach, den Text meines Buches, indem sie mich
nötigten, den Namen des Bruders für den des Vaters zu setzen.
·
ad. c)
Dem Einfluss der Erinnerung an diesen selben Bruder schreibe ich es zu, dass
ich die mythologischen Greuel der griechischen Götterwelt um eine Generation
vorgeschoben habe. Von den Mahnungen des Bruders ist mir lange Zeit eine im
Gedächtnis geblieben: „Vergiss nicht, in Bezug auf Lebensführung, eines“, hatte
er mir gesagt, „dass Du nicht der zweiten, sondern eigentlich der dritten
Generation vom Vater aus angehörst.“ Unser Vater hatte sich in späteren Jahren
wieder verheiratet und war um so vieles älter als seine Kinder zweiter Ehe. Ich
begehe den besprochenen Irrtum im Buche gerade, wo ich von der Pietät zwischen
Eltern und Kindern handle.
Es ist auch einige Male
vorgekommen, dass Freunde und Patienten, deren Träume ich berichtete, oder auf
die ich in den Traumanalysen anspielte, mich aufmerksam machten, die Umstände
der gemeinsam erlebten Begebenheit seien von mir ungenau erzählt worden. Das
wären nun wiederum historische Irrtümer. Ich habe die einzelnen Fälle nach der
Richtigstellung nachgeprüft und mich gleichfalls überzeugt, [75] dass meine Erinnerung des Sachlichen nur
dort ungetreu war, wo ich in der Analyse etwas mit Absicht entstellt oder
verhehlt hatte. Auch hier wieder ein unbemerkter Irrtum als Ersatz für eine absichtliche
Verschweigung oder Verdrängung.
Von diesen Irrtümern, die der
Verdrängung entspringen, heben sich scharf andere ab, die auf wirklicher
Unwissenheit beruhen. So war es z. B. Unwissenheit, wenn ich auf einem
Ausflug in die Wachau
den Aufenthalt des Revolutionärs Fischhof berührt zu haben glaubte. Die beiden
Orte haben nur den Namen gemein; das Emmersdorf Fischhofs liegt in Kärnthen. Ich wusste es aber
nicht anders.
Man wird vielleicht nicht geneigt
sein, die Klasse von Irrtümern, für die ich hier die Aufklärung gebe, für sehr
zahlreich oder besonders bedeutungsvoll zu halten. Ich gebe aber zu bedenken,
ob man nicht Grund hat, die gleichen Gesichtspunkte auch auf die Beurteilung
der ungleich wichtigeren Urteilsirrtümer
der Menschen im Leben und in der Wissenschaft auszudehnen. Nur den
auserlesensten und ausgeglichensten Geistern scheint es möglich zu sein, das
Bild der wahrgenommenen äusseren Realität vor der Verzerrung zu bewahren, die
es sonst beim Durchgang durch die psychische Individualität des Wahrnehmenden
erfährt.
X.
Determinismus. – Zufalls- und Aberglauben. – Gesichtspunkte.
Als das allgemeine Ergebnis der
vorstehenden Einzelerörterungen kann man folgende Einsicht hinstellen: Gewisse Unzulänglichkeiten
unserer psychischen Leistungen – deren gemeinsamer Charakter
sogleich näher bestimmt werden soll – und gewisse absichtslos erscheinende Verrichtungen erweisen
sich, wenn man das Verfahren der psychoanalytischen Untersuchung auf sie
anwendet, als wohlmotiviert und durch dem Bewusstsein unbekannte Motive
determiniert.
Um in die Klasse der so zu
erklärenden Phänomene eingereiht zu werden, muss eine psychische Fehlleistung
folgenden Bedingungen genügen:
a.
Sie darf nicht über ein gewisses Mass
hinausgehen, welches von unserer Schätzung festgesetzt ist und durch den
Ausdruck »innerhalb der Breite des Normalen« bezeichnet wird.
b.
[76]Sie muss den
Charakter der momentanen und zeitweiligen Störung an sich tragen. Wir müssen
die nämliche Leistung vorher korrekter ausgeführt haben oder uns jederzeit
zutrauen, sie korrekter auszuführen. Wenn wir von anderer Seite korrigiert
werden, müssen wir die Richtigkeit der Korrektur und die Unrichtigkeit unseres
eigenen psychischen Vorganges sofort erkennen.
c.
Wenn wir die Fehlleistung überhaupt
wahrnehmen, dürfen wir von einer Motivierung derselben nichts in uns verspüren,
sondern müssen versucht sein, sie durch »Unaufmerksamkeit« zu erklären oder als
»Zufälligkeit« hinzustellen.
Es verbleiben somit in dieser Gruppe die Fälle von Vergessen und die
Irrtümer bei besserem Wissen, das Versprechen, Verlesen, Verschreiben,
Vergreifen und die sog. Zufallshandlungen. Die gleiche Zusammensetzung mit der
Vorsilbe ver
deutet für die meisten dieser Phänomene die innere Gleichartigkeit sprachlich
an. An die Aufklärung dieser so bestimmten psychischen Vorgänge knüpft aber
eine Reihe von Bemerkungen an, die zum Teil ein weitergehendes Interesse
erwecken dürfen.
I.
Indem
wir einen Teil unserer psychischen Leistungen als unaufklärbar durch
Zielvorstellungen preisgeben, verkennen wir den Umfang der Determinierung im
Seelenleben. Dieselbe reicht hier und noch auf anderen Gebieten weiter, als wir
es vermuten. Ich habe im Jahre 1900 in einem Aufsatz des Literarhistorikers
R. M. Meyer in der
»Zeit«
ausgeführt und an Beispielen erläutert gefunden, dass es unmöglich ist,
absichtlich und willkürlich einen Unsinn zu komponieren. Seit längerer Zeit
weiss ich, dass man es nicht zustande bringt, sich eine Zahl nach freiem
Belieben einfallen zu lassen, ebensowenig wie etwa einen Namen. Untersucht man
die scheinbar willkürlich gebildete, etwa mehrstellige, wie im Scherz oder
Übermut ausgesprochene Zahl, so erweist sich deren strenge Determinierung, die
man wirklich nicht für möglich gehalten hätte. Ich will nun zunächst ein
Beispiel eines willkürlich gewählten Vornamens kurz erörtern und dann ein
analoges Beispiel einer »gedankenlos hingeworfenen« Zahl ausführlicher
analysieren.
1.
Im Begriffe, die Krankengeschichte einer
meiner Patientinnen für die Publikation herzurichten, erwäge ich, welchen
Vornamen ich ihr in der Arbeit geben soll. Die Auswahl scheint sehr gross;
gewiss schliessen sich einige Namen von vorne herein aus, in erster Linie der
echte Name, sodann die Namen meiner eigenen Familienangehörigen, an denen ich
Anstoss nehmen würde, etwa noch andere Frauennamen [77] von besonders seltsamem Klang; im übrigen aber brauchte ich um einen
solchen Namen nicht verlegen zu sein. Man sollte erwarten und ich erwarte
selbst, dass sich mir eine ganze Schar weiblicher Namen zur Verfügung stellen
wird. Anstatt dessen taucht ein einzelner auf, kein zweiter neben ihm, der Name
Dora. Ich
frage nach seiner Determinierung. Wer heisst denn nur sonst Dora? Ungläubig
möchte ich den nächsten Einfall zurückweisen, der lautet, dass das
Kindermädchen meiner Schwester so heisst. Aber ich besitze soviel Selbstzucht
oder Übung im Analysieren, dass ich den Einfall festhalte und weiterspinne. Da
fällt mir auch sofort eine kleine Begebenheit des vorigen Abends ein, welche
die gesuchte Determinierung bringt. Ich sah auf dem Tisch im Speisezimmer
meiner Schwester einen Brief liegen mit der Aufschrift: „An Fräulein Rosa W.“
Erstaunt fragte ich, wer so heisst, und wurde belehrt, dass die vermeintliche
Dora eigentlich Rosa heisst, und diesen ihren Namen beim Eintritt ins Haus
ablegen musste, weil meine Schwester den Ruf »Rosa« auch auf ihre eigene Person
beziehen kann. Ich sage bedauernd: Die armen Leute, nicht einmal ihren Namen
können sie beibehalten! Wie ich mich jetzt besinne, wurde ich dann für einen
Moment still und begann an allerlei ernsthafte Dinge zu denken, die ins Unklare
verliefen, die ich mir jetzt aber leicht bewusst machen könnte. Als ich dann am
nächsten Tag nach einem Namen für eine Person suchte, die ihren eigenen nicht
beibehalten durfte, fiel mir kein anderer als »Dora« ein. Die
Ausschliesslichkeit beruht hier auf fester inhaltlicher Verknüpfung, denn in
der Geschichte meiner Patientin rührte ein auch für den Verlauf der Kur
entscheidender Einfluss von der im fremden Haus dienenden Person, von einer
Gouvernante, her.
