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SK

Schlafstörung
(Paris, 1. Mai 2003)

Heute ist dein Geburtstag. Das Alter einer Dame darf ja nicht verraten werden. Sagen wir, es ist eine runde Zahl. Ein besonderer Anlass. Und Geburtstagsbriefe an Verstorbene sollten lieber nicht zu oft geschrieben werden. - Du fehlst mir. Ich brauchte deinen Blick. - deine erste Stadt war Berlin. Dort hast Du harte Zeiten erlebt. Als Kind. Als Halbjüdin. Als ich dich darauf ansprach, sagtest Du, dass Du diese Erfahrungen, auch wenn sie furchtbar gewesen sein mussten, nicht missen mochtest. Du warst manchmal nicht leicht zu verstehen. Das habe ich bestimmt von dir. - Nach dem Krieg konntest Du endlich Musik studieren. Und, die Geige unterm Arm, hast Du meinen Vater in der S-Bahn getroffen. Unrasiert starrte er in ein Manuskript, das seinem schriftstellerischen Anspruch scheinbar nicht genügte. Trotzdem hast Du dich zu ihm gesetzt. Und der Kavalier hat dich nach Hause begleitet. "Trick 17" meint dein Bruder. - Irgendwann habt ihr euch dann getrennt. Und Du hast dir die grosse, weite Welt angeschaut. - Damals hast Du mir auch gefehlt. Anders als heute. Damals war ich noch zu klein, um zu verstehen. - Dann bist Du nach Europa zurückgekehrt. Erst hast Du es wieder in Berlin versucht. Mit Geigenunterricht. Ein Jahr später hast Du dich entschlossen, in dein Landhaus auf den Hügeln sechzig Kilometer östlich von Avignon zu ziehen. Viens en Vaucluse. Diesen Ortsnamen habe ich als Einladung verstanden. Und wir haben uns oft dort getroffen. Am liebsten tranken wir zusammen unseren berühmten Morgenkaffee, rauchten dazu eine Morgenzigarette und quatschten quer durch den Morgengarten. Nie hast Du über mich und meinen seltsamen Lebensstil geurteilt, auch wenn Du dir bestimmt Sorgen gemacht hast. Nie jedenfalls hast Du dich bei mir beklagt. Und Anlass zur Klage hättest Du auch ohne mich genug gehabt. Was nach deinem Tod, am 1. Dezember 1990 im Krankenhaus Avignon-Sud passiert ist, war nicht sehr schön. Das möchte ich lieber nicht erzählen. Die Erwachsenen sind schon seltsame Wesen. Ich kann mich nicht so recht an sie gewöhnen. - Es ist fünf Uhr früh. Ich trinke Kaffee und rauche eine Zigarette. Schlafstörung nennt man so etwas. Ich stelle mir vor, Du säßest am Küchentisch und wir quatschten wieder, und lachten über unsere komischen Gedanken. Als wäre der Tod nur eine Illusion. Und das Leben ebenfalls. - Aber was, Mama, wenn es wirklich so wäre? Müsste es dann nicht etwas über unsere Wirklichkeit hinaus geben, das keine Illusion wäre? - Gedankensprung: Wusstest Du eigentlich, dass violon auf französisch auch Knast bedeutet? Und was die Leute hier unter Grimassensuppe verstehen? - Je ne blanche pas, hättest Du vielleicht geantwortet. - Der Höhepunkt unserer Faxen war aber bestimmt "Gut bei Friedheim". Allerdings dürften die Berliner kaum darüber gelacht haben. Orlando Buletta war eben ein Pariser Clown. - Die ersten Piepmätze zwitschern schon. Haben sich 'ne Menge zu erzählen. Ein seltsames Leben, wirklich. Manchmal versteht man nicht so recht, was diese dauernde Hektik soll. - Als Du gegangen bist, habe ich meinen ersten "richtigen" Text geschrieben. En français. Über dich, deinen Tod, den Krieg, und all diese furchtbaren Dinge. Kurz vorher hatte ich dir noch meine Lieder vorgespielt. Aber da warst Du schon sehr krank. Und ich habe es nicht so richtig gemerkt, nur dunkel geahnt. Das ist vielleicht der einzige Vorwurf, den ich dir machen könnte. Mir hättest Du es doch sagen können. Dann hätte ich, so bilde ich mir ein, vielleicht noch etwas unternehmen können. Als es noch nicht zu spät war. - Zu spät. Zu früh. Hektik. Seltsames, seltsames Leben. - Gerade hat es schon wieder Krieg gegeben, Mama. Die Menschen können einfach nicht genug von dem ganzen Elend kriegen. Ich habe sogar ein Kriegstagebuch geführt. Warum, weiss ich nicht so recht. Vielleicht weil ich als Kind mal Schriftsteller werden wollte. Oder weil die Schrift im Reich zwischen den Zwei Flüssen, in Mesopotamien, entstanden ist. Dort hat's nun gerade wieder mächtig gekracht und geblutet. - Keine Ahnung, wie lange dieses makabre Spiel noch dauern soll. Wie lange die Menschen noch brauchen werden, um ihre Irrtümer einzusehen und sich zu läutern.

