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HAJO EICKHOFF

Stadt und Globus. Die Eroberung der Ewigkeit

(Essay)

 

- I -

 

Die Kugelgestalt der Erde macht ihre urbane Umfassung global. Auf die Urbanisierung der Erde folgt die Eroberung des planetarischen Raumes. Bald gibt es touristische Weltraumflüge. Die Besiedlung von Mond und Mars in den ersten Jahrzehnten des einundzwanzigsten Jahrhunderts sind Etappen für den Vorstoß in den galaktischen Raum. Utopische Pläne, und doch nur die Konsequenz aus dem vor zehntausend Jahren beschritten Weg, als die Menschen anfingen, Städte zu gründen und sich von der äußeren Natur und der Natur in sich zu distanzieren.

 

Natur und Stadt

Erst lebt der Mensch in der Natur. Eingebunden in die Natur, seine materielle Umgebung, und den Kosmos, seinen geistigen Horizont, bewegt er sich in einer Welt, die ohne sein Zutun vorhanden ist und ihm gibt, was er zum Leben braucht. Sein ideeller Antrieb ist das Streben zum Horizont, sein materielles Ziel das Beschaffen von Nahrung. Entweder befindet sie sich in der Ferne, weshalb er sich an der Jahreszeit orientiert, um Früchte zu ernten, oder sie ist beweglich, weshalb er ihr, den Tieren, nachfolgt. Kultur und Kultiviertheit trägt der Mensch mit sich und seine Existenz fällt zusammen mit dem, was er innerhalb der eigenen Haut ist.

Wie kommt die Stadt in die Natur? Der Mensch muß das enge Band mit der Natur lösen, in die Geschichte eintreten und sich die Welt aneignen. Er muß auf einem langen Weg praktische und intellektuelle Einsichten gewinnen und die Natur in einen menschlich gestalteten Kosmos umarbeiten. Durch das Verdrängen eines natürlichen Lebensraumes, das Ebnen des Bodens, das Errichten einer geschlossenen Stadtmauer und die Ausstattung des Zwischenraums mit Häusern, Straßen und Plätzen gelangt die Stadt in die Natur.

Die Stadt ist die kulturelle Basis, von der aus der Mensch die Vorstellung von der Kugelgestalt der Erde gewinnt. Ein gewaltiger intellektueller Akt, von der Ebene aus, auf der er lebt, auf die Kugelgestalt der Erde zu schließen. Er macht die Erde zum Element der stellaren Ordnung und strebt danach, sie aus großer Distanz tatsächlich als Kugel zu sehen.

 

Kultur und Stadt

Die Stadt ist ein Konzept gegen das Dasein des Menschen in der Natur. Ein Ort, an dem er Identität und Auskommen zu finden glaubt. Die Attraktion der Stadt liegt in der Künstlichkeit, in der Unterwerfung des Gegebenen unter die Vorstellungen des Menschen. Städte und ihre Mauern fungieren als seine erweiterte Haut. Das Sein des Stadtbewohners fällt zusammen mit dem, was er innerhalb dieser Haut ist.

Der Mensch genügt sich nicht. Er will seine innere Unruhe überwinden, geschickter und klüger werden und seine Ordnung in die Natur bringen. Er wird nicht aus dem Paradies vertrieben, sondern er tritt aus seiner Tradition heraus, um seine potentiellen Anlagen zu wecken und zu entwickeln. Eine dieser Anlagen ist die Spezialisierung der Hand. Sie ist es, die die Stadt hervorbringt. Handwerker und Händler sind die Städtegründer. Zur Organisierung des Stadtlebens erfinden sie die Schrift, die das Gedächtnis für das Wissen der Stadtgesellschaft bildet. Hand und Wissen führen zu Technik und Zivilheit, die den Menschen ein Stück von der Natur abrücken.