2.
In einem Briefe an meinen Freund in B.
kündige ich ihm an, dass ich jetzt die Korrekturen der
Traumdeutung
abgeschlossen habe und nichts mehr an dem Werk ändern will, »möge es auch 2467
Fehler enthalten«. Ich versuche sofort, mir diese Zahl aufzuklären und füge die
kleine Analyse noch als Nachschrift dem Briefe an. Am besten zitiere ich jetzt,
wie ich damals geschrieben, als ich mich auf frischer Tat ertappte:
„Noch rasch einen Beitrag zur Psychopathologie des Alltagslebens. Du
findest im Brief die Zahl 2467 als übermütige Willkürschätzung der Fehler, die
sich im Traumbuch finden werden. Es soll heissen: irgend eine grosse Zahl, und
da stellt sich diese ein. Nun gibt es aber nichts Willkürliches,
Undeterminiertes im Psychischen. Du wirst also auch mit Recht erwarten, dass
das Unbewusste sich beeilt hat, [78] die Zahl zu determinieren, die von dem Bewussten freigelassen wurde. Nun
hatte ich gerade vorher in der Zeitung gelesen, dass ein General E. M. als
Feldzeugmeister in den Ruhestand getreten. Du musst wissen, der Mann
interessiert mich. Während ich als militärärztlicher Eleve diente, kam er
einmal, damals Oberst, in den Krankenstand und sagte zum Arzt: „Sie müssen mich
aber in 8 Tagen gesund machen, denn ich habe etwas zu arbeiten, worauf der
Kaiser wartet.“ Damals nahm ich mir vor, die Laufbahn des Mannes zu verfolgen,
und siehe da, heute (1899) ist er am Ende derselben, Feldzeugmeister und schon
im Ruhestande. Ich wollte ausrechnen, in welcher Zeit er diesen Weg
zurückgelegt, und nahm an, dass ich ihn 1882 im Spital gesehen. Das wären also
17 Jahre. Ich erzähle meiner Frau davon und sie bemerkt: „Da müsstest Du also
auch schon im Ruhestande sein?“ Und ich protestiere: Davor bewahre mich Gott.
Nach diesem Gespräch setze ich mich an den Tisch, um Dir zu schreiben. Der
frühere Gedankengang setzt sich aber fort und mit gutem Recht. Es war falsch
gerechnet; ich habe einen festen Punkt dafür in meiner Erinnerung. Meine
Grossjährigkeit, meinen 24. Geburtstag also, habe ich im Militärarrest
gefeiert (weil ich mich eigenmächtig absentiert hatte). Das war also 1880; es
sind 19 Jahre her. Da hast Du nun die Zahl 24 in 2467! Nimm nun meine
Alterszahl 43 und gib 24 Jahre hinzu, so bekommst Du die 67! D. h.
auf die Frage, ob ich auch in den Ruhestand treten will, habe ich mir im Wunsch
noch 24 Jahre Arbeit zugelegt. Offenbar bin ich gekränkt darüber, dass ich es
in dem Intervall, durch das ich den Oberst M. verfolgt, selbst nicht weit
gebracht habe, und doch wie in einer Art von Triumph darüber, dass er jetzt
schon fertig ist, während ich noch Alles vor mir habe. Da darf man doch mit
Recht sagen, dass nicht einmal die absichtslos hingeworfene Zahl 2467 ihrer
Determinierung aus dem Unbewussten entbehrt.“
Seit diesem ersten Beispiel von Aufklärung einer scheinbar willkürlich
gewählten Zahl habe ich den gleichen Versuch vielmals mit dem nämlichen Erfolg
wiederholt; aber die meisten Fälle sind so sehr intimen Inhalts, dass sie sich
der Mitteilung entziehen. Gerade an diesen Analysen ist mir zweierlei besonders
auffällig: Erstens die geradezu somnambule Sicherheit, mit der ich auf das mir
unbekannte Ziel losgehe, mich in einen rechnenden Gedankengang versenke, der
dann plötzlich bei der gesuchten Zahl angelangt ist, und die Raschheit, mit der
sich die ganze Nacharbeit vollzieht; zweitens aber der Umstand, dass die Zahlen
meinem unbewussten Denken so bereitwillig [79] zur Verfügung stehen, während ich ein schlechter Rechner bin und die
grössten Schwierigkeiten habe, mir Jahreszahlen, Hausnummern und dergleichen
bewusst zu merken. Ich finde übrigens in diesen unbewussten Gedankenoperationen
mit Zahlen eine Neigung zum Aberglauben, deren Herkunft mir selbst noch fremd
ist. Meist stosse ich auf Spekulationen über die Lebensdauer meiner selbst und
der mir teuren Personen, und bestimmend auf die unbewussten Spielereien muss
eingewirkt haben, dass mein Freund in B. die Lebenszeiten der Menschen zum
Gegenstand seiner auf biologische Einheiten gegründeten Rechnungen genommen
hat. Ich bin nun mit einer der Voraussetzungen, von denen er hierbei ausgeht, nicht
einverstanden, möchte aus höchst egoistischen Motiven gerne gegen ihn Recht
behalten und scheine nun diese Rechnungen auf meine Art nachzuahmen.
II.
Diese
Einsicht in die Determinierung scheinbar willkürlich gewählter Namen und Zahlen
kann vielleicht zur Klärung eines anderen Problems beitragen. Gegen die Annahme
eines durchgehenden psychischen Determinismus berufen sich bekanntlich viele
Personen auf ein besonderes Überzeugungsgefühl für die Existenz eines freien
Willens. Dieses Überzeugungsgefühl besteht und weicht auch dem Glauben an den
Determinismus nicht. Es muss wie alle normalen Gefühle durch irgend etwas
berechtigt sein. Es äussert sich aber, soviel ich beobachten kann, nicht bei
den grossen und wichtigen Willensentscheidungen; bei diesen Gelegenheiten hat
man vielmehr die Empfindung des psychischen Zwanges und beruft sich auf sie
(„Hier stehe ich, ich kann nicht anders“). Hingegen möchte man gerade bei den
belanglosen, indifferenten Entschliessungen versichern, dass man ebensowohl
anders hätte handeln können, dass man aus freiem, nicht motiviertem Willen
gehandelt hat. Nach unseren Analysen braucht man nun das Recht des
Überzeugungsgefühles vom freien Willen nicht zu bestreiten. Führt man die
Unterscheidung der Motivierung aus dem Bewussten von der Motivierung aus dem
Unbewussten ein, so berichtet uns das Überzeugungsgefühl, dass die bewusste
Motivierung sich nicht auf alle unsere motorischen Entscheidungen erstreckt.
Minima non curat praetor. Was aber so von der einen Seite frei
gelassen wird, das empfängt seine Motivierung von anderer Seite, aus dem
Unbewussten, und so ist die Determinierung im Psychischen doch lückenlos
durchgeführt.
III.
Wenngleich
dem bewussten Denken die Kenntnis von der Motivierung der besprochenen
Fehlleistungen nach der ganzen Sachlage abgehen muss, so wäre es doch
erwünscht, einen psychologischen Beweis für deren Existenz aufzufinden; ja es
ist aus Gründen, die sich [80] bei näherer Kenntnis des Unbewussten ergeben, wahrscheinlich, dass solche Beweise
irgendwo auffindbar sind. Es lassen sich wirklich auf zwei Gebieten Phänomene
nachweisen, welche einer unbewussten und darum verschobenen Kenntnis von dieser
Motivierung zu entsprechen scheinen.
a.
Es ist ein auffälliger und allgemein
bemerkter Zug im Verhalten der Paranoiker, dass sie den kleinen, sonst von uns
vernachlässigten Details im Benehmen der anderen die grösste Bedeutung
beilegen, dieselben ausdeuten und zur Grundlage weitgehender Schlüsse machen.
