Vorwort (2020) | Die Posener Urkunden (1870-1919) | Die Posener Adressbücher (1862-1917) |
Georg Kaempfer (1883-1942) | Johanna und die Berliner | Berlin, Oktober 1942 |
Der Fall Ludwig | Hedwig und Richard Kaempfer (1917-1947) | Emil und der Kaempferspecht |
Die Amerikaner | David Kaempfer (1859-1940) | Zwei Schriftsteller |
Mutmaßungen über die Ursprünge | Elemente für einen Stammbaum | Fazit 2020 |

Die Posener Adressbücher (1862-1917)

NB. - In der Chronologie der vorliegenden Recherche wurde dieser Text nach - und teilweise parallel zu - den Ausführungen über Georg verfasst. Aber erst durch die vom Archivum Poznań digitalisierten Urkunden konnten die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Posener Kaempfers etwas besser bestimmt werden.

 
Die Stadt Poznań hatte die gute Idee, über Internet alte „Adreßbücher“ zur Verfügung zu stellen (1), denen ich einige interessante Informationen entnehmen konnte, zumal es sich bei dem ab 1872 dort eingetragenen Isaac Kämpfer (2) sehr wahrscheinlich um Georgs Vater handelt. Beim Studium dieser Posener Adressbücher (PAB) bemerkte ich auch die wechselnde Schreibweise des Nachnamens – Kempfer (PAB 1862), Kämpfer (PAB 1879, 1885), Kaempfer (PAB 1876, 1886ssq.) – und nicht zuletzt die erstaunliche Verwandlung des Vornamens meines Ururgroßvaters Cohn in John (PAB 1872), der ich auf einer späteren – im Zuge des Naziterrors gefälschten – Urkunde noch einmal begegnen sollte.

 
Ich möchte nun die Erkenntnisse zusammenfassen, die ich durch das Studium dieser wichtigen Dokumente gewinnen konnte: Die von der Stadt Poznań digitalisierten und im Internet abrufbaren Adressbücher umfassen die Zeit von 1835 bis 1917, wobei bis zum Jahrgang 1872 nur drei Ausgaben verfügbar sind (1835, 1844, 1862). Vorab jedoch die beiden mir zu Anfang dieser Recherche bekannten Zweige der Posener Kaempfers, ohne welche die nachstehenden Ausführungen schwer verständlich wären. Prof. Raymond Kaempfer aus Jerusalem war so freundlich, mir die ihn betreffende Posener Familiensequenz mitzuteilen (3):

 
Kaempfer, Getreidehändler („Pan Pariscu“), ? – ?
Paul Kaempfer, Kaufmann, 1840 – 1919
Dr. Felix Kaempfer, Rechtsanwalt, 1869 – 1920 (Berlin), 2 Brüder (Gunther und Otto)
Heinz Kaempfer 1904 – 1986 (Den Haag, Vater von Raymond)

 
Und hier meine eigene, aus Gerhard Petzolds "Kaempfer-Story" (GPK) (4)  hervorgehende und ebenfalls auf den Raum Posen beschränkte Sequenz:

 
A—Adolf Phillip Kaempfer, „Fuhrknecht, später Tuch- und Spezereiwaren“
1744 (Pommern) – 1817 (5).
1779 Übertritt zum Judentum und Heirat in Posen mit Sarah Wendel (1756–1801) (6)
B—Jacob Kaempfer, „Tuch- und Seidenhändler“, 1786 (Wreschen) (7) – 184?
1816 – Heirat in Posen mit Henriette Loewe (1787-1841), 1 Sohn:
C.—Cohn (auch „John“) Kaempfer, Schneidermeister, 1820 (Wreschen) – 1902
1846 – Heirat in Wreschen mit Emilie Lachmann (1820 – 1886), 6 Söhne, 1 Tochter
D—Dr. David Kaempfer, Physiker und Unternehmer, 1859 – 1940 (Braunschweig, mein Urgroßvater) (8)
 