Die Stadt ist das Manifest eines neuen Selbstbewußtseins. Rasch wechselnde Eindrücke und das beengte Leben erfordern, daß der Mensch innehalten und reflektieren kann und nicht jedem Reiz folgen muß. Die erhöhte Reizsteigerung und eine gesteigerte Sensibilität begünstigen Fähigkeiten der Abstraktion und der Imagination. Frei von der unmittelbaren Nahrungserzeugung, von großen Kraftanstrengungen und einer vielseitigen Beweglichkeit etablieren Physis und Psyche ein städtisches, ein distanziertes Gemeinschaftsleben.

Die kleinste politische Einheit der Stadt ist der Bürger. Zivilisation bedeutet die Formung des Menschen durch die civitas, die Stadt. Zivil kommt von cevas, das lieb und wert bedeutet, und von dem sich civis, civilis und civitas ableiten. Civilis heißt bürgerlich, öffentlich, politisch. Der Bürger ist ein civis, der in der civitas eine zivile Formung erhält

Die kleinste architektonische Einheit der Stadt ist das Haus. Haus, Seßhaftigkeit und Ackerbau gehören zusammen. Die Häuslichkeit bringt das Handwerk hervor, nachdem sie Werkzeuge verbessert, Tätigkeiten spezialisiert und Kenntnisse erweitert hat. Arbeitsteilung ist ein Resultat der Stadt, die unter besonderen Konstellationen eine hohe Tendenz zur Globalisierung aufweist.

Die Tendenz zur Globalisierung ist ein Grundelement der Stadt. Sie ist die Ausweitung und Verallgemeinerung der städtischen Existenzform und die Unterwerfung aller Menschen unter das Gesetz der Distanz. Das Gesetz bedeutet das Heraustreten aus familiären, regionalen, nationalen und kontinentalen Bindungen und den Eintritt in den Zustand einer allgemeinen Gleichheit. Die Distanz der Stadt zur Natur entspricht der Distanz des Stadtlebens zur Natur des Stadtbewohners. Die Formen der Distanz – Fremdheit, Abstraktion und Isolation – sind allgemeine Bedingungen der Stadt. Sobald eine freie Bürgerschaft, ein Zusammenwirken von Handwerk und Wissenschaft, eine wachsende Bevölkerung und ein geordneter Verkehr hinzutreten, universalisiert die Stadt ihre Existenzform, greift über sich hinaus und drängt auf ein Globalwerden hin.

Die Gesetze der Stadt sind Gesetze eines sozialen Seins. Das Leben der Stadtbewohner wird immer mehr vom Rhythmus der Natur befreit: ihre Produkte entstehen im Schutz hoher Mauern und unabhängig vom Klima und von der Jahreszeit. Mit dem künstlichen Terrain der Stadt schafft der Mensch im Chaos des Gegebenen neue Tatsachen und gibt dem Leben Sinn und Halt. Mit der Stadt, dem Anker im Strom des Werdens und Vergehens, gewinnt der Mensch die Elemente des Bleibens und der Dauer.

 

Mauer, Gestell und Stadt

Die Zivilisierung des Menschen beginnt mit den urbanen Siedlungen Jericho und Çatal Hüyük. Im Hochland von Jordanien im achten Jahrtausend vor Christus entstanden, wohnen in Jericho im Schutz von Mauern etwa dreitausend Menschen. Eine Oasenstadt und Handelsstation, an der Nomaden und Händler Rast machen und Bauern Waren tauschen. Eine reiche Quelle liefert das Wasser, das nahe gelegene Tote Meer das begehrte Handelsgut Salz. Die nur wenig jüngere stadtartige Siedlung Çatal Hüyük in Südanatolien, in der Handwerker, Händler und Bauern leben, ist ein Gebilde, das eine außerordentliche Nähe der Bewohner untereinander schafft. Sie besteht aus rechteckigen Häusern, die ohne Abstand nebeneinander stehen. Die Bewohner halten sich innerhalb der Stadt in den Häusern oder auf den Dächern auf. Zugang ins Innere der Häuser bietet eine Öffnung im Dach. Die Dächer sind die einzigen Verkehrswege. Fremden gegenüber ist der Ort durch die geschlossene Rückwand der Häuser unzugänglich. In beiden Städten regelt eine kommunale Verwaltung das gesellschaftliche Leben.