Der letzte Paranoiker z. B., den ich gesehen habe, schloss auf ein
allgemeines Einverständnis in seiner Umgebung, weil die Leute bei seiner
Abreise auf dem Bahnhof eine gewisse Bewegung mit der einen Hand gemacht
hatten. Ein anderer hat die Art notiert, wie die Leute auf der Strasse gehen,
mit den Spazierstöcken fuchteln u. dgl.[24]
Die Kategorie des Zufälligen, der Motivierung nicht Bedürftigen, welche der
Normale für einen Teil seiner eigenen psychischen Leistungen und Fehlleistungen
gelten lässt, verwirft der Paranoiker also in der Anwendung auf die psychischen
Äusserungen der anderen. Alles, was er an den anderen bemerkt, ist
bedeutungsvoll, alles ist deutbar. Wie kommt er nur dazu? Er projiziert
wahrscheinlich in das Seelenleben der anderen, was im eigenen unbewusst
vorhanden ist, hier wie in so vielen ähnlichen Fällen. In der Paranoia drängt
sich eben so vielerlei zum Bewusstsein durch, was wir bei Normalen und
Neurotikern erst durch die Psychoanalyse als im Unbewussten vorhanden
nachweisen.[25] Der Paranoiker hat also hierin in
gewissem Sinne Recht, er erkennt etwas, was dem Normalen entgeht, er sieht
schärfer als das normale Denkvermögen, aber die Verschiebung des so erkannten
Sachverhaltes auf andere macht seine Erkenntnis wertlos. Die Rechtfertigung der
einzelnen paranoischen Deutungen wird man dann hoffentlich von mir nicht
erwarten. Das Stück Berechtigung aber, welches wir der Paranoia bei dieser
Auffassung der Zufallshandlungen zugestehen, wird uns das psychologische Verständnis
der Überzeugung erleichtern, welche [81] sich beim Paranoiker an alle diese Deutungen geknüpft hat. Es ist eben etwas Wahres daran;
auch unsere nicht als krankhaft zu bezeichnenden Urteilsirrtümer erwerben das
ihnen zugehörige Überzeugungsgefühl auf keine andere Art. Dies Gefühl ist für ein
gewisses Stück des irrtümlichen Gedankenganges oder für die Quelle, aus der er
stammt, berechtigt und wird dann von uns auf den übrigen Zusammenhang
ausgedehnt.
b.
Ein
anderer Hinweis auf die unbewusste und verschobene Kenntnis der Motivierung bei
Zufalls- und Fehlleistungen findet sich in den Phänomenen des Aberglaubens. Ich
will meine Meinung durch die Diskussion des kleinen Erlebnisses klar legen,
welches für mich der Ausgangspunkt dieser Überlegungen war.
Von den Ferien zurückgekehrt, richten sich meine Gedanken alsbald auf die
Kranken, die mich in dem neu beginnenden Arbeitsjahr beschäftigen sollen. Mein
erster Weg gilt einer sehr alten Dame, bei der ich (siehe
oben) seit Jahren die nämlichen ärztlichen
Manipulationen zweimal täglich vornehme. Wegen dieser Gleichförmigkeit haben
sich unbewusste Gedanken sehr häufig auf dem Wege zu der Kranken und während
der Beschäftigung mit ihr Ausdruck verschafft. Sie ist über 90 Jahre alt; es
liegt also nahe, sich bei Beginn eines jeden Jahres zu fragen, wie lange sie
wohl noch zu leben hat. An dem Tage, von dem ich erzähle, habe ich Eile, nehme
also einen Wagen, der mich vor ihr Haus führen soll. Jeder der Kutscher auf dem
Wagenstandplatz vor meinem Hause kennt die Adresse der alten Frau, denn jeder
hat mich schon oftmals dahin geführt. Heute ereignet es sich nun, dass der
Kutscher nicht vor ihrem Hause, sondern vor dem gleichbezifferten in einer
nahegelegenen und wirklich ähnlich aussehenden Parallelstrasse Halt macht. Ich
merke den Irrtum und werfe ihn dem Kutscher vor, der sich entschuldigt. Hat das
nun etwas zu bedeuten, dass ich vor ein Haus geführt werde, in dem ich die alte
Dame nicht vorfinde? Für mich gewiss nicht, aber wenn ich abergläubisch wäre,
würde ich in dieser Begebenheit ein Vorzeichen erblicken, einen Fingerzeig des
Schicksals, dass dies Jahr das letzte für die alte Frau sein wird. Recht viele
Vorzeichen, welche die Geschichte aufbewahrt hat, sind in keiner besseren
Symbolik begründet gewesen. Ich erkläre allerdings den Vorfall für eine Zufälligkeit
ohne weiteren Sinn.
Ganz anders läge der Fall, wenn ich den Weg zu Fuss gemacht und dann in
»Gedanken«, in der »Zerstreutheit« vor das [82] Haus der Parallelstrasse anstatt vors richtige gekommen wäre. Das würde ich für keinen Zufall
erklären, sondern für eine der Deutung bedürftige Handlung mit unbewusster
Absicht. Diesem »Vergehen«
müsste ich wahrscheinlich die Deutung geben, dass ich die alte Dame bald nicht
mehr anzutreffen erwarte.
Ich unterscheide mich also von einem Abergläubischen in folgendem:
Ich glaube nicht, dass ein Ereignis, an dessen Zustandekommen mein
Seelenleben unbeteiligt ist, mir etwas Verborgenes über die zukünftige
Gestaltung der Realität lehren kann; ich glaube aber, dass eine unbeabsichtigte
Äusserung meiner eigenen Seelentätigkeit mir allerdings etwas Verborgenes
enthüllt, was wiederum nur meinem Seelenleben angehört; ich glaube zwar an
äusseren (realen) Zufall, aber nicht an innere (psychische) Zufälligkeit. Der
Abergläubische umgekehrt: er weiss nichts von der Motivierung seiner zufälligen
Handlungen und Fehlleistungen, er glaubt, dass es psychische Zufälligkeiten
gibt; dafür ist er geneigt, dem äusseren Zufall eine Bedeutung zuzuschreiben,
die sich im realen Geschehen äussern wird, im Zufall ein Ausdrucksmittel für
etwas draussen ihm Verborgenes zu sehen. Die Unterschiede zwischen mir und dem
Abergläubischen sind zwei: erstens projiziert er eine Motivierung nach aussen,
die ich innen suche; zweitens deutet er den Zufall durch ein Geschehen, den ich
auf einen Gedanken zurückführe. Aber das Verborgene bei ihm entspricht dem
Unbewussten bei mir, und der Zwang, den Zufall nicht als Zufall gelten zu
lassen, sondern ihn zu deuten, ist uns beiden gemeinsam.
Ich nehme nun an, dass diese bewusste Unkenntnis und unbewusste Kenntnis
von der Motivierung der psychischen Zufälligkeiten eine der psychischen Wurzeln
des Aberglaubens ist. Weil
der Abergläubische von der Motivierung der eigenen zufälligen Handlungen nichts
weiss, und weil die Tatsache dieser Motivierung nach einem Platz in seiner
Anerkennung drängt, ist er genötigt, sie durch Verschiebung in der Aussenwelt
unterzubringen. Besteht ein solcher Zusammenhang, so wird er kaum auf diesen
einzelnen Fall beschränkt sein. Ich glaube in der Tat, dass ein grosses Stück
der mythologischen Weltauffassung, die weit bis in die modernsten Religionen
hinein reicht, nichts
anderes ist als in die Aussenwelt projizierte Psychologie. Die
dunkle Erkenntnis psychischer Faktoren und Verhältnisse[26] des Unbewussten spiegelt [83] sich – es ist schwer, es anders zu sagen,
die Analogie mit der Paranoia muss hier zur Hilfe genommen werden – in der
Konstruktion einer übersinnlichen
Realität, welche von der Wissenschaft in Psychologie des Unbewussten
zurückverwandelt werden soll. Man könnte sich getrauen, die Mythen vom Paradies
und Sündenfall, von Gott, vom Guten und Bösen, von der Unsterblichkeit und dgl.
in solcher Weise aufzulösen, die Metaphysik in Metapsychologie umzusetzen. Die Kluft
zwischen der Verschiebung des Paranoikers und der des Abergläubischen ist
minder gross, als sie auf den ersten Blick erscheint. Als die Menschen zu
denken begannen, waren sie bekanntlich genötigt, die Aussenwelt anthropomorphisch
in eine Vielheit von Persönlichkeiten nach ihrem Gleichnis aufzulösen; die
Zufälligkeiten, die sie abergläubisch deuteten, waren also Handlungen,
Äusserungen von Personen, und sie haben sich demnach genau so benommen wie die
Paranoiker, welche aus den unscheinbaren Anzeichen, die ihnen die Anderen
geben, Schlüsse ziehen, und wie die Gesunden alle, welche mit Recht die
zufälligen und unbeabsichtigten Handlungen ihrer Nebenmenschen zur Grundlage
der Schätzung ihres Charakters machen. Der Aberglaube erscheint nur so sehr
deplaziert in unserer modernen, naturwissenschaftlichen, aber noch keineswegs
abgerundeten Weltanschauung; in der Weltanschauung vorwissenschaftlicher Zeiten
und Völker war er berechtigt und konsequent.
