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Wolf Biermann

Liedermacher, chansonnier
 


“Nachgeburtstagswolf im Kerzenschein” 
Wolf Biermann in Altona an seinem 75. Geburtstag (Foto : Vera Bischitzky)

 

Am 24.11.2011 um 10:59 schrieb Vera Bischitzky:

 Lieber Wolf,
ich hoffe, Du machst gerade wieder einen Zwischenstop zu Hause, weshalb ich Dich gleich mit einer Frage heimsuchen möchte: ich habe ein – wie ich zumindest finde – schönes Bild von Dir aufgenommen, “Nachgeburtstagswolf im Kerzenschein”, Du kennst es ja schon. Es ist zwar etwas unscharf, aber ich finde es schön ... Nun fragte mich gestern mein Cousin Stefan, der damals für mich Deine Drahtharfe in seinem Stiefel über die Grenze transportiert hat, ob er dieses Bild auf seine Web-Seite stellen dürfe. Er hat früher in Frankreich (wo er lebt) Deine Lieder gesungen, am liebsten mag er “Oma Meume” (und er sagt, er sei der Zwischenrufer gewesen, der im Kölner Konzert nach “Oma Meume” verlangt hat). “Oma Meume” hat er auch ins Französische übersetzt, mit Deinem Einverständnis, das Du ihm nach einem Konzert mal gegeben hast.

Diese Frage gibt an Dich weiter
Vera, die sich sonst womöglich noch Deinen Ärger einhandelt ... Gott soll abhüten (wie mein kommunistischer Vater immer sagte)!!!
 

Wolf Biermann antwortet:


Liebe Vera, schön, daß es ausgerechnet Dein West-Cousin war, der damals als gutgelaunter Zwischenrufer im Kölner Konzert so lautstark die Ballade „Großes Gebet der alten Kommunistin Oma Meume in Hamburg“ verlangte. Es ist ja auch ein erschütterndes und schönes Lied, sogar bis heute. Die Sehnsucht nach dem kommunistischen Paradies auf Erden, in tiefster Not geschrien aus dem Herzen einer alten Genossin, aus dem Mund einer alten Arbeiterfrau, die müdeverzagt an ihrer Partei zweifelt, ist ja déchirant. François Villon hat solch eine Bettel-Ballade an Gott für seine frommverzweifelte Mutter geschrieben. Das Gebet des alten Kommunistenweibleins hat jedenfalls mehr Sinn als die spätkommunistischen Phrasen ihres Enkels , im Streit mit den linksalternaiven Zwischenrufern in der Kölner Maulschlacht von 1976.

Da hast Du ein schönes Beispiel für genau das, was Manès Sperber meinte, als er mir etwa 4 Jahre später in seiner Wohnung in der Rue Notre Dame des Champs den vereiterten Kommunismus-Backenzahn zog. Er sagte damals: Mein Lieber, Ihre Verse sind so mutig und wahr, ihre Lieder sind so schön, in Ihren Gedichten sind Sie viel weiter als der Biermann, der sich nach all dem immer noch einen Kommunisten nennt ...“ - Nach dieser politischen Zahnbehandlung hatte ich endlich den Mut, ein guter Renegat zu werden. Nun konnte ich endlich mit dem fatalen Kinderglauben an die kommunistische Endlösung der sozialen Frage brechen.

Meine flapsige Replik damals von der Bühne aus auf die Liedbestellung Deines Cousins in diesem riesigen Saal ist ja auf der DVD festgehalten: Ich sagte lachend: „Ich bin zu jeder Schandtat bereit!“

Das hatte ein Scherz sein sollen und war von den Leuten in der Sporthalle auch so verstanden worden. Aber in der anschließenden Pressekampagne in der DDR gegen den ausgebürgerten Biermann wurde dieses Wort dann aus dem lustigen Zusammenhang gerissen und apologetisch mir als Credo in den Mund gelegt. So stand dann im ND und in allen DDR-Provinzblättern das Gleiche: „Biermann sagt ja selbst von sich, daß er zu allen Schandtaten bereit ist.

Liebe Vera, sage also Deinem Cousin, daß er Dein unscharfes Kerzenschimmer-Bild aus unserer Küche gerne in Gebrauch nehmen darf – es ist das nachgereichte Honorar dafür, daß er dieses Kölner Konzert bereichert hat mit seinem Zwischenruf.

Und falls es ihm in den Sinn kommt und in das Format seiner Web-Seite paßt, darf er das Foto seiner Cousine Vera Bischizky gerne verwenden. Dazu vielleicht den Originaltext der Ballade und dazu seine französische Übersetzung. Wenn die stark ist, wird es manche Leute im Internet freuen, wenn sie schwach ist, wird es vielleicht jemanden animieren, eine bessere Nachdichtung zu versuchen. Die Juden nennen sowas auf jiddisch: „farbessern“

Und unseren Briefwechsel kann er ruhig auch kolportieren, denn der gehört ja dazu -

Wolf am 24. November 2011 in Altona
 

 

 

 

Eigentlich hatte ich die französische Übersetzung vollkommen vergessen. Neulich aber fiel sie mir wieder ein: da habe ich mich endlich drangemacht und an Biermann mit einem erklärenden Briefchen geschickt, das ich nun auch hier - wo sonst? - veröffentliche, da die Indiskretion ja sowieso schon ziemlich fortgeschritten ist:

 

Berlin, am 2. Februar 2013

 

Lieber Wolf Biermann,

 

ich kann mich noch gut an das Kölner Konzert erinnern und glaube wirklich, dass ich es war, der da „Oma Meume“ gerufen hat: Vielleicht fragten Sie gerade das Publikum, welches Lied es noch hören wolle, oder ich wähnte mich (wohl eher) in einem dieser Rockkonzerte, wo man seine Wünsche mit solchen Zwischenrufen zu äußern pflegt. - Übrigens erinnere ich mich auch an eine andere Episode (war’s im selben Konzert?): Den Wortlaut weiß ich nicht mehr, aber Sie sagten dem Sinn nach, dass ein Publikum, das dauernd klatscht, dem Sänger ganz schön auf die Nerven gehen kann. Da war der Saal plötzlich mucksmäuschenstill, nur ich fing – blöde wie ich war – an zu klatschen und Sie haben daraufhin bezeichnend gegrinst (ich hatte das damals als ein mitfühlendes „Siehste“ ausgelegt)…

 

Vielleicht sollte ich mir die Aufzeichnung des 1976ger Konzerts doch einmal ansehen, aber eine rätselhafte Scheu hat mich bis jetzt immer wieder davon abgehalten…

 

Allerdings bin ich ziemlich erschrocken, über Ihre Korrespondenz mit Vera nun erst zu erfahren, welche Sonderbehandlung Ihnen die DDR-Presse nach Ihrem „Ich bin zu jeder Schandtat bereit“ zuteil kommen ließ. Denn ich dachte in jenem Augenblick gar nicht an das Gebet sondern an die Moritat von Biermann seine Oma Meume in Hamburg, weil ich dieses Lied damals ins Französische übersetzt und Sie sogar einmal in Toulouse gefragt hatte, ob ich es in den Kneipen singen dürfe, in denen ich damals ab und zu spielte. Der Vollständigkeit halber muss ich gestehen, dass ich mich trotz Ihrer Toulouser Ermutigung nie getraut habe, es in meiner damaligen französischen Übersetzung irgendeinem Publikum vorzutragen…

 

Nun sende ich Ihnen jedenfalls das Gebet und die Moritat in Fassungen, die ich einigermaßen vertreten kann: Um es singen zu können, sollte man vielleicht das Gebet noch etwas umarbeiten (Reime einbauen und den Rhythmus stellenweise verlagern); für mein Gefühl ist jedoch die Moritat jetzt soweit „sing- und spielbar“ (man muss nur manchmal eine stumme Silbe oder ein stummes E „verschlucken“)…

 

 

Alles Gute Ihnen und herzliche Grüße

 

vom „West-Cousin“

 

Zur französischen Übersetzung

 

Und hier nun noch der Originaltext der Moritat:

 

Moritat auf Biermann seine Oma Meume in Hamburg


1.
Als meine Oma ein Baby war, vor 88 Jahr'n,
da ist ihre Mutter im Wochenbett mit Schwindsucht zum Himmel gefahr'n!
Als meine Oma ein Baby war, ihr Vater war Maschinist,
bis gleich darauf die rechte Hand ihm abgerissen ist.

2.
Das war an einem Montag früh, da riß die Hand ihm ab,
er war noch froh, dass die Fabrik den Wochenlohn ihm gab.
Als meine Oma ein Baby war mit ihrem Vater allein,
da fing der Vater das Saufen an und ließ das Baby schrein.

.
Dann ging er in die Küche rein und auf den Küchenschrank,
da stellte er ganz oben drauf die kleine Küchenbank,
und auf die Bank zwei Koffer noch und auf den schiefen Turm,
ganz oben auf das Federbett, das kleine Unglückswurm.

4.
Dann ging er mit dem letzten Geld in's Meier's Freudenhaus,
und spülte mit Pefferminzabsinth sich das Gewissen raus,
und kam dann wieder im Morgengraun, besoffen und beschissen,
und stellte fest, verflucht, das Wurm hat sich nicht totgeschmissen!

5.
Das Kind lag friedlich da und schlief hoch oben auf dem Turm,
da packt er es mit seiner Hand, das kleine Unglückswurm,
nahm es behutsam auf den Arm und heulte Rotz und Wasser,
und lallte ihm ein Wiegenlied, vor Glück und Liebe fraß er..

6.
...der Oma fast ein Öhrchen ab und schwor, nie mehr zu trinken,
und weil er Maschinist gewesen, schwor er es mit der linken...
das ist ein Menschenalter her, hätt' sie sich totgeschmissen,
dann würde ich von alledem wahrscheinlich garnichts wissen.

7.
Die Alte lebt heut immernoch und kommst Du mal nach Westen,
besuch sie mal und grüß sie schön vom Enkel, ihrem besten.
Und wenn sie nach mir fragt und weint und auf die Mauer flucht,
dann sage ihr, bevor sie stirbt, wird sie nochmal besucht.

8.
Und während Du von mir erzählst, schmiert sie Dir erster Klasse
ein Schmalzbrot, dazu Mukkefuk aus einer blauen Tasse.
Vielleicht hat sie auch Lust und sie erzählt Dir paar Geschichten,
und wenn sie schön sind, komm zurück, die mußt Du mir berichten.

 

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