Im Vogelparlament
(Chez Laetitia, 2. Mai 1996, in ein Tagebuch)

Um fünf Uhr morgens hört man schon ein lautes Zwitschern in den Baumkronen; dort ist das Vogelparlament; da wird beschlossen, debattiert, und über Penner diskutiert: die Menschen nämlich schlafen noch, gefesselt an ihr Federbett, wo sie die Welt im Traum wie Vögel überfliegen, - die Menschen, die im Wachen auf Trampelpfaden krachen, und dabei Mutter Erde zu einem Saustall machen; was bleibt so Vögeln also übrig, als dieses Kriechvieh auszupfeifen, in ihrer Sprache auszulachen; manchmal versteht das der Poet, der kaffeeschlürfend-schlaflos wacht, während sie weicht, die stille Nacht, und bald das erste Kriechvieh kracht.

***

Ich wusste es, Mama: ich hatte mal irgendetwas meschuggenes über Vögel geschrieben. Gerade habe ich es gesucht und wieder gefunden. Zu meiner Überraschung ist es fast auf den Tag genau vor sieben Jahren um dieselbe Uhrzeit geschrieben worden. Nur deshalb wollte ich es hier anführen. - Schlafstörung. Das war's. - Damals bin ich aber noch nicht auf die Idee gekommen, dir einen Geburtstagsbrief zu schreiben. Allerdings war es auch keine runde Zahl. Und ich konnte meinen Brief noch nicht ins Weltall schicken. - Gerade bin ich draußen gewesen. Heute ist hier das Fest der Arbeit. Also arbeitet man nicht. Logisch, nicht wahr? - Erst bin ich durch menschenleere Straßen gelaufen und habe den Tauben zugeschaut, wie sie sich glucksend umkreisten. Dann bin ich einem Haufen Leute begegnet, die Maiglöckchen verkauften: Kindern, alten Frauen, Mädchen, Männern. Allein am Place Clichy habe ich elf solcher Verkäufer gezählt. Dann habe ich mir Sargnägel geholt und am Tresen fragte man mich: Une bière? (bière heisst ja bekanntlich auch Sarg auf französisch!) - Nun erinnere ich mich an die schlimme Zeit, als Du todkrank im Krankenhaus von Avignon-Sud lagst, und ich dich jedes Wochenende aus Paris besuchen kam. Auch da habe ich noch versucht, irgendwelche Ungereimtheiten zu improvisieren, um dich wie früher zum Lachen zu bringen. Aber angesichts deines furchtbaren Leidens, das Du stumm und mutig hingenommen hast, habe ich dir diese Sachen nie vorgetragen.

Die Stadtratte, der Kuckuck und der Landrat
- ein Vorlesestück zur Erheiterung -
(11.11.1990, abends im Bahnhofslokal)

Es war einmal eine Stadtratte, die sonnte sich auf einer Matte nach alter Sitte irgendwo in der Stadtmitte. Und es war einmal ein Landrat, der gab recht gerne teuren Rat und hatte auch ein teures Rad, auf dem er in die Stadt geraten ward. Dort frug ihn ein Kuckuck sehr viel Humbug, und der Landrat gab ihm Rat vom Rad, was er ja ziemlich gerne tat. Der Kuckuck frug vom Baum: "Ist das Leben nicht ein Traum?" Daneben lag die Matte, gemacht aus weicher Watte und einer harten Latte. Darauf lag nun die Ratte in der Sonne, welche Wonne! Da entwich dem Kuckuck ein Ei: Das brach auf dem Landrat entzwei. Der fiel vor Schreck vom Rad, voll auf die harte Latte. Nun brauchte er Flick- und Fleckmittel. Und die Ratte lachte im Speckkittel. Der Kuckuck aber flog nach Hamburg und frug dort weiter Humbug.

***

Siehst Du: viel hast Du nicht verloren. - Das Problem, dass ich heute mit der Muttersprache habe, ist schon ziemlich absurd: Neben einer gereiften Adoptivsprache hat sie in mir überlebt wie das unmündige Kind, das sich einmal in Berlin geschworen hat, nie so doof wie die Erwachsenen zu werden. - Ein gründlicher Misserfolg, wa?

Es war einmal ein Mann von Welt
Den hat's zur Dichtung hingetrieben
Doch seit er Poesie herstellt
Hat er nie Schecks mehr unterschrieben


(Dorothee geb. Schäfer in memoriam)

 

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