Der Römer, der eine wichtige Unternehmung aufgab, wenn ihm ein widriger
Vogelflug begegnete, war also relativ im Recht; er handelte konsequent nach
seinen Voraussetzungen. Wenn er aber von der Unternehmung abstand, weil er an
der Schwelle seiner Tür gestolpert war (»Un Romain retournerait«),
so war er uns Ungläubigen auch absolut überlegen, ein besserer Seelenkundiger,
als wir uns zu sein bemühen. Denn dies Stolpern konnte ihm die Existenz eines
Zweifels, einer Gegenströmung in seinem Innern beweisen, deren Kraft sich im
Momente der Ausführung von der Kraft seiner Intention abziehen konnte. Des
vollen Erfolges ist man nämlich nur dann sicher, wenn alle Seelenkräfte einig
dem gewünschten Ziel entgegenstreben. Wie antwortet
Schillers Tell, der so lange
gezaudert, den Apfel vom Haupt seines Knaben zu schiessen, auf die Frage des
Vogts, wozu er den zweiten Pfeil eingesteckt?
„Mit diesem zweiten Pfeil durchbohrt' ich – Euch,
Wenn ich mein liebes Kind getroffen hätte,
Und Euer –
wahrlich – hätt' ich nicht
gefehlt.“
IV.
[84]Als ich unlängst
Gelegenheit hatte, einem philosophisch gebildeten Kollegen einige Beispiele von
Namenvergessen mit Analyse vorzutragen, beeilte er sich zu erwidern: Das ist
sehr schön, aber bei mir geht das Namenvergessen anders zu. So leicht darf man
es sich offenbar nicht machen; ich glaube nicht, dass mein Kollege je vorher an
eine Analyse bei Namenvergessen gedacht hatte; er konnte auch nicht sagen, wie
es bei ihm anders zugehe. Aber seine Bemerkung trifft doch ein Problem, welches
viele in den Vordergrund zu stellen geneigt sein werden. Trifft die hier
gegebene Auflösung der Fehl- und Zufallshandlungen allgemein zu oder nur
vereinzelt, und wenn letzteres, welches sind die Bedingungen, unter denen sie
zur Erklärung der auch anderswie ermöglichten Phänomene herangezogen werden darf?
Bei der Beantwortung dieser Frage lassen mich meine Erfahrungen im Stiche. Ich
kann nur davon abmahnen, den aufgezeigten Zusammenhang für selten zu halten,
denn so oft ich bei mir selbst und bei meinen Patienten die Probe angestellt,
hat er sich wie in den mitgeteilten Beispielen sicher nachweisen lassen oder
haben sich wenigstens gute Gründe, ihn zu vermuten, ergeben. Es ist nicht zu
verwundern, wenn es nicht alle Male gelingt, den verborgenen Sinn der
Symptomhandlung zu finden, da die Grösse der inneren Widerstände, die sich der
Lösung widersetzen, als entscheidender Faktor in Betracht kommt. Man ist auch
nicht imstande, bei sich selbst oder bei den Patienten jeden einzelnen Traum zu
deuten; es genügt, um die Allgemeingiltigkeit der Theorie zu bestätigen, wenn
man nur ein Stück weit in den verdeckten Zusammenhang einzudringen vermag. Der
Traum, der sich beim Versuche, ihn am Tage nachher zu lösen, refraktär zeigt,
lässt sich oft eine Woche oder einen Monat später sein Geheimnis entreissen,
wenn eine unterdes erfolgte reale Veränderung die mit einander streitenden
psychischen Wertigkeiten herabgesetzt hat. Das nämliche gilt für die Lösung der
Fehl- und Symptomhandlungen; das Beispiel von Verlesen „Im Fass durch Europa“
auf Seite 32 hat mir die Gelegenheit gegeben zu
zeigen, wie ein anfänglich unlösbares Symptom der Analyse zugänglich wird, wenn
das reale Interesse
an den verdrängten Gedanken nachgelassen hat. So lange die Möglichkeit bestand,
dass mein Bruder den beneideten Titel vor mir erhielte, widerstand das genannte
Verlesen allen wiederholten Bemühungen der Analyse; nachdem es sich
herausgestellt hatte, dass diese Bevorzugung unwahrscheinlich sei, klärte sich
mir plötzlich der Weg, der zur Auflösung desselben führte. Es wäre also [85] unrichtig, von all den Fällen, welche der
Analyse widerstehen, zu behaupten, sie seien durch einen anderen als den hier
aufgedeckten psychischen Mechanismus entstanden; es brauchte für diese Annahme
noch andere als negative Beweise. Auch die bei Gesunden wahrscheinlich
allgemein vorhandene Bereitwilligkeit, an eine andere Erklärung der Fehl- und
Symptomhandlungen zu glauben, ist jeder Beweiskraft bar; sie ist, wie
selbstverständlich, eine Äusserung derselben seelischen Kräfte, die das Geheimnis
hergestellt haben, und die sich darum auch für dessen Bewahrung einsetzen,
gegen dessen Aufhellung aber sträuben.
Auf der anderen Seite dürfen wir nicht übersehen, dass die verdrängten
Gedanken und Regungen sich den Ausdruck in Symptom- und Fehlhandlungen ja nicht
selbständig schaffen. Die technische Möglichkeit für solches Ausgleiten der
Innervationen muss unabhängig von ihnen gegeben sein; diese wird dann von der
Absicht des Verdrängten, zur bewussten Geltung zu kommen, gerne ausgenützt.
Welche Struktur- und Funktionsrelationen es sind, die sich solcher Absicht zur
Verfügung stellen, das haben für den Fall der sprachlichen Fehlleistung (vgl.
Seite 17) eingehende Untersuchungen der
Philosophen und Philologen festzustellen sich bemüht. Unterscheiden wir so an
den Bedingungen der Fehl- und Symptomhandlung das unbewusste Motiv von den ihm
entgegenkommenden physiologischen und psychophysischen Relationen, so bleibt
die Frage offen, ob es innerhalb der Breite der Gesundheit noch andere Momente
gibt, welche, wie das unbewusste Motiv und an Stelle desselben, auf dem Wege
dieser Relationen die Fehl- und Symptomhandlungen zu erzeugen vermögen. Es
liegt nicht auf meinem Wege, diese Frage zu beantworten.
V.
Seit
den Erörterungen über das Versprechen haben wir uns begnügt, zu beweisen, dass
die Fehlleistungen eine verborgene Motivierung haben, und uns mit dem
Hilfsmittel der Psychoanalyse den Weg zur Kenntnis dieser Motivierung gebahnt.
Die allgemeine Natur und die Besonderheiten der in den Fehlleistungen zum
Ausdruck gebrachten psychischen Faktoren haben wir bisher fast ohne
Berücksichtigung gelassen, jedenfalls noch nicht versucht, dieselben näher zu
bestimmen und auf ihre Gesetzmässigkeit zu prüfen. Wir werden auch jetzt keine
gründliche Erledigung des Gegenstandes versuchen, denn die ersten Schritte
werden uns bald belehrt haben, dass man in dies Gebiet besser von anderer Seite
einzudringen [86] vermag. Man kann
sich hier mehrere Fragen vorlegen, die ich wenigstens anführen und in ihrem Umfang
umschreiben will. 1. Welches Inhalts und welcher Herkunft sind die Gedanken und
Regungen, die sich durch die Fehl- und Zufallshandlungen andeuten? 2. Welches
sind die Bedingungen dafür, dass ein Gedanke oder eine Regung genötigt und in
den Stand gesetzt werde, sich dieser Vorfälle als Ausdrucksmittel zu bedienen?
3. Lassen sich konstante und eindeutige Beziehungen zwischen der Art der
Fehlhandlung und den Qualitäten des durch sie zum Ausdruck Gebrachten
nachweisen?