 
Und nun zu den Posener Adressbüchern: Dem unvollständigen Register von 1835, in welchem die Bürger der Stadt noch nach Ämtern und Berufen eingetragen wurden, habe ich bislang keine relevanten Informationen entnehmen können. Auch die folgende Ausgabe (1844) gibt wenig her. Erst im dritten der verfügbaren Adressbücher haben wir gleich zwei Treffer:

 
[1862]  
Kämpfer, Paul, Buchhalter, Markt 83b (Raymonds Urgroßvater)
Kempfer, Cohn, Schneider, Markt 81 (mein Ururgroßvater)
 
Nach weiteren 10 Jahren Unterbrechung ist die Reihe bis 1917 relativ vollständig:
[1872]
Kämpfer, Isaac, Kurzwarenhändler, Wasserstr. 13 (höchstwahrscheinlich Georgs Vater)
Kaempfer, Paul, Kommissionär, Büttelstr. 11
Kaempfer, John[!], Schneider, Breslauer Str. 35
[1876]
Kaempfer, Isaak, Kaufmann, Wasserstr. 13
Kaempfer, Paul, Kaufmann, Wasserstr. 14
Kaempfer, Cohn, Schneidermeister, Breslauer Str. 35
Kaempfer, Louis, Handlungs-Kaufmann, Breslauer Str. 35

 
pab1862-76

 
Man sieht hier, dass die Orthographie der Namen und teilweise auch der Vornamen schwankt. Die schon hervorgehobene „Cohn-John-Variation“ wird noch zu erörtern sein. Was die Adressen betrifft, ist zu bemerken, dass die Büttelstraße (Paul, 1872) parallel zur Wasserstraße (Paul, 1876) verläuft und die dazwischen liegenden Wohnhäuser Ausgänge nach beiden Seiten haben mussten. Breslauer, Büttel- und Wasserstraße führen außerdem alle drei zum zentralen Alten Markt, wo die Kaempfers zeitweise ihre Läden und Geschäfte hatten. In der Breslauer Straße 35 ist spätestens seit 1876 neben Cohn ein gewisser Louis als Kaufmann gemeldet, in dem ich einen der 6 Söhne des Schneidermeisters vermute. Ab 1879 geben die Adressbücher dann auch Auskunft über die Etagen (Parterre [pt.] bzw. 1.[I.] oder 2. [II.] Stock) und über die private (w.) oder geschäftliche (GL.) Nutzung der Adresse: Über den „Klempner“ Adolph Kempfer (1862) habe ich keine Informationen. Allerdings könnte die im gleichen Jahr und unter gleicher Adresse angeführte Näherin Cohns Frau Emilie geb. Lachmann sein. Dann wäre zu ergründen, warum die Eheleute unterschiedliche Adressen angeben und Emilie sowie Adolph in der Breitestr. 21 gemeldet sind. Der Markt 81 könnte das Atelier des Schneiders sein.

 
[1879]
Kämpfer, Jacob (12), Kaufmann, Kurzw., Wasserstr. 13 GL. pt., w. I.
Kämpfer
, Paul, Kaufmann, Getreide, Wasserstr. 14 I.
Kämpfer
, Jacob, Kaufmann, Breslauer Str. 35 II.
Kämpfer
, Cohn, Schneidermeister, Breslauer Str. 35 II.
Kämpfer
, Louis, Kaufmann, Leinen u. Wäsche,w. Breslauer Str. 35 II. – GL. Markt 4

 [1885]
Kämpfer, Isac [!], Pfandleih-Anst., Wasserstr. 12 pt.
Kämpfer
, Paul, Kaufmann, Wasserstr. 13 I.
Kämpfer
, Jacob, Weißwarengeschäft, GL. Alter Markt 1 Seitenhaus pt., w. Alter Markt 86 II.
Kämpfer
, Louis, Kaufmann, GL. Alter Markt 91 pt., w. Alter Markt 92 I.

