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Wolfgang Kaempfer, Schriftsteller (1923-2009)

Wolfgang Kaempfer  /  Dietmar Kamper
Zeitsturm
Die mediterranen Zeitgespräche Dietmar Kampers mit Wolfgang Kaempfer
Tectum Verlag, Marburg 2004, 118 Seiten
Herausgegeben von Herbert Neidhöfer & Bernd Ternes

Erinnerung

Den Titel für die Gespräche, die ich mit Dietmar Kamper im Sommer 1992 führte, habe ich nachträglich formuliert. Er sollte erst heißen Wiederholbarkeit – Unwiederholbarkeit (der Zeit), weil auch diese Gespräche eine „unwiederholbare Wiederholung“, ein Konzentrat der Gespräche zu bilden schienen, die wir in den Sommern zuvor geführt und die zunächst den von Bernd Ternes [weiter unten] erwähnten gemeinsamen Versuch („Die Zeit und die Uhren“) ergeben hatten, uns über die Doppelschlechtigkeit der Zeit, jeder auf seine Weise, schlüssig zu werden. Als dann viele Jahre später das unerwartete, brüske Ende eintrat, das uns alle einzuholen pflegt, der Tod Dietmar Kampers, suchte ich die Gespräche, die er einst dokumentiert hatte, wieder hervor. Wir hatten sie niemals einem Verleger anvertraut, wir hatten sie vergessen. Auch dem Insel Verlag haben sie meines Wissens niemals in einer druckreifen Fassung vorgelegen, – die erst Bernd Ternes angefertigt hat mit bewundernswerter Akribie.

Während ich dies notiere, sitze ich in demselben alten Haus, in dem Dietmar Kamper viele Jahre ein und ausging und in dem er folglich gegenwärtig blieb wie das Kommen und Gehen der Erinnerungen, die ich mit ihm – und die ihn mit mir – verbinden. Außer einem weiteren engeren Freund, einem Weinbauern, der aus dem kleinen Weiler stammt, in dem ich lebe – und den Dietmar gut gekannt und geschätzt hat – ist dies der zweite Tote, der dieses Haus nicht mehr ganz verlässt, der es gespenstisch-freundschaftlich bewohnt, vielleicht weil seine Leere ohne diese Freunde etwas schwerer zu ertragen wäre.

Ich erinnere mich gut an viele Einzelheiten, aber nicht an „das Ganze“ – das freilich ohnehin nur in der Vorstellung, nicht in Wirklichkeit besteht – so zum Beispiel an die sorgfältige Vorbereitung jedes einzelnen Gesprächs und Gesprächsthemas durch Dietmar, denen ich mich daher meist nur zu „überlassen“ brauchte. Kampers „systematische Unermüdlichkeit“, wie ich sie einmal nennen möchte, vertrug sich gut mit meiner mich gelegentlich wie eine Last überfallenden Müdigkeit und Trägheit, zumal die Gespräche im allgemeinen abends, nach einer ausführlichen Mahlzeit, die von Dietmar vorbereitet worden war, stattzufinden pflegten. Ich fühlte mich dann nach einer Weile regelmäßig von ihm „angesteckt“, die starke Ausstrahlung, die ihm eigentümlich war, übertrug sich, und es entwickelte sich die spezifische Abendatmosphäre, die stark mit der Morgenatmosphäre kontrastierte, wenn wir uns zum Frühstück zusammenfanden, das ich vorzubereiten hatte und das manchmal erst gegen Mittag endete, weil die Gespräche dann locker und vertraulich waren, gespickt übrigens häufig mit Erzählungen Dietmars über seine Nachtträume, die manchmal fast buchstäblich die (B)innenwelt seiner Tagesexistenz abzubilden schienen, einen Spiegel der starken und paradoxen Widersprüche bildend, aus denen das Leben besteht, und zumal das seine und das meine.

Nichts bedauere ich schmerzlicher, als diese Träume nicht aufgezeichnet zu haben: er hätte es mir sicher erlaubt. Vielleicht lassen sie sich eines Tages in seinem Nachlaß wiederauffinden, sie sind der Aufbewahrung würdig. Ich erinnere mich nicht, je einem Träumer begegnet zu sein, dessen Nachtphantasien eine oft spiegelgenaue Ergänzung zu einem Lebenswerk gebildet hat, das der strapaziösen „Arbeit des Begriffs“ und des Bewusstseins gewidmet war.

Wolfgang Kaempfer, am 27. August 2003

Vorbemerkung der Herausgeber
 

Dem vorliegenden Text, der Gespräche wiedergibt, die Wolfgang Kaempfer und Dietmar Kamper ab 1992 in Fauzan führten, lag die kopierte Fassung einer Art Palimpsest zugrunde: ein knapp 150 Seiten langes Typoskript mit mehreren Seitenzahlreihenfolgen, mit Durchstreichungen, aufgemachten Durchstreichungen, wieder durchgestrichenen aufgemachten Durchstreichungen; mit mehreren Inhaltsverzeichnissen und diversen Hinweisen, welche Stellen des Textes zu kürzen sind oder ganz wegfallen sollen.