Ich beginne damit, einiges Material zur Beantwortung der letzten Frage
zusammenzutragen. Bei der Erörterung der Beispiele von Versprechen haben wir es
für nötig gefunden, über den Inhalt der intendierten Rede hinauszugehen, und
haben die Ursache der Redestörung ausserhalb der Intention suchen müssen.
Dieselbe lag dann in einer Reihe von Fällen nahe und war dem Bewusstsein des
Sprechenden bekannt. In den scheinbar einfachsten und durchsichtigsten
Beispielen war es eine gleichberechtigt klingende andere Fassung desselben
Gedankens, die dessen Ausdruck störte, ohne dass man hätte angeben können,
warum die eine unterlegen, die andere durchgedrungen war (Kontaminationen von
Meringer und
Mayer). In einer zweiten Gruppe von
Fällen war das Unterliegen der einen Fassung motiviert durch eine Rücksicht, die
sich aber nicht stark genug zur völligen Zurückhaltung erwies (»zum Vorschwein
gekommen«). Auch die zurückgehaltene Fassung war klar bewusst. Von der dritten
Gruppe erst kann man ohne Einschränkung behaupten, dass hier der störende
Gedanke von dem intendierten verschieden war, und kann hier eine, wie es
scheint, wesentliche Unterscheidung aufstellen. Der störende Gedanke ist
entweder mit dem gestörten durch Gedankenassoziation verbunden (Störung durch
inneren Widerspruch), oder er ist ihm wesensfremd, und durch eine befremdende äusserliche
Assoziation ist gerade das gestörte Wort mit dem störenden Gedanken, der oft
unbewusst ist, verknüpft. In den Beispielen, die ich aus meinen Psychoanalysen
bei Patienten gebracht habe, steht die ganze Rede unter dem Einfluss
gleichzeitig aktiv gewordener, aber völlig unbewusster Gedanken, die sich
entweder durch die Störung selbst verraten (Klapperschlange
– Kleopatra)
oder einen indirekten Einfluss äussern, indem sie ermöglichen, dass die
einzelnen Teile der bewusst intendierten Rede einander stören (Ase natmen: wo [87] Hasenauerstrasse,
Reminiszenzen an eine Französin dahinter stehen). Die zurückgehaltenen oder
unbewussten Gedanken, von denen die Sprechstörung ausgeht, sind von der mannigfaltigsten
Herkunft. Eine Allgemeinheit enthüllt uns diese Überschau also nach keiner
Richtung.
Die vergleichende Prüfung der Beispiele von Verlesen und Verschreiben führt
zu den nämlichen Ergebnissen. Einzelne Fälle scheinen wie beim Versprechen einer
weiter nicht motivierten Verdichtungsarbeit ihr Entstehen zu danken
(z. B.: der Apfe).
Man möchte aber gern erfahren, ob nicht doch besondere Bedingungen erfüllt sein
müssen, damit eine solche Verdichtung, die in der Traumarbeit regelrecht, in
unserem wachen Denken fehlerhaft ist, Platz greife, und bekommt hierüber aus
den Beispielen selbst keinen Aufschluss. Ich würde es aber ablehnen, hieraus
den Schluss zu ziehen, es gebe keine solchen Bedingungen als etwa den Nachlass
der bewussten Aufmerksamkeit, da ich von anderswoher weiss, dass sich gerade
automatische Verrichtungen durch Korrektheit und Verlässlichkeit auszeichnen.
Ich möchte eher betonen, dass hier, wie so häufig in der Biologie, die normalen
oder dem Normalen angenäherten Verhältnisse ungünstigere Objekte der Forschung
sind als die pathologischen. Was bei der Erklärung dieser leichtesten Störungen
dunkel bleibt, wird nach meiner Erwartung durch die Aufklärung schwererer
Störungen Licht empfangen.
Auch beim Verlesen und Verschreiben fehlt es nicht an Beispielen, welche
eine entferntere und kompliziertere Motivierung erkennen lassen. »Im Fass durch
Europa« ist eine Lesestörung, die sich durch den Einfluss eines entlegenen,
wesensfremden Gedankens aufklärt, welcher einer verdrängten Regung von Eifersucht
und Ehrgeiz entspringt, und den »Wechsel«
des Wortes »Beförderung«
zur Verknüpfung mit dem gleichgiltigen und harmlosen Thema, das gelesen wurde,
benützt. Im Falle Burckhard
ist der Name selbst ein solcher »Wechsel«.
Es ist unverkennbar, dass die Störungen der Sprechfunktionen leichter
zustande kommen und weniger Anforderungen an die störenden Kräfte stellen als
die anderer psychischer Leistungen.
Auf anderem Boden steht man bei der Prüfung des Vergessens im eigentlichen
Sinne, d. h. des Vergessens von vergangenen Erlebnissen (das Vergessen von
Eigennamen und Fremdworten, wie in den Abschnitten
I und
II könnte man als »Entfallen«, das von [88] Vorsätzen als »Unterlassen« von diesem Vergessen
sensu strictiori absondern). Die Grundbedingungen des
normalen Vorgangs beim Vergessen sind unbekannt. Man wird auch daran gemahnt,
dass nicht alles vergessen ist, was man dafür hält. Unsere Erklärung hat es
hier nur mit jenen Fällen zu tun, in denen das Vergessen bei uns ein Befremden
erweckt, insofern es die Regel verletzt, dass Unwichtiges vergessen, Wichtiges
aber vom Gedächtnis bewahrt wird. Die Analyse der Beispiele von Vergessen, die
uns nach einer besonderen Aufklärung zu verlangen scheinen, ergibt als Motiv
des Vergessens jedesmal eine Unlust, etwas zu erinnern, was peinliche
Empfindungen erwecken kann. Wir gelangen zur Vermutung, dass dieses Motiv im
psychischen Leben sich ganz allgemein zu äussern strebt, aber durch andere
gegenwirkende Kräfte verhindert wird, sich irgendwie regelmässig durchzusetzen.
Umfang und Bedeutung dieser Erinnerungsunlust gegen peinliche Eindrücke
scheinen der sorgfältigsten psychologischen Prüfung wert zu sein; auch die
Frage, welche besonderen Bedingungen das allgemein angestrebte Vergessen in
einzelnen Fällen ermöglichen, ist aus diesem weiteren Zusammenhange nicht zu
lösen.
Beim Vergessen von Vorsätzen tritt ein anderes Moment in den Vordergrund;
der beim Verdrängen des peinlich zu Erinnernden nur vermutete Konflikt wird
hier greifbar, und man erkennt bei der Analyse der Beispiele regelmässig einen
Gegenwillen, der sich dem Vorsatze widersetzt, ohne ihn aufzuheben. Wie bei
früher besprochenen Fehlleistungen erkennt man auch hier zwei Typen des
psychischen Vorgangs; der Gegenwille kehrt sich entweder direkt gegen den
Vorsatz (bei Absichten von einigem Belang), oder er ist dem Vorsatz selbst
wesensfremd und stellt seine Verbindung mit ihm durch eine äusserliche
Assoziation her (bei fast indifferenten Vorsätzen).
Derselbe Konflikt beherrscht die Phänomene des Vergreifens. Der Impuls, der
sich in der Störung der Handlung äussert, ist häufig ein Gegenimpuls, doch noch
öfter ein überhaupt fremder, der nur die Gelegenheit benützt, sich bei der
Ausführung der Handlung durch eine Störung derselben zum Ausdruck zu bringen.
Die Fälle, in denen die Störung durch einen inneren Widerspruch erfolgt, sind
die bedeutsameren und betreffen auch die wichtigeren Verrichtungen.