 

 

 
1885 existiert die Cohnsche Wohnung in der Breslauer Straße 35 (2. Etage) nicht mehr und, obwohl er laut GPK erst 1902 in Posen aus dem Leben schied, verschwindet Cohn nun endgültig aus dem Adressbuch der Stadt. Möglich ist, dass eine schwere Krankheit seiner schon 1886 ebenfalls in Posen gestorbenen Frau Emilie einen Umzug nötig gemacht hat. Aber wohin? Vielleicht zurück nach Wreschen? – Seit 1879 war neben Louis auch Jacob, höchstwahrscheinlich ein weiterer Sohn, in der Cohnschen Wohnung als Kaufmann gemeldet. Beide wohnten und betrieben ihre Geschäfte spätestens ab 1884/5 am Posener Markt, der nun „Alter Markt“ genannt wird. – Wichtig sind ebenfalls die Kaempferschen Umzüge in der Wasserstraße (Nr. 12, 13 und 14): Zwischen 1872 und 79 war Isaak (1879 fälschlich „Jacob“) in der Nr. 13 gemeldet, wo er im Parterre mit „Kurzwaren“ (Accessoires für Näh- und Schneiderarbeiten) handelte und im 1. Stock seine Wohnung hatte. Spätestens ab 1884/5 zog er dann in die Nr. 12, wo er nun im Erdgeschoss als Pfandleiher seinen Unterhalt verdiente und auch noch 1917 dort als „Hausbesitzer“ gemeldet war. Es könnte gut sein, dass eine Heirat und die Geburt seines mutmaßlichen Sohnes Georg ihn am 29. 12. 1883 zu diesem Umzug veranlasst hat. Interessant ist dabei auch, dass nun Paul Isaaks ehemalige Wohnung im 1. Stock der Nr. 13 bezogen hat. Warum hat er sich dort einquartiert? In welcher verwandtschaftlichen Beziehung standen die beiden Familienväter zueinander? Unter diesen Umständen ist es höchst unwahrscheinlich, dass sie nur einfache Namensvetter gewesen sind. Aber zurück zu den Adressbüchern:

 
[1886]
Kaempfer, Jacob, Wäschehandlung, [w.] Bismarckstr. 7, GL. Alter Markt 1
Kaempfer, Isaak, Pfandleih-Anstalt, Wasserstr. 12

Kaempfer, Paul, Getreide- und Kommissions-Geschäft, Wasserstr. 13 I.
Kaempfer,
Louis, Weißwarenhandlung, Alter Markt 98/96 I.
[1891]
Kämpfer [sic], Jacob, Wäsche-Fabrik u. Leinen-Lager, [w.] Alt. Markt 88 II. GL.< Alt. Markt 4
Kaempfer, Isaak, Pfandleih-Anstalt, Wasserstr. 12 I.
Kaempfer,
Paul, Kommissionär, Sapiehaplatz 3 II.
Kaempfer,
Louis, Weißwaren-Handlung, [w.] St.-Martinstr. 26 pt. GL. Alt. Markt 44
[1894]
Kaempfer, Isaak, Pfandleih-Anstalt, Eigenth.,Wasserstr. 12 I.
Kaempfer,
Saul [!], Getreide-Kommissions-Geschäft, Sapiehaplatz 3 II.
Kaempfer,
Louis, Kaufmann u. Eigentümer, St.-Martinstr. 33 I.
[1899]
Kaempfer, Isaak, Pfandleihanstalt, Wasserstr. 12 I.
Kaempfer,
Paul, Kaufmann, Wronkerplatz 3 I.
Kaempfer,
Felix, Dr., Rechtsanwalt, Kanonenplatz 8 II. Bureau: Friedrichstr. 33

 
Neben „Cohn-John“ gibt es also auch noch eine „Paul-Saul-Variation“, da wir davon ausgehen können, dass es sich bei „Saul“ um den in der 1894er Ausgabe ausnahmsweise fehlenden Paul handelt. – Zu bemerken ist auch das Verschwinden der beiden mutmaßlichen Cohn-Söhne Jacob (1891/94) und Louis (1894/99) aus den Posener Verzeichnissen. Letzteren meine ich dann in den Berliner Adressbüchern (BAB) (9) aufgespürt zu haben. Und Jacob könnte in der Tat nach Amerika ausgewandert sein.