Da es Wolfgang Kaempfer oblag, letzte Unleserlichkeiten resp. abgeschnittene Sätze in Lesbarkeit zu überführen sowie letzte Ergänzungen und Straffungen einzufügen, basiert die hier vorliegende Textfassung auf der Fassung letzter Hand Wolfgang Kaempfers. D.h.: Textstellen, die durchgestrichen wurden, kommen hier nicht mehr vor, auch nicht als Ergänzungsanmerkungen. Anmerkungen in Fußnoten sind daher immer Anmerkungen der Herausgeber; sie stehen in eckigen Klammern.

In einem Brief vom 26.07.1993 an Hans-Joachim Simm vom Insel-Verlag – dort sollten die Gespräche nach Willen Kampers und Kaempfers veröffentlicht werden – macht Dietmar Kamper den Vorschlag, Kapitel III und Kapitel VI des Typoskripts ersatzlos zu streichen. Er begründet diesen Vorschlag mit dem Hinweis, beide Kapitel enthalten „mancherlei Redundanz“.

In einem Brief vom 24.07.2002 an Birke Mersmann, der das Typoskript als erste überreicht wurde, schreibt Wolfgang Kaempfer: „Nichts sollte gestrichen werden“ – bezogen auf die Streichungsvorschläge Kampers. Kaempfers Ansinnen wurde hier wie gesagt gefolgt.

Dietmar Kamper verstand die Fauzaner Zeitgespräche zwischen ihm und Wolfgang Kaempfer als „eine gute Einführung in die von Wolfgang Kaempfer und Friedrich Cramer zur Diskussion gestellte ‚Zeit-Theorie’[1]“. In einem Ankündigungstextentwurf, der abgebrochen und nicht wieder aufgenommen wurde, kommt Dietmar Kamper zu folgender Beschreibung und Einbettung der Gespräche:

„Im Herbst 1990, nach Fertigstellung ihres gemeinsamen Buches Die Zeit und die Uhren (Insel-Verlag 1991), haben die Verfasser eine Reihe von Gesprächen geführt, um die Entdeckung einer doppeltgerichteten Zeit, die Wolfgang Kaempfer in Zusammenarbeit mit Friedrich Cramer zu einem plausiblen Modell entwickelt hat, auf Reichweite und Konsequenz hin zu prüfen. Die nun sorgfältig ausgearbeiteten acht Gespräche [2], in denen Dietmar Kamper aus seiner Erfahrung der Zeit als ‚paradoxer Wiederholung’ die Fragen stellt und Wolfgang Kaempfer seine Antworten mit spekulativer Kraft immer aufs Neue vorantreibt, zeigen ein weites Spektrum von möglichen Fällen der Anwendung des Modells; hauptsächlich in den historischen Wissenschaften, aber auch in der Ästhetik, der Philosophie und der Religion! Sie zeigen aber auch, daß die Gesprächsform einer solchen Entdeckung, die über das Modell hinaus weiterentwickelt werden soll, eher entspricht als die Abhandlung.

Es geht nämlich nicht um gerichtetes Wissen, sondern um eine intensive Weise des experimentellen Fragens und Antwortens, die in der momentanen Verwirrung der Kriterien auf eine neue Orientierung abhebt“.

In den zumeist handschriftlichen Notizen zum Typoskript und zu den Gesprächen findet sich eine Bemerkung Kampers, die zu erhellen vermag, warum das Buch-Cover so aussieht, wie es aussieht:

„bei der Eröffnung
das Verhältnis von Zeit, die nicht vergeht
und Zeit, die vergeht
von Vergänglichkeit, die sich verausgabt
und Dauer, die in Kreisen sich verlangsamt.
also die Idealform von ti + tr = ein Frauengesicht“

Dietmar Kamper starb im Oktober 2001. Ihm ist dieses Gesprächsbuch, das nach über 10 Jahren mehr denn je an der Zeit ist, gewidmet.

Geesthacht/Berlin 2003, Herbert Neidhöfer/Bernd Ternes

Anmerkungen

[1] Siehe hierzu: Wolfgang Kaempfer, Zeit des Menschen. Das Doppelspiel der Zeit im Spektrum der menschlichen Erfahrung, FFM/ Leipzig 1994; derselbe, Die Zeit und die Uhren. (Mit einem Beitrag von Dietmar Kamper: Umgang mit der Zeit. Paradoxe Wiederholungen), FFM/ Leipzig 1991; Friedrich Cramer, Der Zeitbaum. Grundlegung einer allgemeinen Zeittheorie, FFM 1994; derselbe & Wolfgang Kaempfer: Die Natur der Schönheit. Zur Dynamik der schönen Formen, FFM 1992.

[2] Das sind die sieben Kapitel plus Einleitungskapitel.

 

> Zum Inhaltsverzeichnis <

 

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