Der innere Konflikt tritt dann bei den Zufalls- oder Symptomhandlungen
immer mehr zurück. Diese vom Bewusstsein gering [89] geschätzten oder ganz übersehenen motorischen Aeusserungen dienen so
mannigfachen unbewussten oder zurückgehaltenen Regungen zum Ausdruck; sie
stellen meist Phantasien oder Wünsche symbolisch dar. –
Zur ersten Frage, welcher Herkunft die Gedanken und Regungen seien, die
sich in den Fehlleistungen zum Ausdruck bringen, lässt sich sagen, dass in
einer Reihe von Fällen die Herkunft der störenden Gedanken von unterdrückten
Regungen des Seelenlebens leicht nachzuweisen ist. Egoistische, eifersüchtige,
feindselige Gefühle und Impulse, auf denen der Druck der moralischen Erziehung
lastet, bedienen sich bei Gesunden nicht selten des Weges der Fehlleistungen,
um ihre unleugbar vorhandene, aber von höheren seelischen Instanzen nicht
anerkannte Macht irgendwie zu äussern. Das Gewährenlassen dieser Fehl- und
Zufallshandlungen entspricht zum guten Teil einer bequemen Duldung des
Unmoralischen. Unter diesen unterdrückten Regungen spielen die mannigfachen
sexuellen Strömungen keine geringfügige Rolle. Es ist ein Zufall des Materials,
wenn gerade sie so selten unter den durch die Analyse aufgedeckten Gedanken in
meinen Beispielen erscheinen. Da ich vorwiegend Beispiele aus meinem eigenen
Seelenleben der Analyse unterzogen habe, so war die Auswahl von vornherein
parteiisch und auf den Ausschluss des Sexuellen gerichtet. Andere Male scheinen
es höchst harmlose Einwendungen und Rücksichten zu sein, aus denen die
störenden Gedanken entspringen.
Wir stehen nun vor der Beantwortung der zweiten Frage, welche
psychologischen Bedingungen dafür gelten, dass ein Gedanke seinen Ausdruck
nicht in voller Form, sondern in gleichsam parasitärer als Modifikation und
Störung eines anderen suchen müsse. Es liegt nach den auffälligsten Beispielen
von Fehlhandlung nahe, diese Bedingung in einer Beziehung zur
Bewusstseinsfähigkeit zu suchen, in dem mehr oder minder entschieden
ausgeprägten Charakter des »Verdrängten«. Aber die Verfolgung durch die Reihe
der Beispiele löst diesen Charakter in immer mehr verschwommene Andeutungen
auf. Die Neigung, über etwas als zeitraubend hinwegzukommen, – die Erwägung,
dass der betreffende Gedanke nicht eigentlich zur intendierten Sache gehört, –
scheinen als Motive für die Zurückdrängung eines Gedankens, der dann auf den
Ausdruck durch Störung eines anderen angewiesen ist, dieselbe Rolle zu spielen
wie die moralische Verurteilung einer unbotmässigen Gefühlsregung oder die
Abkunft von völlig unbewussten Gedankenzügen. [90] Eine Einsicht in die allgemeine Natur der Bedingtheit von Fehl- und
Zufallsleistungen lässt sich auf diese Weise nicht gewinnen. Einer einzigen
bedeutsamen Tatsache wird man bei diesen Untersuchungen habhaft; je harmloser
die Motivierung der Fehlleistung ist, je weniger anstössig und darum weniger
bewusstseinsunfähig der Gedanke ist, der sich in ihr zum Ausdruck bringt, desto
leichter wird auch die Auflösung des Phänomens, wenn man ihm seine
Aufmerksamkeit zugewendet hat; die leichtesten Fälle des Versprechens werden
sofort bemerkt und spontan korrigiert. Wo es sich um Motivierung durch wirklich
verdrängte Regungen handelt, da bedarf es zur Lösung einer sorgfältigen
Analyse, die selbst zeitweise auf Schwierigkeiten stossen oder misslingen kann.
Es ist also wohl berechtigt, das Ergebnis dieser letzten Untersuchung als
einen Hinweis darauf zu nehmen, dass die befriedigende Aufklärung für die
psychologischen Bedingungen der Fehl- und Zufallshandlungen auf einem anderen
Wege und von anderer Seite her zu gewinnen ist. Der nachsichtige Leser möge daher
in diesen Auseinandersetzungen den Nachweis der Bruchflächen sehen, an denen
dieses Thema ziemlich künstlich aus einem grösseren Zusammenhange herausgelöst
wurde.
VI.
Einige
Worte sollen zum mindesten die Richtung nach diesem weiteren Zusammenhange
andeuten. Der Mechanismus der Fehl- und Zufallshandlungen, wie wir ihn durch
die Anwendung der Analyse kennen gelernt haben, zeigt in den wesentlichsten
Punkten eine Übereinstimmung mit dem Mechanismus der Traumbildung, den ich in
dem Abschnitt »Traumarbeit« meines Buches über die
Traumdeutung
auseinandergesetzt habe. Die Verdichtungen und Kompromissbildungen
(Kontaminationen) findet man hier wie dort; die Situation ist die nämliche,
dass unbewusste Gedanken sich auf ungewöhnlichen Wegen, über äusserliche Assoziationen,
als Modifikation von anderen Gedanken zum Ausdruck bringen. Die
Ungereimtheiten, Absurditäten und Irrtümer des Trauminhaltes, denen zufolge der
Traum kaum als Produkt psychischer Leistung anerkannt wird, entstehen auf
dieselbe Weise, freilich mit freierer Benützung der vorhandenen Mittel, wie die
gemeinen Fehler unseres Alltagslebens; hier wie dort löst sich der Anschein inkorrekter Funktion
durch die eigentümliche Interferenz zweier oder mehrerer korrekter Leistungen.
Aus diesem Zusammentreffen [91] ist ein wichtiger Schluss zu ziehen: Die eigentümliche Arbeitsweise, deren
auffälligste Leistung wir im Trauminhalt erkennen, darf nicht auf den
Schlafzustand des Seelenlebens zurückgeführt werden, wenn wir in den
Fehlhandlungen so reichliche Zeugnisse für ihre Wirksamkeit während des wachen
Lebens besitzen. Derselbe Zusammenhang verbietet uns auch, tiefgreifenden
Zerfall der Seelentätigkeit, krankhafte Zustände der Funktion als die Bedingung
dieser uns abnorm und fremdartig erscheinenden psychischen Vorgänge anzusehen[27].
Die richtige Beurteilung der sonderbaren psychischen Arbeit, welche die
Fehlhandlungen wie die Traumbilder entstehen lässt, wird uns erst ermöglicht,
wenn wir erfahren haben, dass die psychoneurotischen Symptome, speziell die
psychischen Bildungen der Hysterie und der Zwangsneurose, in ihrem Mechanismus
alle wesentlichen Züge dieser Arbeitsweise wiederholen. An dieser Stelle
schlösse sich also die Fortsetzung unserer Untersuchungen an. Für uns hat es
aber noch ein besonderes Interesse, die Fehl-, Zufalls- und Symptomhandlungen
in dem Lichte dieser letzten Analogie zu betrachten. Wenn wir sie den
Leistungen der Psychoneurosen, den neurotischen Symptomen, gleichstellen,
gewinnen zwei oft wiederkehrende Behauptungen, dass die Grenze zwischen
nervöser Norm und Abnormität eine fliessende, und dass wir alle ein wenig
nervös seien, Sinn und Unterlage. Man kann sich vor aller ärztlicher Erfahrung
verschiedene Typen von solcher bloss angedeuteten Nervosität – von formes frustes der Neurosen – konstruieren: Fälle, in denen
nur wenige Symptome, oder diese selten oder nicht heftig auftreten, die
Abschwächung also in die Zahl, in die Intensität, in die zeitliche Ausbreitung
der krankhaften Erscheinungen verlegen; vielleicht würde man aber gerade den
Typus nicht erraten, welcher als der häufigste den Übergang zwischen Gesundheit
und Krankheit zu vermitteln scheint. Der uns vorliegende Typus, dessen
Krankheitsäusserungen die Fehl- und Symptomhandlungen sind, zeichnet sich
nämlich dadurch aus, dass die Symptome in die mindest wichtigen psychischen
Leistungen verlegt sind, während alles, was höheren psychischen Wert
beanspruchen kann, frei von Störung vor sich geht. Die gegenteilige
Unterbringung der Symptome, ihr Hervortreten an den wichtigsten individuellen
und sozialen Leistungen, so dass sie Nahrungsaufnahme und Sexualverkehr,
Berufsarbeit und Geselligkeit [92] zu stören vermögen, kommt den schweren Fällen von Neurose zu und
charakterisiert diese besser als etwa die Mannigfaltigkeit oder die
Lebhaftigkeit der Krankheitsäusserungen.
Der gemeinsame Charakter aber der leichtesten wie der schwersten Fälle, an
dem auch die Fehl- und Zufallshandlungen Anteil haben, liegt in der Rückführbarkeit der Phänomene
auf unvollkommen unterdrücktes psychisches Material, das vom Bewusstsein
abgedrängt, doch nicht jeder Fähigkeit, sich zu äussern, beraubt worden ist.