 
1891 hat Paul die Wasserstraße verlassen, um sich zuerst am Sapiehaplatz („Saul“) und angrenzenden Wronkerplatz niederzulassen. Von 1901 bis 1917 wohnt er dann in der St. Adalbertsstraße 31 II. vielleicht sogar bis zu seinem Tod, am 10. Mai 1919. Sein Sohn Felix wechselt mehrmals die Privatadresse, seine Kanzlei befindet sich jedoch bis 1917 in der Friedrichstraße. Bald darauf, ob nun nach Ableben des Vaters oder in den Wirren der Polnischen Freiheitskämpfe nach dem Ersten Weltkrieg, zieht er, wie sein Enkel Raymond berichtet, mit seiner Familie und dem Sohn Heinz nach Berlin, wo er schon am 4. Dezember 1920 stirbt.

 
Hier noch die Kaempfers in den PAB der Jahre 1901-1917:

 

 
Eine Ottilie Kaempfer war um 1900 in der Pankower Allee 40, Berlin-Reinickendorf als Näherin gemeldet (siehe BAB 1899). Es ist gut möglich, dass es sich um dieselbe Person handelt, die 1910 (wieder?) in Posen wohnte. Zu „Generalleutnant“ Max, der wohl im Zuge des 1. Weltkriegs nach Posen gekommen oder zurückgekehrt ist, habe ich keine Informationen.

 
______________________________

 
Anmerkungen 

 
 
Posen, Alter Markt, wahrscheinlich zu Anfang des 20. Jahrhunderts (Himmel von mir ersetzt)

 
(1) Unter folgender Adresse abrufbar: http://www.wbc.poznan.pl/dlibra/text?id=addressbuch
(2) Als „Kurzwarenhändler“ in der Wasserstr. 13 gemeldet (später auch Isaak Kaempfer geschrieben)
(3) Wenn nicht anders vermerkt, befinden sich Geburts- und Sterbeort in Posen. - Zusatz: Diese Daten mussten später korrigiert werden, siehe dazu: Die Posener Urkunden. Vor allem aber habe ich vor kurzem auf zwei holländischen Datenbanken [hier] und [dort] gelesen dass Felix Kaempfers Gattin Käthe geb. Ledermann  am 19.11.1943 in Auschwitz ermordet worden ist. Felix soll früh in Berlin gestorben sein. Sohn Heinz (†1986 in Den Haag) und Enkel Raymond (*1940) haben überlebt.
(4) "GPK" ist ein elfseitiger Bericht über die Familie, der von Gerhard Petzold, einem Cousin meines Vaters Wolfgang, verfasst wurde. Auszüge davon auf den Seiten über David und die „Ursprünge“.
(5) Anzahl der Kinder aus dieser Ehe bislang unbekannt, ich schätze jedoch, dass es mehrere Söhne gegeben haben muss, welche die verschiedenen Zweige der Posener Kaempfers begründeten.
(6) Heute Września, etwa 50 km östlich von Poznań
(7) Die Namen von Davids 5 Brüdern waren mir beim Studium der Adressbücher noch nicht bekannt. In der Familie wurde nur erzählt, dass alle in die USA ausgewandert seien.  Durch die Posener Urkunden (Anm. 3) habe ich ihre Namen erfahren und einen 3. Zweig, durch die anschließende Recherche über die Auswanderer sogar einen 4. Zweig  der Familie entdecken können. Sie haben möglicherweise einen gemeinsamen Ursprung in Wreschen, da dieses Städtchen der Geburtsort der drei in den Posener Adressbüchern und Urkunden als Familienväter erscheinenden Cohn, Isaac und Paul ist. Hinzu kommen nun die ebenfalls in Wreschen geborenen Söhne von Sarah und Louis Kaempfer: Jacob und Max, die schon 1861 bzw. 1871 nach New York ausgewandert sind und daher von den erst ab 1870 erstellten Posener Urkunden nicht erfasst werden. Siehe: Die Amerikaner
(8) Hier lese ich nicht „Jacob“ sondern „Isaak“, der in dieser Ausgabe ausnahmsweise fehlt, während Jacob darin gleich zweimal vorkommt. Aber vielleicht könnte dieser offensichtliche Fehler noch andere Schlüsse zulassen.