Die Mauer ist das wesentliche Bauwerk der Stadt von Anfang an. Städte entstehen von ihrer Umgrenzung her. Das englische Wort town, das altpersiche paira daeza – Paradies – oder das chinesische ch’eng bedeuten Zaun und Umzäunung. Später wird das Wort für den Grenzrand zum Wort für den Innenraum. Stadtgrenzen sind heilige Schwellen, die mit dem Pflug um die imaginäre Weltachse gezogen werden. Romulus tötet Remus, weil dieser das Tabu verletzt und die gepflügte Grenze überschreitet. Wo Stadttore geplant sind, wird der Pflug aus der Erde gehoben. Das Recht, eine Mauer zu bauen, muß erworben werden. Um das Recht streiten Ackerbauern und Nomaden mit den Stadtbewohnern.

Mauern sind ein Prinzip des Schutzes und der Ordnung. Sie sollen Dämonen abwehren, aber auch die Bewohner schützen und die Reichtümer, die in Tempeln gehortet werden, sichern. Sie machen die Stadt autark: Ohne die Stadt verlassen zu müssen erhält der Stadtbewohner durch Arbeitsteilung mit Ackerbauern und Jägern die Dinge, die zum Leben notwendig sind. Von hier aus kann er ordnend in noch ungeordnete Räume vordringen.

Die Mauer macht die Stadt zum Gestell, zu Stelle, Platz, Ort, Stätte und Wohnstatt. Zum künstlichen Terrain. Die Mauer des Hauses faßt den Menschen einfach und domestiziert ihn, die Stadtmauer faßt ihn zweifach, um ihn zu zivilisieren.

 

Babylon, Athen, Rom

Die Zivilisierung setzt sich zwischen Mittelmeer und Persischem Golf fort. Großstädte wie Susa, Ur, Lagasch, Assur, Nippur oder Babylon entstehen seit dem vierten Jahrtausend in Mesopotamien. In Babylon gibt es drei- und vierstöckige Häuser und die ersten Monumentalbauten. Tempel und Zikkurat, ein Beobachtungsturm, bilden die Mitte der Stadt. Die Straßen verlaufen parallel und werden rechtwinklig von anderen gekreuzt. Neben Bürgern und Händlern leben Bauern, Priester und Sklaven in der Stadt. Der Stadtgott, für den die Gemeinschaft arbeitet, wird von einer Priesterkaste vertreten, die Lebensmittel, Beutegüter und Werkzeuge in den Lagerräumen des Tempels sammeln. Innerhalb der Stadt besitzen Bürger ein Areal, die Felder außerhalb der Stadt werden von allen gemeinsam bearbeitet. Nach der Absetzung der Priesterkaste übernehmen Könige die Macht, deren Beamte über den Verkehr, die Rechtsprechung und das Militär walten. Neben dem Tempel entsteht der königliche Palast. Sumerische Städte existieren, solange ein starker König regiert. Da innerhalb der Stadt die Macht auf eine kleine Gruppe beschränkt bleibt und außerhalb eine Struktur aus Dörfern, Städten und Verkehrsverbindungen fehlt, ist die Neigung sumerischer Städte zur Globalisierung gering.