Fußnoten
[1] Ob die Häufigkeit der Anwendung allein
diesen Schutz erklären kann, ist mir zweifelhaft. Ich habe wenigstens
beobachtet, dass Vornamen, die doch nicht die beschränkte Zugehörigkeit der
Eigennamen teilen, dem Vergessen ebenso leicht unterliegen, wie letztere. Eines
Tages kam ein junger Mann in meine Ordination, jüngerer Bruder einer Patientin,
den ich ungezählte Male gesehen hatte, und dessen Person ich mit dem Vornamen
zu bezeichnen gewohnt war. Als ich dann von seinem Besuch erzählen wollte,
hatte ich seinen, wie ich wusste, keineswegs ungewöhnlichen Vornamen vergessen
und konnte ihn durch keine Hilfe zurückrufen. Ich ging dann auf die Strasse, um
Firmenschilder zu lesen, und erkannte den Namen, sowie er mir das erste Mal
entgegentrat. Die Analyse belehrte mich darüber, dass ich zwischen dem Besucher
und meinem eigenen Bruder eine Parallele gezogen hatte, die in der verdrängten
Frage gipfeln wollte: Hätte sich mein Bruder im gleichen Falle ähnlich gegen
eine kranke Schwester benommen? Die äusserliche Verbindung zwischen den
Gedanken über die fremde und über die eigene Familie war durch den Zufall
ermöglicht worden, dass die Mütter hier und dort den gleichen Vornamen: Amalia
tragen. Ich verstand dann auch nachträglich die Ersatznamen: Daniel und Franz,
die sich mir aufgedrängt hatten, ohne mich aufzuklären. Es sind dies, wie auch
Amalia, Namen aus den Räubern von
Schiller, an welche sich ein Scherz des Wiener
Spaziergängers Daniel
Spitzer knüpft. – Ein unterdrückter Gedanke über die eigene Person
oder die eigene Familie wird häufig zum Motiv des Namenvergessens, als ob man
beständig Vergleiche zwischen sich selbst und den Fremden anstellte. Das
seltsamste Beispiel dieser Art hat mir als eigenes Erlebnis ein Herr Lederer berichtet.
Er traf auf seiner Hochzeitsreise in Venedig mit einem ihm oberflächlich
bekannten Herrn zusammen, den er seiner jungen Frau vorstellen musste. Da er
aber den Namen des Fremden vergessen hatte, half er sich das erste Mal mit
einem unverständlichen Gemurmel. Als er dann dem Herrn, wie in Venedig
unausweichlich, ein zweites Mal begegnete, nahm er ihn beiseite und bat ihn,
ihm doch aus der Verlegenheit zu helfen, indem er ihm seinen Namen sage, den er
leider vergessen habe. Die Antwort des Fremden zeugte von überlegener
Menschenkenntnis: Ich glaube es gerne, dass Sie sich meinen Namen nicht gemerkt
haben. Ich heisse wie Sie: Lederer! – Man kann sich einer leicht unangenehmen
Empfindung nicht erwehren, wenn man seinen eigenen Namen bei einem Fremden
wiederfindet. Ich verspürte sie unlängst recht deutlich, als sich mir in der
ärztlichen Sprechstunde ein Herr S. Freud vorstellte.
[2] Dies ist der allgemeine Weg, um
Vorstellungselemente, die sich verbergen, dem Bewusstsein zuzuführen. Vgl.
meine „Traumdeutung“, p. 69.
[3] Feinere Beobachtung schränkt den
Gegensatz zwischen der Analyse: Signorelli und der: aliquis betreffs der Ersatzerinnerungen um
Einiges ein. Auch hier scheint nämlich das Vergessen von einer Ersatzbildung
begleitet zu sein. Als ich an meinen Partner nachträglich die Frage stellte, ob
ihm bei seinen Bemühungen, das fehlende Wort zu erinnern, nicht irgend etwas
zum Ersatz eingefallen sei, berichtete er, dass er zunächst die Versuchung
verspürt habe, ein ab in den Vers zu bringen:
nostris ab ossibus (vielleicht das unverknüpfte Stück von
a-liquis) und dann, dass sich ihm das Exoriare besonders deutlich und hartnäckig aufgedrängt habe. Als Skeptiker setzte
er hinzu, offenbar weil es das erste Wort des Verses war. Als ich ihn bat, doch
auf die Assoziationen von Exoriare aus zu achten, gab er mir Exorzismus an. Ich
kann mir also sehr wohl denken, dass die Verstärkung von Exoriare in der
Reproduktion eigentlich den Wert einer solchen Ersatzbildung hatte. Dieselbe
wäre über die Assoziation: Exorzismus von den Namen der Heiligen her erfolgt. Indes sind dies
Feinheiten, auf die man keinen Wert zu legen braucht. – Es erscheint nun aber
wohl möglich, dass das Auftreten irgend einer Art von Ersatzerinnerung ein
konstantes, vielleicht auch nur ein charakteristisches und verräterisches
Zeichen des tendenziösen, durch Verdrängung motivierten Vergessens ist. Diese
Ersatzbildung bestände auch dort, wo das Auftauchen unrichtiger Ersatzbildungen
ausbleibt, in der Verstärkung eines Elementes, welches dem vergessenen
benachbart ist. Im Beispiele: Signorelli war z. B., solange mir der Name
des Malers unzugänglich blieb, die visuelle Erinnerung an den Zyklus von
Fresken und an sein in der Ecke eines Bildes angebrachtes Selbstportrait überdeutlich,
jedenfalls weit intensiver als visuelle Erinnerungsspuren sonst bei mir
auftreten. In einem anderen Falle, der gleichfalls in der Abhandlung von 1898
mitgeteilt ist, hatte ich von der Adresse eines mir unbequemen Besuches in
einer fremden Stadt den Strassennamen hoffnungslos vergessen, die Hausnummer
aber wie zum Spott – überdeutlich gemerkt, während sonst das Erinnern von
Zahlen mir die grösste Schwierigkeit bereitet.
[4] Ich möchte für das Fehlen eines inneren
Zusammenhanges zwischen den beiden Gedankenkreisen im Falle Signorelli nicht
mit voller Überzeugung einstehen. Bei sorgfältiger Verfolgung der verdrängten
Gedanken über das Thema von Tod und Sexualleben stösst man doch auf eine Idee,
die sich mit dem Thema des Cyclus von Orvieto nahe berührt.
[5] Von mir hervorgehoben.
[6] Die Traumdeutung. Leipzig und
Wien, 1900.
[7] Von mir hervorgehoben.
[8] Sie stand nämlich, wie sich zeigte, unter
dem Einfluss von unbewussten Gedanken über Schwangerschaft und Kinderverhütung.
Mit den Worten: „zusammengeklappt wie ein Taschenmesser“, welche sie bewusst
als Klage vorbrachte, wollte sie die Haltung des Kindes im Mutterleibe
beschreiben. Das Wort „Ernst“ in meiner Anrede hatte sie an den Namen (S.
Ernst) der bekannten Wiener Firma in der Kärnthnerstrasse gemahnt, welche sich als
Verkaufsstätte von Schutzmitteln gegen die Konzeption zu annoncieren pflegt.
[9] Bei einer meiner Patientinnen setzte sich
das Versprechen als Symptom so lange fort, bis es auf den Kinderstreich, das
Wort ruinieren
durch urinieren
zu ersetzen, zurückgeführt war.
[10] Durch solches Versprechen brandmarkt
z. B. Anzengruber
im „G'wissenswurm“ den heuchlerischen Erbschleicher.
[11] Vgl. etwa die Stelle im Julius Caesar III. 3:
Cinna. Ehrlich, mein Name ist Cinna.
Bürger. Reisst ihn in Stücke! er ist ein
Verschworener.
Cinna. Ich bin Cinna der Poet! Ich bin nicht
Cinna der Verschworene.
Bürger. Es tut nichts; sein Name ist Cinna,
reisst ihm den Namen aus dem Herzen und lasst ihn laufen.
[12] Es ist dies jener Traum, den ich in einer
kurzen Abhandlung, „Über den Traum“, No. VIII der
„Grenzfragen
des Nerven- und Seelenlebens“, herausgegeben von
Löwenfeld und
Kurella 1901, zum Paradigma genommen
habe.
[13] Gewöhnlich pflegen dann im Laufe der
Besprechung die Einzelheiten des damaligen ersten Besuches bewusst
aufzutauchen.
[14] Für vielerlei Zufälligkeiten, die man
seit Th. Vischer der
„Tücke des Objekts“ zuschreibt, möchte ich ähnliche Erklärungen vorschlagen.
[15] In den Tagen, während ich mit der
Niederschrift dieser Seiten beschäftigt war, ist mir folgender, fast
unglaublicher Fall von Vergessen widerfahren. Ich revidiere am 1. Januar mein
ärztliches Buch, um meine Honorarrechnungen aussenden zu können, stosse dabei
im Juni auf den Namen M….l und kann mich an eine zu ihm gehörige Person nicht
erinnern. Mein Befremden wächst, indem ich beim Weiterblättern bemerke, dass
ich den Fall in einem Sanatorium behandelt, und dass ich ihn durch Wochen
täglich besucht habe. Einen Kranken, mit dem man sich unter solchen Bedingungen
beschäftigt, vergisst man als Arzt nicht nach kaum sechs Monaten. Sollte es ein
Mann, ein Paralytiker, ein Fall ohne Interesse gewesen sein, frage ich mich?
Endlich bei dem Vermerk über das empfangene Honorar kommt mir all die Kenntnis
wieder, die sich der Erinnerung entziehen wollte. M….l war ein 14jähriges
Mädchen gewesen, der merkwürdigste Fall meiner letzten Jahre, welcher mir eine
Lehre hinterlassen, an die ich kaum je vergessen werde, und dessen Ausgang mir
die peinlichsten Stunden bereitet hat. Das Kind erkrankte an unzweideutiger
Hysterie, die sich auch unter meinen Händen rasch und gründlich besserte. Nach
dieser Besserung wurde mir das Kind von den Eltern entzogen; es klagte noch
über abdominale Schmerzen, denen die Hauptrolle im Symptombild der Hysterie
zugefallen war. Zwei Monate später war es an Sarkom der Unterleibsdrüsen
gestorben. Die Hysterie, zu der das Kind nebstbei prädisponiert war, hatte die
Tumorbildung zur provozierenden Ursache genommen, und ich hatte, von den
lärmenden aber harmlosen Erscheinungen der Hysterie gefesselt, vielleicht die
ersten Anzeichen der schleichenden unheilvollen Erkrankung übersehen.
[16] Vgl. Hans Gross,
Kriminalpsychologie 1898.
[17] Vgl. Bernheim,
Neue Studien über Hypnotismus, Suggestion und Psychotherapie, 1892.
[18] Frauen sind mit ihrem feinen Verständnis
für unbewusste seelische Vorgänge in der Regel eher geneigt, es als Beleidigung
anzusehen, wenn man sie auf der Strasse nicht erkennt, also nicht grüsst, als
an die nächstliegenden Erklärungen zu denken, dass der Säumige kurzsichtig sei
oder in Gedanken versunken sie nicht bemerkt habe. Sie schliessen, man hätte
sie schon bemerkt, wenn man sich „etwas aus ihnen machen würde“.
[19] Der Einheit des Themas zuliebe darf ich
hier die gewählte Einteilung durchbrechen und dem oben Gesagten anschliessen,
dass in bezug auf Geldsachen das Gedächtnis der Menschen eine besondere
Parteilichkeit zeigt. Erinnerungstäuschungen, etwas bereits bezahlt zu haben,
sind, wie ich von mir selbst weiss, oft sehr hartnäckig. Wo der gewinnsüchtigen
Absicht abseits von den grossen Interessen der Lebensführung, und daher
eigentlich zum Scherz, freier Lauf gelassen wird wie beim Kartenspiel, neigen
die ehrlichsten Männer zu Irrtümern, Erinnerungs- und Rechenfehlern und finden
sich selbst, ohne recht zu wissen wie, in kleine Betrügereien verwickelt. Auf
solchen Freiheiten beruht nicht zum mindesten der psychisch erfrischende
Charakter des Spiels. Das Sprichwort, dass man beim Spiel den Charakter des
Menschen erkennt, ist zuzugeben, wenn man hinzufügen will: den unterdrückten
Charakter. – Wenn es unabsichtliche Rechenfehler bei Zahlkellnern noch gibt, so
unterliegen sie offenbar derselben Beurteilung. – Im Kaufmannsstande kann man
häufig eine gewisse Zögerung in der Verausgabung von Geldsummen, bei der
Bezahlung von Rechnungen und dgl. beobachten, die dem Eigner keinen Gewinn
bringt, sondern nur psychologisch zu verstehen ist als eine Äusserung des
Gegenwillens, Geld von sich zu tun.
– Mit den intimsten und am wenigsten klar gewordenen Regungen hängt es
zusammen, wenn gerade Frauen eine besondere Unlust zeigen, den Arzt zu
honorieren. Sie haben gewöhnlich ihr Portemonnaie vergessen, können darum in
der Ordination nicht zahlen, vergessen dann regelmässig, das Honorar vom Hause
aus zu schicken, und setzen es so durch, dass man sie umsonst – „um ihrer
schönen Augen willen“ – behandelt hat. Sie zahlen gleichsam mit ihrem Anblick.
[20] Des Oedipus-Traumes, wie ich ihn zu nennen pflege,
weil er den Schlüssel zum Verständnis der Sage von König Oedipus enthält. Im
Text des Sophokles ist die Beziehung auf einen solchen Traum der Jokaste in den
Mund gelegt. (Vgl. „Traumdeutung“, p. 182.)
[21] Die Selbstbeschädigung, die nicht voll
auf Selbstvernichtung hinzielt, hat in unserem gegenwärtigen Kulturzustand
überhaupt keine andere Wahl, als sich hinter der Zufälligkeit zu verbergen,
oder sich durch Simulation einer spontanen Erkrankung durchzusetzen. Früher
einmal war sie ein gebräuchliches Zeichen der Trauer; zu anderen Zeiten konnte
sie Ideen der Frömmigkeit und Weltentsagung Ausdruck geben.
[22] Der Fall ist dann schliesslich kein
anderer als der des sexuellen Attentats auf eine Frau, bei dem der Angriff des
Mannes nicht durch die volle Muskelkraft des Weibes abgewehrt werden kann, weil
ihm ein Teil der unbewussten Regungen der Angegriffenen fördernd entgegen kommt. Man sagt ja
wohl, eine solche Situation lähme die Kräfte der Frau; man braucht dann nur noch die
Gründe für diese Schwächung hinzufügen. Insofern ist der geistreiche
Richterspruch des Sancho
Pansa, den er als Gouverneur auf seiner Insel fällt, psychologisch
ungerecht. (Don Quijote II. T. Kap. XLV.) Eine Frau
zerrt einen Mann vor den Richter, der sie angeblich gewaltsam ihrer Ehre
beraubt hat. Sancho
entschädigt sie durch die volle Geldbörse, die er dem Angeklagten abnimmt, und
gibt diesem nach dem Abgange der Frau die Erlaubnis, ihr nachzueilen und ihr
die Börse wieder zu entreissen. Sie kommen beide ringend wieder, und die Frau
berühmt sich, dass der Bösewicht nicht imstande gewesen sei, sich der Börse zu
bemächtigen. Darauf Sancho:
Hättest Du Deine Ehre halb so ernsthaft verteidigt wie diese Börse, so hätte
sie Dir der Mann nicht rauben können.
[23] Dass die Situation des Schlachtfeldes
eine solche ist, wie sie der bewussten Selbstmordabsicht entgegenkommt, die
doch den direkten Weg scheut, ist einleuchtend. Vgl. im
„Wallenstein“ die Worte des
schwedischen Hauptmanns über den Tod des Max Piccolomini: „Man sagt, er wollte
sterben“.
[24] Von anderen Gesichtspunkten ausgehend,
hat man diese Beurteilung unwesentlicher und zufälliger Äusserungen bei anderen
zum „Beziehungswahn“ gerechnet.
[25] Die durch Analyse bewusst zu machenden
Phantasieen der Hysteriker von sexuellen und grausamen Misshandlungen decken
sich z. B. gelegentlich bis ins Einzelne mit den Klagen verfolgter
Paranoiker. Es ist bemerkenswert, aber nicht unverständlich, wenn der
identische Inhalt uns auch als Realität in den Veranstaltungen Perverser zur
Befriedigung ihrer Gelüste entgegentritt.
[26] Die natürlich nichts vom Charakter einer
Erkenntnis hat.
[27] Vgl. hierzu
„Traumdeutung“
p. 36
End of the Project Gutenberg EBook of Zur Psychopathologie des Alltagslebens, by
Sigmund Freud
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