Das erstemal in der Geschichte der Menschheit entsteht eine Kultur aus freien Bürgern, die ihre Stadt selbst regieren, in Athen. Die Fürstentümer Griechenlands werden seit der Zeit Homers allmählich in die Polis, den Stadtstaat umgewandelt. Gestalt und Größe der Polis werden bestimmt von der Politik: Damit sich alle freien Bürger – die über achtzehnjährigen Männer, die weder Bauern noch Sklaven sind – an einem Ort versammeln können, muß die Größe der Stadt begrenzt bleiben. Droht sie, zu groß zu werden, wird in der Nähe eine neue Ansiedlung gegründet. Die Ordnung der Polis entwickelt sich aus den unterschiedlichen Interessen der Bewohner. Sie ist eine Einheit aus heiligen Orten mit Tempeln, privaten Bezirken sowie öffentlichen Bereichen mit Theatern, Stadien und der Agora. Die Agora bildet das Zentrum der Stadt. Sie ist ein öffentlicher Platz mit politischer und sozialer Funktion. Agora kommt von ageirein und heißt sich versammeln, verhandeln, sprechen. Sie ist ein Ort der Kommunikation und dient der Einübung eines demokratischen Verhaltens. Hier werden religiöse Feste gefeiert, Schauspiele inszeniert oder Waren getauscht. Hier hat Sokrates seine philosophische Ethik entwickelt. Die Agora gibt den Bürgern eine politische und moralische Identität. Das Theater pflegt ihre Moral, die Akademien ihren Geist, die Gymnasien ihre Einheit von Körper und Moral und die religiösen Riten vor den Tempeln ihren Glauben. Wenn junge Griechen in der Versammlung mit anderen öffentliche Angelegenheiten erörtern, sind sie gut vorbereitet.

Hippodamos von Milet (480-420 v. Chr.) hat eine gleichmäßige Aufteilung des Stadtraums empfohlen, ein geometrisches Prinzip, dem einzelne Häuser wie der Gesamtplan unterworfen sind. Er legt das Straßennetz, wie schon die Erbauer sumerischer und chinesischer Städten, rechtwinklig an. Die entstehenden Flächen führen zu einer gleichmäßigen Bebauung. Zwar ist die Größe der griechischen Stadt begrenzt, aber das Raster gibt schon die Richtung zukünftiger Städte an.

Das römische Reich hat das Raster übernommen und perfektioniert. Wie die griechische Stadt ist Rom in private, öffentliche und geweihte Bezirke gegliedert. Der öffentliche Platz, das Forum, erfüllt dieselben Aufgaben wie die Agora. Um ihn herum liegen die Amtsgebäude wichtiger Behörden, auf ihm versammelt sich der Senat und wird in aller Öffentlichkeit Gericht gehalten. Forum und heilige Stätten sind großzügig angelegt, Wohnhäuser stehen eng beieinander. Nach dem Raster des Hippodamos werden seit dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert Städte angelegt. Als Rom zu klein wird, um zuströmende Einwohner aufzunehmen, entstehen in Ostia die ersten, insulae genannten Mietshäuser mit bis zu sieben Etagen. Sie erweitern die Stadt um ein wesentliches Element: die vertikale Wohnraumnutzung.

Zwischen der Stadt Rom (urbis) und dem Weltreich Rom (orbis) unterscheiden die Römer nicht. Wie die Stadt von einer Mauer, ist das Reich vom Mittelmeer oder einem Grenzwall, dem Limes, umgeben. Die Römer folgen dem Ideal, Straßen und Wasserwege über das gesamte Reich schachbrettartig auszudehnen und alle Winkel miteinander zu verbinden: Ägypten mit Gallien, die Stadt Rom mit Byzanz oder Sizilien mit Britannien. Das Raster hat das Reich überschaubar, den Warenaustausch reibungslos, den Waffentransport effizient und Nachrichtenübermittlungen schnell gemacht. Die Ordnung der Verkehrsführung basiert auf einer linearen Vorstellung des Raumes, die dem menschlichen Handeln eine materielle Form gibt. Auch das Denken der Römer entspricht dem Muster, das die von ihnen angelegten Städte Galliens, Germaniens und Britanniens kennzeichnet. Die Ausbreitung des Rasters und die Erfahrung seiner Effizienz hat die Möglichkeit zur Umschließung der Erde erhöht.

fortsetzung

 © Hajo Eickhoff

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